Uneinigkeit über Reformen Irans Regime ringt um Umgang mit Protesten
09.01.2018, 16:03 Uhr
Wird seine Politik neu justieren müssen: Präsident Hassan Ruhani.
(Foto: dpa)
In Teheran werden die teils gewaltsamen Proteste aufgearbeitet. Doch schon in der Interpretation der Forderungen der Demonstranten gibt es Dissenz. Reformer und Konservative streiten um Deutungshoheit und nötige Reformen.
Die Proteste im Iran mögen vorerst zu Ende sein, doch die Debatte darüber hat in Teheran gerade erst begonnen. Während das ultrakonservative Lager die Proteste als Aufstand gegen die kaltherzige Wirtschaftspolitik von Präsident Hassan Ruhani sieht, sind sie für Ruhani und seine Anhänger der Schrei der Jugend nach mehr Freiheit. Nach Ansicht Ruhanis liegt die Antwort daher vor allem in politischen und sozialen Reformen.
"Zu sagen, die Forderungen der Bevölkerung beschränkten sich auf Wirtschaftsfragen, führt auf den falschen Weg", warnte Ruhani. Die Leute hätten auch politische, kulturelle und soziale Forderungen. "Unser Problem ist die Lücke zwischen den Regierenden und der jungen Generation. Unsere Sicht der Welt ist anders als ihre Sicht", bemerkte der Präsident.
Die Regierung wolle, dass die Enkelgeneration genauso lebe wie sie, doch könne sie dies nicht erzwingen, warnte Ruhani, der 2013 mit den Stimmen der Jugend gewählt worden war. Der als gemäßigt geltende Politiker ist mit dem Versprechen angetreten, das Land zu öffnen und die kulturellen und sozialen Einschränkungen zu lockern. Obwohl er viele Versprechen nicht eingelöst hat, wurde er bei der Wahl im Juni 2017 im Amt bestätigt.
Reformer und Konservative verantwortlich gemacht
Die teils gewaltsamen Proteste, die am 28. Dezember in der Stadt Maschhad begannen und sich rasch aufs ganze Land ausbreiteten, zeigen aber die wachsende Frustration der Jugend. Die zumeist jungen Demonstranten riefen Slogans gegen die hohe Arbeitslosigkeit, die steigenden Lebenshaltungskosten, aber auch gegen die kostspielige Außenpolitik Teherans und das klerikale Herrschaftssystem an sich.
"Tod Ruhani"-Rufe zeigten, dass der Ärger auch vor der Regierung nicht Halt macht und Konservative wie Reformer gleichermaßen für die Misere verantwortlich gemacht werden. Alle Fraktionen haben sich daher auch dafür ausgesprochen, die "berechtigten Forderungen" der Demonstranten zu berücksichtigen, doch gehen die Meinungen auseinander, was genau daraus folgt.
Viele Reformer wollen künftig Proteste erleichtern. Der von den Reformern dominierte Stadtrat von Teheran kündigte an, in der Hauptstadt einen gesonderten Ort für Proteste zu schaffen. Ein Kolumnist der konservativen Zeitung "Iran" gestand ein, dass dem Iran eine "Kultur der Kritik" fehle und die Führung "weniger Angst vor Protesten" haben sollte. Doch die Idee eines Protestorts in Teheran wies er zurück.
"Sind die Forderungen nicht klar?"
Ruhani wird seit Langem vorgeworfen, eine Politik zulasten der sozial Benachteiligten zu betreiben, und die Konservativen beschuldigen ihn, mit dem Ruf nach mehr Freiheit von den echten Problemen abzulenken. "Sind die Forderungen nicht klar? Warum soll ein Arbeiter, der seit zehn Monaten keinen Lohn erhalten hat, sich an einen bestimmten Ort begeben, um seine Rechte einzufordern?", fragte die konservative Zeitung "Kejhan".
Die Konservativen dringen vor allem auf Korrekturen bei Ruhanis Haushalt für das neue Jahr. Besonders die geplante Kürzung der Subventionen für Strom, Gas und Wasser und die Erhöhung des Benzinpreises stehen in der Kritik. Die Einschnitte seien "absolut nicht im Interesse des Landes", sagte Parlamentspräsident Ali Laridschani. Es brauche zudem dringend Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit.
Ruhani warnte, das Parlament überschreite seine Kompetenzen, wenn es die Zielsetzung des Budgets ändere. Die Regierung könne nicht zugleich die Inflation bekämpfen, die Steuern senken, die Arbeitslosigkeit verringern und die Sozialhilfen erhöhen, warnte der Präsident. Er wird aber kaum umhin kommen, seine Politik zu justieren, will er nicht einen erneuten Ausbruch der Proteste riskieren.
Welche Konsequenzen die Führung zieht, hängt aber nicht zuletzt vom geistlichen Oberhaupt Ayatollah Ali Chamenei ab. Dieser verurteilte die Proteste erneut als "Verschwörung der Feinde" des Landes. Reformen sprach er nicht an.
Quelle: ntv.de, Siavosh Ghazi, AFP