"Das ist der jüdische IS" Israel will hart gegen Extremisten vorgehen
03.08.2015, 13:20 Uhr
"Nicht mein Judentum": In Jerusalem demonstrieren Israelis gegen Rassismus, Homophobie und die Siedlungspolitik.
(Foto: imago/UPI Photo)
Nach zwei tödlichen Anschlägen, ausgeführt durch jüdische Extremisten, kündigt Israels Premier Netanjahu "Null Toleranz" gegen Hassverbrechen an. Das Land muss sich von der Idee verabschieden, dass es einen Unterschied zwischen Terroristen gibt.
Ein ultraorthodoxer Jude sticht bei der Gay-Parade in Jerusalem auf sechs Menschen ein, die 16-jährige Shira Banki erliegt Tage später ihren schweren Verletzungen. Mutmaßlich radikale Siedler zünden im Westjordanland das Haus einer palästinensischen Familie an, der 18 Monate alte Ali Dawabsheh stirbt an seinen Brandverletzungen.
Zwei Anschläge wecken in Israel derzeit Ängste vor einem neuen Kriegsausbruch auf der einen und einem noch tieferen Graben in der israelischen Gesellschaft auf der anderen Seite. Gemeinsam ist den beiden Vorfällen, dass sie einen tief verwurzelten Mythos erschüttern: "Bis heute hängen wir immer noch dem Irrglauben an, dass Juden sich niemals so benehmen werden. Doch spätestens seit 1994 Baruch Goldstein beim Grab der Patriarchen in Hebron ein Attentat auf muslimische Gläubige verübte, bei dem 29 Menschen getötet und 150 verletzt wurden, hätten wir das wissen können", sagte der ehemalige Finanzminister und Jesch- Atid- Politiker Yair Lapid bei einer solidarischen Gedenkveranstaltung für den getöteten palästinensischen Jungen.
Gleiche Härte gegen alle
Lapid forderte den israelischen Inlandgeheimdienst "Shin Bet" auf, mit derselben Unnachgiebigkeit unter den Siedlern nach den Attentätern zu suchen, mit der nach palästinensischen Terroristen gefahndet werde. "Dass es hier noch keine Festnahmen gab, ist Teil des Problems."

Benjamin Netanjahu bei der Kabinettssitzung: Waren die israelischen Autoritäten zu lax im Umgang mit jüdischen Extremisten?
(Foto: AP)
Dieses Problem will Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nun lösen: "Wir sind entschlossen, mit aller Kraft gegen das Phänomen des Hasses, des Fanatismus und des Terrorismus von jeglicher Seite anzukämpfen", sagte er bei einer Kabinettssitzung. Meretz-Parteichefin Zahava Gal-On ergänzte: "Der Messerangriff und der Brandanschlag müssen als das bezeichnet werden, was es ist: jüdischer Terrorismus. Das ist der jüdische IS."
Verteidigungsminister Moshe Jaalon drohte jüdischen Extremisten Verwaltungshaft an. Die umstrittene Maßnahme erlaubt die Festnahme von als Sicherheitsrisiko eingestuften Personen, bevor sie überhaupt eine Tat begangen haben. Die Haft ist ein gängiges Vorgehen gegen militante Palästinenser. In den israelischen Medien wurden noch härtere Maßnahmen gefordert: "Wir sind doch diejenigen, die die Zerstörung von Häusern der Angehörigen von Terroristen erfunden haben. Ein Palästinenser, der eine Attacke gegen Israelis erwägt, muss auch bedenken, dass seine Familie dafür zahlen wird", hieß es in mehreren Varianten in den Zeitungen.
Rivlin: "Wir brauchen einen Weckruf"
In Tel Aviv, Jerusalem und anderen Städten gingen Tausende Israelis auf die Straße, um gegen Gewalt und Hass zu demonstrieren. Er habe die Familie Dawabsheh im Krankenhaus besucht und schäme sich, sagte Präsident Reuven Rivlin auf der Jerusalemer Kundgebung. Das Land brauche einen Weckruf: "Jede Gesellschaft hat extremistische Ränder, aber heute müssen wir uns fragen: Was ist es, was hier in der Luft liegt, das es Extremismus und Extremisten erlaubt, unbesorgt im hellen Tageslicht zu wandeln?" Für seine Rede erhielt Rivlin viel Applaus, wurde aber auch auf seiner Facebook-Seite hundertfach angefeindet. Der Präsident erhielt zudem mehrere Morddrohungen, die als ernsthaft eingestuft werden.
Auch wenn die Extremisten sowohl bei den Siedlern als auch bei den Ultraorthodoxen zu einer Minderheit gehören und die beiden Gruppen an sich schon Minderheiten darstellen, haben die meisten Israelis wenig Hoffnung, dass sich etwas beim Umgang mit ihnen ändern könnte. Im November dieses Jahres wird des 20. Jahrestages des tödlichen Attentats auf Premierminister Yitzhak Rabin gedacht. Ein jüdischer Fundamentalist hatte Rabin im Anschluss an eine Friedenskundgebung erschossen. "Damals hat Bibi (Netanjahu, Anm. der Redaktion) nichts getan, um im Vorfeld gegen Extremisten des rechten Flügels vorzugehen", heißt es auf den Kundgebungen. "Es scheint, als hätte er seither nichts gelernt."
Quelle: ntv.de