Tories suchen May-Nachfolger "Johnson wird kein guter Premier"
13.06.2019, 16:17 Uhr
Wird er seriöser? Seit kurzem trägt Johnson auch die Haare etwas weniger wild.
(Foto: imago images / i Images)
Das Rennen beginnt: Die Tories suchen einen neuen Chef, der dann auch Regierungschef wird. Dabei läuft alles auf Ex-Außenminister Johnson hinaus, sagt Großbritannien-Experte Stefan Schieren von der Universität Eichstätt. Als Brite würde er sich dann aber "Sorgen machen". Schließlich sei Johnson sprunghaft, illoyal und unzuverlässig.
n-tv.de: Bei den Tories haben heute die Abstimmungen um eine Nachfolge der ehemaligen Parteichefin und Noch-Premierministerin Theresa May begonnen. Macht der ehemalige Londoner Bürgermeister und Ex-Außenminister Boris Johnson nun das Rennen?
Stefan Schieren: Es läuft alles auf Johnson hinaus, er ist der Liebling der Parteibasis. Die Partei wird nach der Wahlschlappe bei der Europawahl denjenigen aussuchen, der die größten Chancen hat, die davongelaufenen Wähler an sich zu binden. Unabhängig davon, was Johnson für eine Vergangenheit hat. Auch wenn in der Fraktion starke Vorbehalte gegen ihn existieren - einige Abgeordnete haben ja gesagt, sie würden eher Glas essen als Johnson zu wählen - werden sie dies im Lichte einer möglichen Wahlniederlage noch einmal neu überdenken.
Früher haben sich im Rennen um die Tory-Nachfolge oft Überraschungskandidaten durchsetzen können, wie etwa Theresa May oder Margaret Thatcher. Wird dies diesmal auch so sein?
Die Wahl von Jeremy Corbyn, der überraschend Labour-Parteichef wurde, zeigt, dass die Parteibasis klare Ansagen begrüßt und die entschiedener auftretenden Kandidaten eher wählt als die gemäßigten. Das trifft auch auf die Tories zu. Und Johnson hat immerhin zweimal als Kandidat für das Bürgermeisteramt in London eine rote Hochburg geholt. Er hat gezeigt: Er kann Wahlen gewinnen, und das wird nun auch das ausschlaggebende Argument für ihn sein.
Das heißt, für seine Konkurrenten für das Amt als Parteichef sieht es schlechter aus?
Um einen neuen Parteichef auszuwählen, gibt es bei den Tories ein mehrstufiges Verfahren: Die 313 konservativen Abgeordneten treffen in geheimer Abstimmung eine Vorauswahl. Bereits an diesem Donnerstag schieden drei der zehn Kandidaten aus, die nicht die notwendigen 17 Stimmen bekamen. Weiter ausgesiebt wird nächste Woche. Bis Ende der Woche soll die Anzahl der Kandidaten auf zwei reduziert werden, die sich dann in einer Stichwahl den rund 160.000 Parteimitgliedern stellen sollen. Ende Juli soll der neue Tory-Chef feststehen. Dieser wird auch das Amt von Premierministerin Theresa May übernehmen.
Alle Remainer, die in der EU bleiben wollen, und die EU-freundlicheren Kandidaten haben bei den Konservativen derzeit keine Chance. Die Basis will ganz klar den Brexit, sogar den harten Brexit. Jeder, bei dem auch nur der leiseste Zweifel daran besteht, dass er den EU-Austritt liefert, wird bei der Parteibasis auf Ablehnung stoßen. Auch würde er bei den Wahlen eine Quittung erleben.
Nun sind die meisten Tory-Kandidaten für einen Brexit und trotzdem führt Johnson haushoch. Umweltminister Michael Gove etwa schadet, dass er vor Jahrzehnten Koks genommen hat. Bei Johnson, dem das auch vorgeworfen wird, ist dies nicht der Fall. Auch seine außerehelichen Eskapaden sehen ihm viele nach. Darf er sich alles erlauben?
Das scheint tatsächlich so zu sein. Johnson ist als Paradiesvogel überzeugend. Es passt zu seiner Person, während Gove eher den Charme eines sehr steifen Bürokraten ausstrahlt. Wenn dann die Bilder nicht mehr zusammenpassen, schadet das Gove - im Gegensatz zu Johnson.
Johnson entschied zwar die Wahlen in London für sich, aber kann er sich auch gegen die neu gegründete Brexit-Partei von Nigel Farage durchsetzen? Immerhin feierte diese bei den Europawahlen kürzlich triumphale Erfolge.
Johnson hat gute Chancen, dass die Brexit-Partei eine Sondersituation der Europawahl bleiben wird. Sie hat letztlich weder von den Personen noch von ihrer Programmatik her bei anderen Themen etwas vorzuweisen. Bei der Nachwahl in Peterborough in der vergangenen Woche, bei der überraschend eine Labour-Kandidatin gewann, hat sich auch gezeigt, dass die Wähler bereit sind, zu ihren alten Parteien zurückzukehren, wenn es um andere Dinge als die Europafrage geht. Auch bei einer Neuwahl zum Unterhaus ist es wahrscheinlich, dass die Wähler die Brexit-Partei sehr kritisch prüfen und ihre alten Parteien wieder wählen werden.
Johnson hat bereits angekündigt, als Premierminister die im Brexit-Vertrag vereinbarten Ausstiegszahlungen von 39 Milliarden Pfund zurückzuhalten, um bei der EU bessere Konditionen für einen Ausstieg auszuhandeln. Lehrt er Brüssel das Fürchten?
Nein, die EU kann die Dinge ganz gelassen sehen. Sie hat ein Abkommen ausgehandelt. Sie hat mehrfach einer Verlängerung des Austrittsdatums zugestimmt und sie hat sehr viel Entgegenkommen gezeigt. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass sie nochmal das erzielte Ergebnis aufschnüren wird. Sie braucht einfach nur abzuwarten, ob jetzt in London das vorgelegte Ergebnis doch noch akzeptiert wird oder am 31. Oktober der harte Brexit kommt. Auch die dritte Variante erscheint nicht mehr ausgeschlossen: noch mal eine sehr lange Verlängerung des EU-Austritts, damit eventuell Neuwahlen oder ein zweites Referendum durchgeführt werden.
Rechnen Sie denn mit Neuwahlen?
An Neuwahlen können die Tories derzeit kein Interesse haben. Und mit den jetzigen Mehrheitsverhältnissen wird es auch nicht zu einem zweiten Referendum kommen.
Wie wahrscheinlich ist dann der harte Brexit?
Der harte Brexit ist das wahrscheinlichste Szenario. Wenn Johnson tatsächlich Premierminister wird, wird er sicher nicht nochmal das Abkommen von May zur Abstimmung stellen. Vielmehr wird er nach Brüssel fahren, alles Mögliche fordern, eventuell auch drohen, und dann wird er zuhause seinem Publikum sagen: "Ich habe es nochmal versucht: Die EU hat sich als hartnäckig und unzugänglich erwiesen und alle Folgen, die wir hier zu erleiden haben, sind nicht meine Schuld."
Für wie qualifiziert halten Sie Johnson als künftigen Premierminister?
Ich würde mir als Brite Sorgen machen bei einem Premierminister Johnson. Mit seiner Sprunghaftigkeit, seiner Illoyalität, seiner Unzuverlässigkeit wird er kein guter Regierungschef werden. Er gilt auch als faul und unzugänglich, was Beratungen angeht.
Schon die letzten beiden Premierminister, Theresa May und David Cameron, galten vielen als eine Katastrophe.
Johnson wäre wohl noch mal eine Steigerung - man kann es sich kaum vorstellen. In der Tat sind die Auswahlprozesse der Parteien für ihr Spitzenpersonal offenbar nicht geeignet, wirklich den besten Kandidaten zu finden. Vielmehr legen sie vor allem Wert auf Popularität, auf das Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit und auf Wahlchancen.
Ist es das Problem der Tories, dass sie sich in den vergangenen Jahren weiter radikalisiert haben?
Die radikalen Austrittsbefürworter gibt es seit den 90er Jahren. Der ehemalige Tory-Premierminister John Major hat diese Gruppe, die immer quergeschossen hat, "Die Bastarde" genannt, die ohne Rücksicht auf Verluste ihre Ziele verfolgen. Es handelt sich seit fast 25 Jahren um eine Gruppe von etwa 100 Abgeordneten. In ihren Positionen haben sie sich zwar nicht radikalisiert - der harte Brexit war immer schon das Ziel - aber in ihren Methoden sind sie immer radikaler geworden. Die Rücksichtslosigkeit, mit der auch offene Unwahrheiten in der Brexit-Kampagne 2016 verkündet wurden, ist durchaus ein neuer politischer Stil.
Mit Stefan Schieren sprach Gudula Hörr
Quelle: ntv.de