Politik

Nato feiert im Krisenmodus Kein Spaß für Maas

Außenminister Maas richtet am Dienstag im UN-Sicherheitsrat einen Anstecker mit der deutschen und der französischen Fahne an seinem Revers.

Außenminister Maas richtet am Dienstag im UN-Sicherheitsrat einen Anstecker mit der deutschen und der französischen Fahne an seinem Revers.

(Foto: imago images / photothek)

Gerade erst hat Deutschland sein Budgetversprechen an die Nato gebrochen. Nun soll Außenminister Maas mit seinen vermutlich verärgerten Kollegen feiern. Das klingt anstrengend. Aber wie schlagkräftig ist die Nato 70 Jahre nach ihrer Gründung überhaupt?

Musste das jetzt sein? Man sollte meinen, die Reise in die USA diese Woche ist für Heiko Maas schon unangenehm genug. Schließlich muss er dort erklären, warum der deutsche Verteidigungsetat nun doch nicht so stark steigen wird, wie erst vor zwei Monaten den Nato-Partnern versprochen. Und dann verpasste der deutsche Außenminister am Montag die ersten beiden Termine in New York, weil der Flieger nach der Landung mit kaputtem Antiblockiersystem vom Rollfeld geschleppt werden musste. Als wollte man den Bündnispartnern noch die Steilvorlage liefern: Die Bundeswehr kann nicht mal funktionierende Regierungsmaschinen bereitstellen.

Doch mit ein paar Sticheleien wird es wohl nicht getan sein, wenn die Außenminister der Nato-Staaten an diesem Mittwoch in einem Festakt die Gründung der Allianz feiern. Dazu hat die Bundesregierung ihre Bündnispartner zu sehr brüskiert mit ihrem jüngst veröffentlichten Haushaltsplan. Dort ist für 2023 ein Wehretat von rund 44 Milliarden Euro eingeplant, er soll 1,25 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung betragen - ein Sechstel weniger, als man der Nato gerade erst versprochen hatte. Und sehr deutlich unter den zwei Prozent, auf die sich die Mitglieder der Allianz vor Jahren als Zielsetzung bis 2024 geeinigt hatten und die seitdem noch nie im deutschen Haushaltsplan aufgetaucht sind.

Auch Nato-Generalsekretär Stoltenberg ist zum Jubiläum nach Washington gekommen. Am Dienstag traf er Präsident Trump.

Auch Nato-Generalsekretär Stoltenberg ist zum Jubiläum nach Washington gekommen. Am Dienstag traf er Präsident Trump.

(Foto: REUTERS)

"Der Druck auf Deutschland wird erheblich sein", sagt Henning Riecke voraus, Experte für transatlantische Beziehungen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). "Minister Maas muss mit deutlicher Kritik seines US-Kollegen Mike Pompeo rechnen, dem Gastgeber des Treffens." Aber nicht nur. Während Präsident Donald Trump vom heimischen Sofa aus jeden Moment eine Tweet-Salve abfeuern könnte, wird es vor allem zunehmend schwierig, den europäischen Partnern die deutsche Strategie im Verhältnis zur Nato zu erklären. Vorausgesetzt, es gibt eine - in Deutschland, aber auch in der Nato insgesamt.

Kleinster gemeinsamer Nenner ist Putin

Am 4. April 1949 wurde in Washington der Nordatlantikvertrag unterzeichnet. Damals noch ohne deutsche Beteiligung: Die Bundesrepublik trat erst 1955 bei. Zum 70. Geburtstag des weltweit stärksten Militärbündnisses rätseln seine Mitglieder, wo ihre gemeinsamen Ziele liegen, was die Nato eigentlich tun soll und sein will. Ist die größte Bedrohung aktuell Wladimir Putin oder sind es inzwischen die Chinesen? Der Dschihad oder der Cyberwar? Von Italien oder Spanien aus schaut man beim Stichwort "Bedrohungsgefühl" eher nach Nordafrika. Im Norden Europas und vom Baltikum aus blickt man auf Russland.

Fast müsste die Nato Präsident Putin dankbar sein. Der wirkt in seinem Gebaren seit einigen Jahren so überzeugend bedrohlich, dass hier ein kleinster gemeinsamer Nenner erreicht ist. "Der Schock der Ukraine-Krise, dass die Russen bereit sind, Völkerrecht zu brechen, eine sehr komplexe hybride Form der Kriegführung einzusetzen, dass sie große Manöver machen, das hat schon dazu geführt, dass die Nato sich zusammengerissen hat", sagt Henning Riecke. "Sie ist heute viel stärker auf Verteidigung Richtung Osten konzentriert."

Ausgerechnet da sind die Signale aus Deutschland zwiespältig. Zwar teilt Berlin die Auffassung, dass es eine neue Bedrohungslage in Osteuropa gibt. Aber dem Experten zufolge wollen die Deutschen "vor allem keine zusätzliche Provokation". Sie ebnen stattdessen den Weg für eine weitere Gaspipeline von Russland quer durch die Ostsee nach Deutschland. Die Signale sind auch deshalb zwiespältig, weil die Regierung zwiegespalten ist. Die SPD will nicht ihren linken Flügel und nicht den friedensbewegten Teil ihrer Wählerschaft vergrätzen, der auf Dialog mit Russland setzt. Und die CDU hat auch kein Interesse daran, dass ihr der Koalitionspartner in einer parteiinternen Grundsatzdebatte über Sicherheitspolitik auseinanderbricht. Zumal auch die deutsche Wirtschaft Interesse an Geschäften mit Russland hat.

Es fehlt Vertrauen in deutsche Politik

"Eine fahrlässige Haltung", lautet die Diagnose von Philipp Rotmann. Am Global Public Policy Institute, einem unabhängigen Thinktank in Berlin, forscht er zu Sicherheitspolitik und vermisst bei der Bundesregierung die Bereitschaft, gerade über europäische Verteidigung mal inhaltlich zu reden, auch mit den Nato-Partnern.

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Die deutsche Politik sei bislang unfähig gewesen, den osteuropäischen Ländern das Vertrauen zu geben, dass die Bundesrepublik ihre Angst vor Russland ernst nimmt. "Eine Debatte über Fragen wie 'Wovor haben wir Angst? Wozu brauchen wir militärische Stärke?' vermeiden die europäischen Nato-Partner systematisch. Und das in einer Situation, wo man seit fünf Jahren klar sieht, dass die internationalen Beziehungen sich deutlich verroht haben und die Gefahr von Gewalt auch für Europa immer stärker gestiegen ist." Rotmann sieht hier die größte Bedrohung für die Stabilität der Nato. "Wenn es hart auf hart kommt, dann ist es zu spät zum Diskutieren."

Bei strategischen Fragen zwischen Europa und den USA herrscht ähnliche Stille. Dabei bahnt sich abseits des ermüdenden Budget-Themas ein Problem an. Je stärker sich die USA auf Konflikte mit anderen Großmächten, allen voran mit China konzentrieren, und von der Nato womöglich mehr Unterstützung in diesem Konflikt verlangen. "Das ist eine heikle Geschichte, weil die Nato natürlich den Amerikanern helfen möchte", erklärt Riecke, "aber gar nicht dafür ausgelegt ist, im fernen Pazifik aufzutreten oder gar dort zu kämpfen. Eine richtig globale Allianz ist sie eben nicht".

"Trump ist der beste Freund der Militärskeptiker"

Statt solche Konflikte offen im Bündnis anzusprechen, verstärkt die Bundesregierung mit ihrem Budget-Chaos die Unsicherheit und damit die Krisenstimmung in der Nato. "Sind wir uns denn zum Beispiel mit Franzosen, Polen oder Amerikanern einig darin, was wir als bedrohlich verstehen, oder welche Vision wir für die Nato haben?", fragt Rotmann. "Die Bundesregierung weigert sich, darüber zu diskutieren, ob es unterschiedliche Vorstellungen gibt, wofür wir genau Streitkräfte brauchen und in welchem Umfang. Weil sie an der Stelle Ärger mit den EU-Partnern und Herrn Trump vermeiden will."

Ärger mit Trump gibt es dafür dann an anderer Stelle. Sein Treffen mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Dienstag nutzte er sogleich, um gegen Deutschlands Knauserigkeit auszuteilen. Und mit jedem neuen Gezeter und Getwitter, dass der deutsche Wehretat die Zwei-Prozent-Marke erreichen müsste, wird genau das unwahrscheinlicher. "Trump macht es toxisch, sich in Deutschland für diese zwei Prozent einzusetzen", sagt Rotmann. "Insofern ist er der beste Freund der deutschen Militärskeptiker."

Gleichzeitig gibt der Präsident aber auch ein prächtiges Argument für eine europäische Zusammenarbeit in der Nato ab. Jede seiner Drohungen, das Engagement der USA für europäische Sicherheit runterzufahren, ist ein weiterer Impuls für Europa, sich im Rahmen der EU militärisch unabhängiger zu machen. "Das kommt aber auch dem europäischen Pfeiler in der Nato zugute", bilanziert Riecke. "Aber die Konflikte unter den Europäern sind natürlich immer noch da." So tut Heiko Maas heute sicher gut daran, vor allem bei seinen europäischen Kollegen um Verständnis für das niedrigere deutsche Budget zu werben. Seine Twitter-App sollte er vorsichtshalber schließen.

Quelle: ntv.de

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