Hörten die USA Selenskyj ab? Kiew wiegelt nach geheimen US-Dokumenten ab
11.04.2023, 05:40 Uhr Artikel anhören
Im Pentagon richtet man die Augen möglichst unauffällig auf das Weltgeschehen - etwa auch auf Verbündete und ohne ihr Wissen?
(Foto: picture alliance / Xinhua News Agency)
Sie sind wohl teils echt, teil verfälscht und sorgen in der Ukraine und bei Verbündeten für Aufregung: geleakte US-Geheimdienstpapiere zum russischen Angriffskrieg. Kiew bezweifelt allerdings offiziell, dass die USA Präsident Selenskyj bespitzelt haben. Bidens Regierung steckt dennoch in Erklärungsnot.
Die US-Regierung bemüht sich nach der Veröffentlichung von Geheimdienstdokumenten zum Krieg in der Ukraine um Aufklärung. "Wir nehmen die Sache sehr, sehr ernst", sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, in Washington. Das Verteidigungsministerium leite eine behördenübergreifende Prüfung, "welche Auswirkungen dies auf die nationale Sicherheit haben könnte". Beim Justizministerium laufe eine strafrechtliche Untersuchung. Präsident Joe Biden werde fortlaufend informiert.
Seit Wochen kursieren im Internet offenbar geheime Dokumente von US-Stellen zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. US-Medien berichten seit Tagen über sensibles Material zu beiden Kriegsparteien, ohne die Dokumente selbst zu veröffentlichen. Unklar ist, wer die schon vor Wochen bei prorussischen Kanälen verbreiteten Dokumente publiziert hat. Das Investigativ-Netzwerk Bellingcat wies nach, dass einige nachträglich manipuliert wurden.
Während Medien darüber berichteten, dass die Umgebung von Präsident Wolodymyr Selenskyj verärgert auf das Datenleck reagiert habe, demonstrierte Kiew zumindest nach außen hin Gelassenheit: Der Sekretär des nationalen Sicherheitsrats, Olexij Danilow, dementierte, dass Daten über militärische Operationen, die Größe der Einheiten und die Stoßrichtung an die Öffentlichkeit gelangt seien. "Diese Informationen sind absolut geheim", sagte er in einem ARD-Interview. Der Beginn der ukrainischen Gegenoffensive werde erst im letzten Moment festgelegt.
Plante Kiew Drohnenangriffe auf russisches Gebiet?
Die ukrainische Führung zog zudem eine angebliche Abhöraktion der USA gegen Selenskyj in Zweifel. Beratungen des Staatschefs mit dem Militär liefen anders ab als in veröffentlichten Geheimdienstdokumenten dargestellt, sagte Präsidentenberater Mychajlo Podoljak im ukrainischen Fernsehen. Die Beziehungen der Ukraine zu ihren westlichen Partnern seien durch die Veröffentlichungen nicht gefährdet. "Das sind normale Analysen", sagte er.
Auch Pläne zu einer ukrainischen Gegenoffensive würden nicht torpediert, weil daran noch gearbeitet werde. Zuvor hatte es Berichte über Geheimdokumente des US-Verteidigungsministeriums gegeben, wonach Selenskyj Ende Februar in einer Beratung mit der Armeeführung Drohnenangriffe auf Standorte der russischen Armee im russischen Staatsgebiet Rostow vorgeschlagen habe. Das könnte Washington darin bestärkt haben, Kiew keine weitreichenden Waffen zu liefern, hieß es. Podoljak widersprach dieser Darstellung: "Es macht keinen Sinn, einfach abstrakt zu sagen: 'Lasst uns das Gebiet Rostow bombardieren.'" Bei solchen Beratungen würden vielmehr Prioritäten gesetzt und Strategien festgelegt.
Selenskyj ignoriert Leak in Videoansprache
Selenskyj ignorierte die Veröffentlichung der Dokumente in seiner täglichen Videoansprache. Stattdessen begrüßte er den Austausch von mehr als 200 Kriegsgefangenen zwischen Moskau und Kiew. "Das sind 100 Familien, denen vor Ostern echte Freude geschenkt wurde", sagte Selenskyj über die ukrainischen Heimkehrer. Die orthodoxen Kirchen feiern das Osterfest erst am kommenden Sonntag. Der Staatschef bedankte sich bei Deutschland für weitere militärische Hilfe. In den vergangenen beiden Wochen seien Panzertechnik, Luftabwehrsysteme, Munition, Maschinen und Medizintechnik geliefert worden. Mit Blick auf Russland fügte Selenskyj hinzu: "Das Wort Verlierer muss zum Begleiter des Wortes Aggressor werden. Und nur ein ukrainischer Sieg kann dies gewährleisten."
Auch Südkorea springt den USA offiziell zur Seite und bezweifelt wie Washington in Teilen die Echtheit der durchgestochenen US-Geheimdienstpapiere. "Die beiden Länder sind sich einig, dass viele der veröffentlichten Informationen verfälscht sind", sagte der stellvertretende nationale Sicherheitsberater Kim Tae-hyo bei seiner Abreise nach Washington. Das Papier enthält Einzelheiten über interne Diskussionen zwischen südkoreanischen Beamten über den Druck der USA auf die Regierung in Seoul, die Ukraine mit Waffen zu versorgen. In dem undatierten Dokument heißt es, dass Südkorea dem Verkauf von Artilleriegranaten zugestimmt habe, um den USA bei der Auffüllung ihrer Bestände zu helfen. Intern seien hochrangige südkoreanische Regierungsvertreter aber besorgt gewesen, dass die USA die Granaten an die Ukraine umleiten könnte. Südkorea sind Waffenlieferungen an Länder, die in einen Konflikt verwickelt sind, per Gesetz untersagt.
Die jüngste Enthüllung wird südkoreanischen Angaben zufolge keine Auswirkungen auf die Allianz mit den USA haben. "Die USA sind das Land mit den besten Geheimdienstkapazitäten der Welt, und seit dem Amtsantritt von Yoon haben wir in fast allen Bereichen Geheimdienstinformationen ausgetauscht", sagte Kim.
Quelle: ntv.de, joh/dpa/rts