
Melnyk ist seit 2014 Botschafter in Deutschland.
(Foto: imago images / photothek)
Jede Woche mehrere Interviews, gespickt mit Kritik und Enttäuschung von Deutschlands Unterstützung für die Ukraine. Kiews Botschafter Melnyk ist ein sehr undiplomatischer Diplomat. Seine PR-Arbeit für deutsche Waffenlieferungen sorgt in der Heimat für Applaus, in Berlin aber für Kopfschütteln.
Am Donnerstag konnte der ukrainische Botschafter Andrej Melnyk endlich wieder einmal zur Bundesregierung durchdringen. Also nicht ganz, aber immerhin bis zur Fraktion der mitregierenden Grünen: Deren Fraktionsvorsitzende, Katharina Dröge, und der außenpolitische Sprecher, Jürgen Trittin, empfingen die ukrainische Wirtschaftsministerin und stellvertretende Regierungschefin Julia Swidrinko sowie Rostislaw Schurmna, Vize-Chef des Präsidialamts, zusammen mit dem Botschafter.
Es ist Melnyks wichtigste Aufgabe, deutsche Unterstützung für sein von einer russischen Invasion bedrohtes Heimatland zu organisieren. Und aus Sicht Kiews heißt Unterstützung vor allem militärische Ausrüstung und Ausbildung für die eigenen Streitkräfte. "Wir sind davon überzeugt, dass Waffenlieferungen jetzt keinen Beitrag zur Deeskalation leisten können", erklärte hernach Dröge ntv.de. Das Treffen sei aber wichtig gewesen, "um nochmal zu betonen, dass wir fest an der Seite der Ukraine stehen", sagte Dröge unter Verweis auf Vorschläge, die bilateralen Beziehungen zu vertiefen.
Unwahrscheinlich, dass die ukrainische Delegation gänzlich zufrieden war. Denn mit dem, was bisher aus Deutschland kommt, ist zumindest Melnyk mehr als unzufrieden. Als Anfang der Woche ein Artikel fragte "Was tut Deutschland für die Ukraine?", verbreitete der Diplomat die Überschrift auf Twitter und lieferte gleich eine Antwort mit: "nichts". Später löschte Melnyk den Tweet wieder, schließlich war zeitgleich die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock in Kiew zu Besuch und sein Dienstherr, der ukrainische Außenminister, um das Bild von Geschlossenheit zwischen seinem Land und dem westlichen Partner bemüht. Dass Melnyk sich künftig um einen freundlicheren Ton gegenüber Deutschland bemüht, sollte aber in Berlin niemand erwarten.
Seit Monaten ist der seit 2014 nach Deutschland abgeordnete Diplomat der mit Abstand präsenteste Botschafter in den deutschen Medien. Auf die klassischen Gepflogenheiten der Diplomatie legt er dabei wenig Wert. Anstatt sich allein hinter den Kulissen um das Ohr der maßgeblichen Entscheider zu bemühen, sucht der 46-Jährige die Öffentlichkeit und nimmt kein Blatt vor den Mund, weder am Mikrofon noch auf Twitter. Melnyk macht PR für ein Land, das unverschuldet von einer militärischen Großmacht bedroht wird. Der selbstbewusste Jurist gibt seinem Heimatland, zu dem vielen Deutschen kaum etwas einfällt, ein Gesicht.
Wer nicht für uns ist, ist gegen uns
Am vergangenen Sonntag konnte Melnyk das vor dem Millionenpublikum von Anne Will tun. Die Frau des Botschafters, Svitlana Melnyk, trommelte vor Sendungsbeginn via Facebook, ihr Mann wage sich in die Höhle des Löwen. Die Studiogäste - SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin und Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch - seien "offen gesagt pro-russische Politiker". Freunde der Ukraine, so sehen das die Melnyks, sollten auch Partei für das Land ergreifen und zu Waffenlieferungen bereit sein - erst Recht Deutschland als viertgrößter Waffenexporteur der Welt. Wer das aber nicht tut, ist in dieser Lesart kein Freund, sondern "pro-russisch".
Dass Botschafter Melnyk seine Forderungen nach Waffenlieferungen über die Öffentlichkeit platziert, ist auch dem Gefühl geschuldet, andernfalls unbeachtet zu bleiben. Nicht immer wird er bis zur Bundesregierung vorgelassen. Auf Nachfrage von ntv.de beteuert das Auswärtige Amt, Melnyks Äußerungen "auf allen Kanälen" würden zur Kenntnis genommen und der Austausch mit ihm sei eng. Als der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, SPD-Politiker Michael Roth, im ntv.de-Interview die Ukrainer aufforderte, Kontroversen bitte "hinter geschlossenen Türen" zu diskutieren, machte Melnyk auf Twitter öffentlich, dass seine Bitten um Gesprächstermine von Roth bislang ignoriert worden seien.
Andererseits wird die große Politik auch nicht auf der Ebene von Botschaftern gemacht. Die wirklich wichtige Kommunikation - gerade in akuten Krisen wie derzeit - findet direkt zwischen den Hauptstädten statt, wie ein erfahrener deutscher Diplomat ntv.de im Gespräch erläutert. Ob Melnyks unkonventionelles Vorgehen mit Kiew abgestimmt oder eher einer Hilflosigkeit im Angesicht der russischen Bedrohung geschuldet ist, sei schwer abzuschätzen.
"Das eine oder andere deutliche Kopfschütteln"
Tatsächlich kommt in Kiew vor allem an, dass es Melnyk gelungen ist, sich in Deutschland Gehör zu verschaffen. Für die aus Teilen der Bundesregierung kolportierte Entfremdung zwischen Melnyk und dem ukrainischen Außenministerium finden sich nicht auf Anhieb Belege. Im Gegenteil: Ein ukrainischer Think Tank hatte Melnyks Vertretung noch im Dezember 2020 als produktivste Botschaft des Landes ausgezeichnet. Dass Melnyk bald acht Jahre in Berlin wirkt und nicht schon früher rotieren musste, deutet ebenfalls daraufhin, dass die Dauerpräsenz des Botschafters in Berlin Anerkennung in der Heimat findet. Von pro-russischen Medien abgesehen, erfährt Melnyk daheim viel Lob.
Doch auch Kiew freundlich gesinnte Politiker warnen: Der Bundestagsabgeordnete Johannes Schraps, der als Berichterstatter der SPD unter anderem für die Ukraine zuständig ist, lässt keinerlei Zweifel daran, dass er Russland mit seinen mehr als 100.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine für den allein verantwortlichen Aggressor hält. Dennoch ist ihm ein gewisses Unverständnis über die Wortwahl des ukrainischen Botschafters anzumerken: "Ich nehme unter den Kolleginnen und Kollegen im Bundestag schon das eine oder andere deutliche Kopfschütteln wahr, wenn Deutschlands internationales Renommee und die Rolle als verlässlicher Partner durch Äußerungen des ukrainischen Botschafters derart angegriffen werden", sagt Schraps.
"Auch bei mir hat sich der Eindruck festgesetzt, dass Botschafter Melnyk zuletzt mit einigen Äußerungen über das Ziel hinausgeschossen ist." Deutschland habe die Ukraine in den vergangenen Jahren wie kein anderes Land unterstützt - "nicht nur finanziell, sondern beispielsweise auch beim Aufbau einer modernen Verwaltung", so Schraps. "Es wäre schade, wenn diese Hilfen gering geschätzt würden, während andererseits manche Reformzusage der ukrainischen Regierung nur schleppend umgesetzt wurde."
Kein öffentlicher Dissens mit Kiew
Für die Bundesregierung ist der Umgang mit der ukrainischen Regierung ein Balance-Akt. Berlin sieht das Land akut bedroht und will weitere Übergriffe gegen das ukrainische Territorium und gegen das Selbstbestimmungsrecht der Ukrainer durch Putins Streitkräfte unbedingt verhindern. Öffentliche Kritik, die den Eindruck erwecken könnte, es gebe einen Dissens zwischen Kiew und seinen westlichen Partnern, wird daher tunlichst vermieden .Gleichzeitig weiß die Bundesregierung, dass sich auch die Regierung in Kiew für eine Entspannung des Konflikts in den östlichen Rebellengebieten wird bewegen müssen.
So verlangt das Abkommen Minsk 2, dass Kiew die Wirtschaftsbeziehungen und den Zahlungsverkehr mit den abtrünnigen Regionen nicht länger blockieren soll. Zudem soll den selbsternannten Rebellenrepubliken Donezk und Luhansk qua Verfassung ein Sonderstatus eingeräumt werden, der ihnen mehr Autonomie verschafft. Russlands dauerhafte Mitbestimmung über einen großen Teil des Landes würde damit quasi zementiert, weshalb der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj einen so unpopulären Schritt bislang vermieden hat.
Weitere Gebietsverluste nach der Annexion der Halbinsel Krim würden viele Ukrainer als Bedrohung ihrer Staatlichkeit begreifen. Deshalb geht es bei Melnyks Aktivitäten auch nicht allein darum, sein Land aufzurüsten und den Westen zur Solidarität zu verpflichten. Melnyk will in Deutschland ein Bewusstsein dafür schaffen, dass die Ukraine eine eigene Nation ist, der gegenüber die Bundesregierung genauso historische Verantwortung trägt wie gegenüber Russland.
Die Ukraine will gesehen werden
Kiew fordert seit Jahren, dass der Bundestag die Millionen ukrainischen Hungertoten in den 1930er Jahren als einen von der Sowjetunion verübten Völkermord anerkennt - bislang vergeblich. Bundesaußenministerin Baerbock besuchte am Montag zwar das Holodomor-Mahnmal in Kiew, musste sich anschließend aber von ihrem Amtskollegen Dmytro Kuleba öffentlich ermahnen lassen, dass Deutschland endlich die Einstufung als Genozid vornehmen müsse.
Zudem streitet Melnyk wiederholt dafür, dass in Berlin den nationalsozialistischen Verbrechen an den Ukrainern ein eigenes Mahnmal errichtet wird. In der deutschen Erinnerungskultur sind die ukrainischen Opfer als Teil der deutschen Verbrechen in der Sowjetunion bislang immer mit gemeint. Eine Gedenkzeremonie zum 80. Jahrestag des Überfalls von Nazi-Deutschland auf die Sowjetunion mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im vergangenen Juni boykottierte Melnyk deshalb. Es war ein kleiner Eklat. Melnyk habe sich mit diesem Verhalten "nicht viele Freunde gemacht", sagt ein ehemalige Diplomat. Das mediale Echo aber war bis Kiew zu hören.
Quelle: ntv.de