Kommunen fordern schnelle Hilfen Kinder stecken in "echten Lebenskrisen"
28.04.2021, 15:30 Uhr
Kinder verbringen gerade die meiste Zeit des Tages zu Hause und werden auch dort unterrichtet. Das hinterlässt bei vielen Spuren.
(Foto: imago images/photothek)
Seit geraumer Zeit gehen Kinder selten oder gar nicht zur Schule, unterrichtet wird zu Hause. Auch sämtliche Freizeitaktivitäten sind aufgrund von Corona stark eingeschränkt. Nun ist ein großes "Aufholprogramm" geplant, das nach Auffassung der Kommunen schnellstmöglich kommen muss.
Seit fast einem halben Jahr sitzen viele Kinder und Jugendliche wegen Corona größtenteils zu Hause. Der Deutsche Städtetag warnt vor Langzeitfolgen und ruft die Bundesregierung dazu auf, schnell das geplante Corona-Aufholprogramm auf den Weg zu bringen, mit dem die negativen Folgen der Corona-Einschränkungen für die junge Generation abgefedert werden sollen.
Eine aktuelle Umfrage des Digitalverbandes Bitkom zeigt zudem, dass es mit dem nun seit Dezember laufenden sogenannten Fern- oder Distanzunterricht aus Sicht vieler Eltern weiter ruckelt. Neben aufgebauten Lernrückständen bei Kindern und Jugendlichen gebe es "gravierende" Einschränkungen in deren Alltag, sagte Städtetagsvizepräsident Markus Lewe. Vieles liege seit Monaten brach.
Lewe nannte unter anderem fehlende Treffen mit Freunden, ausfallendes Training im Sportverein und unsichere Zukunftsperspektiven. "Das hinterlässt Spuren in Körper und Seele bei Millionen von Kindern und Jugendlichen." Kinder und Jugendliche müssten Psychologen aufsuchen. "Es entstehen echte Lebenskrisen." Und auch die Psyche von Eltern und denjenigen, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun hätten, sei teilweise erheblich angegriffen.
Experten sehen auch gesundheitliche Risiken: Eine Langzeitstudie des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) hatte am Dienstag gezeigt, dass sich Kinder und Jugendliche in der anhaltenden Schließungsphase seit dem Winter nicht einmal halb so viel bewegt haben wie im ersten Lockdown im Frühjahr 2020. Dafür verbringen sie mehr Zeit vor Bildschirmen.
Milliarden für Nachhilfe
Die Bundesregierung will nun mit einem zwei Milliarden Euro schweren Nachhilfe- und Sozialprogramm für Kinder und Jugendliche die Langzeitfolgen abmildern. Das Programm sollte ursprünglich am Dienstag im Bundeskabinett auf den Weg gebracht werden. Weil es noch Abstimmungsbedarf zwischen Union und SPD gibt, wurde der Beschluss verschoben. "Wir hoffen sehr, dass das Bundeskabinett kommende Woche Grundzüge für ein solches Programm beschließt", sagte Lewe.
Mit den zwei Milliarden Euro sollen zur Hälfte Nachhilfe- und Förderprogramme für Schüler in den Ländern unterstützt werden, zum Beispiel unter Mithilfe pensionierter Lehrer, aber auch durch kommerzielle Anbieter. Es wird davon ausgegangen, dass jeder vierte Schüler wegen Corona Lernrückstände aufzuholen hat.
Die zweite Milliarde ist für die Aufstockung verschiedener sozialer Programme vorgesehen, um die sozialen und psychischen Krisenfolgen für Kinder und Jugendliche abzufedern. Hier geht es zum Beispiel um mehr Geld für Sprachförderung an Kitas in sogenannten sozialen Brennpunkten, weil Kinder lange nicht in ihren Einrichtungen waren. Auch eine stärkere Förderung von Schulsozialarbeit, Freizeitangeboten und kostengünstigen Ferienfahrten ist geplant.
Die SPD will zudem eine Einmalzahlung von 100 Euro für Kinder aus Familien durchsetzen, die auf Hartz IV angewiesen sind oder nur ein sehr geringes Einkommen haben. Das Geld soll je nach Bedarf für Ferien-, Sport- und Freizeitaktivitäten eingesetzt werden können.
Vor allem benachteiligte Kinder betroffen
Nach Angaben von Familienministerin Franziska Giffey treffen die Corona-Einschränkungen besonders diejenigen, die schon vor der Krise sozial benachteiligt waren. "80 Prozent der Kinder geht es gut, 20 Prozent sind aber eben mit besonderem Unterstützungsbedarf, das sind sehr viele Kinder mit Migrationshintergrund. Und diese Schere wird natürlich durch die Pandemie verstärkt", sagte sie im ARD-"Morgenmagazin". Die Bundesregierung werde deshalb mit dem Aufholprogramm besonders diese Kinder und Jugendlichen in den Blick nehmen.
Die Stillstandsphase für Kinder und Jugendliche zieht sich nun bald ein halbes Jahr hin. Seit Dezember lernen viele Schüler zu Hause am Tablet oder Laptop - inzwischen gibt es zwar auch wieder sogenannten Wechselunterricht, aber normaler Schulbetrieb ist noch in weiter Ferne. Läuft es mit dem "Fernunterricht" inzwischen besser? Es hat sich viel getan in einem Jahr, sagte Lehrerverbandspräsident Heinz-Peter Meidinger und sprach von einem Digitalisierungsschub an den Schulen. "Wer hätte sich wirklich vor eineinhalb Jahren vorstellen können, dass mal der größte Teil der Schülerinnen und Schüler per Distanzunterricht beschult wird?"
Aber es ruckelt noch, wie eine repräsentative Umfrage unter Eltern für den Digitalverband Bitkom zeigt. Die Befragung fand im Februar und März statt. 71 Prozent der Eltern berichteten von nicht erreichbaren Lernplattformen. Bei vier von zehn Befragten funktionierte das eigene WLAN nicht zuverlässig. 31 Prozent hatten Probleme mit Software oder Apps, die nicht funktionierten. In jedem achten Haushalt (12 Prozent) fehlt es an Geräten. In jedem neunten Haushalt (11 Prozent) wollte das Kind nicht am Online-Unterricht teilnehmen. Nur sieben Prozent der Eltern hatten beim Homeschooling keines dieser Probleme.
Quelle: ntv.de, Jörg Ratzsch, dpa