Besonderes Jahr für Belarus Lässt Putin Lukaschenko 2021 fallen?
25.12.2020, 15:32 Uhr
Lukaschenko und Putin beim Treffen in Sotschi im September.
(Foto: dpa)
Trotz der Proteste ist Europas letzter Diktator noch immer im Amt. Die Macht sichern will er sich mit einer Verfassungsreform, die weder den Westen noch Russland überzeugen dürfte. Wie es in Belarus weitergeht, hängt vor allem von Putin ab.
Für Belarus war 2020 ein besonders aufregendes Jahr. Erst produzierte das postsowjetische Land im Frühjahr weltweit Schlagzeilen, als der autokratisch regierende Präsident Alexander Lukaschenko die Corona-Pandemie weitgehend ignorierte und mit merkwürdigen Empfehlungen wie Wodka trinken gegen das Virus glänzte. Dann wurden mit dem Bankier Wiktor Babariko und dem Videoblogger Sergej Tichanowskij zwei wichtige Konkurrenten von Lukaschenko verhaftet, was für erste Proteste sorgte. Letztlich setzte sich der 66-Jährige am 9. August nach offizieller Darstellung mit 80 Prozent gegen Tichanowskijs Frau Swetlana durch.
Schon in den Tagen vor der Wahl hatte Swetlana Tichanowskaja Zehntausende in den Regionen versammeln können - obwohl politische Demonstrationen in Belarus gefährlich sind. Das äußerst fragwürdige Wahlergebnis löste dann die größten Proteste in der Geschichte des Landes aus. Bis zu 200.000 Menschen kamen allein in der Hauptstadt Minsk zu den regelmäßigen Sonntagsdemos. In Minsk etablierten sich zudem kreative Formate wie Frauen- und Rentnermarsche. Mindestens genauso wichtig war jedoch das überraschende Ausmaß der Demonstrationen in den Regionen.
Zum Jahresende sind die Proteste zwar etwas kleiner geworden. Teils ist das schlechte Wetter der Grund, aber auch die selbst für Belarus beispiellose Härte der Sicherheitsbehörden spielt eine Rolle. Und dennoch finden an den Wochenenden weiterhin bis zu 100 Aktionen statt. Doch was heißt das nun konkret für Belarus sowie für die Zukunft Lukaschenkos?
Lukaschenko will das Amt wechseln
In den letzten Monaten wurde immer offensichtlicher, dass Lukaschenko zusammen mit seinem Sicherheits- und Propagandaapparat in einer anderen Welt lebt als die gefühlte Mehrheit der Belarussen, welche die staatliche Medienmaschine nicht mehr ernst nimmt. Seine Macht kann der seit 1994 regierende Präsident fast nur dank der Stärke der Sicherheitsbehörden behalten. In dieser Ausgangslage ist Lukaschenko noch mehr als üblich auf die Unterstützung des Kremls angewiesen. Denn Russland ist einerseits der wichtigste Geldgeber von Belarus und andererseits kommt auf Moskau fast die Hälfte des belarussischen Außenhandels. Bei einem Treffen in Sotschi im September sagte der russische Präsident Wladimir Putin bereits einem Kredit in Höhe von 1,5 Milliarden US-Dollar zu.
Die Hilfe ist dennoch nicht nur kleiner als gedacht, sie kommt nicht bedingungslos. Russland will Lukaschenko nicht öffentlich fallen lassen, besteht aber auch auf der Notwendigkeit einer weitgehenden Verfassungsreform. Daran hat der russische Außenminister Sergej Lawrow Lukaschenko gleich zu Beginn des neulichen gemeinsamen Treffens zusätzlich erinnert. Der belarussische Präsident hat jedoch bisher merkwürdige Vorstellungen, wie eine solche Reform aussehen soll. Die Idee ist nämlich, die alle fünf Jahre ausgetragene Allbelarussische Volksversammlung zum Analog der Parteitage der Kommunistischen Partei der Sowjetunion zu machen. In der Verfassung könnte vorgeschrieben werden, dass die Volksversammlung die Grundsätze der Innen- und Außenpolitik bestimmt. Zwischen den Tagungen der Versammlung würde deren Präsidium zum wichtigsten Machtorgan des Landes - ähnlich wie einst das Zentralkomitee der Partei zur Sowjetzeit.
"Wenn wir die Befugnisse des Präsidenten wegnehmen, müssen wir sie jemanden übergeben", erklärt Lukaschenko seinen Vorsatz. "Für das Parlament und die Regierung taugen sie nicht. Dagegen haben wir die Allbelarussische Volksversammlung, die einspringen kann." Diese soll bereits Anfang des Jahres ihre eigenen Vorschläge präsentieren und die Reform absegnen. Als möglicher Vorsitzender der Volksversammlung würde Lukaschenko zwar aus der Rolle des Präsidenten ausscheiden und damit formell die Forderungen der Protestierenden erfüllen, doch in Wirklichkeit würde dies an den Machtverhältnissen kaum etwas ändern. Es ist unwahrscheinlich, dass Russland sich mit einer solchen Reform zufriedengibt. Für Putin ist Lukaschenko ohnehin ein schwieriger Partner. Je offener er ihn unterstützt, desto stärker verliert Moskau die Sympathien der Belarussen, was für den Kreml sehr unerwünscht ist.
Wenn Putin den Daumen senkt, muss Lukaschenko gehen
Deswegen kommt es stark darauf an, ob die Proteste nach der Austragung der Volksversammlung wieder stärker werden. Unwahrscheinlich ist dies nicht. Angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise sah sich die belarussische Führung zuletzt zu einer deutlichen Steuererhöhung genötigt. Die Auszahlung der Gehälter bei wichtigen staatlichen Fabriken ist nicht mehr so stabil wie früher. Wenn die Protestaktivität Russland überzeugt, wird sich Moskau wohl auf die Suche nach einem Nachfolger für Lukaschenko begeben. Dieser könnte durchaus der immer noch verhaftete Wiktor Babariko sein, der nach Umfragen von ausländischen Institutionen wie Chatham House das mit Abstand größte Vertrauen im Land genießt. Solche Umfragen sind zwar lückenhaft, weil sie meist nur unter Internet-Nutzern abgehalten werden, wenn auch mit üblichen soziologischen Methoden. Dennoch ist Babariko stets vorne - und als ehemaliger Vorsitzender einer belarussischen Tochter der russischen Gazprombank wäre er auch für den Kreml akzeptabel.
Doch auch Europa hat Einfluss auf die Lage in Belarus. Die bisherigen drei Runden der EU-Sanktionen waren nur oberflächlich, betreffen dennoch zum Teil wichtige Unternehmen. Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung stellte zudem seine Unterstützung im staatlichen Sektor der belarussischen Wirtschaft ein. Dabei hat diese im letzten Jahr die Rekordsumme von 433 Millionen US-Dollar an Minsk gezahlt. Der norwegische Chemiekonzern Yara, einer der größten Käufer des wichtigen belarussischen Unternehmens Belaruskali, macht ebenfalls Druck. Belaruskali gehört zu den bedeutendsten belarussischen Exporteuren. All das macht die Lage der ohnehin schwächelnden Wirtschaft nicht leichter.
Die Schlüssel für die Lösung der Belarus-Krise liegen jedoch in Russland. Die rasche Preisveränderung in Sachen Energieträger könnte Belarus theoretisch schnell in den Staatsbankrott führen, zumal Belarus stark vom Weiterverkauf des russischen Öls profitiert. Auch die russischen Kredite sind für Minsk und Lukaschenko überlebenswichtig. Sollte Wladimir Putin öffentlich sagen, dass Lukaschenko auf das Volk hören und gehen müsste, wäre dies für das gesamte belarussische System ein fataler Schlag. Dass dies passiert, ist 2021 wahrscheinlicher als je zuvor.
Quelle: ntv.de