Politik

AfD-Chaos in Bremen Lucke profitiert vom Krawall

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Laut und streitlustig - am Ende aber lammfromm: die AfD-Basis.

(Foto: dpa)

Jeder Beschluss auf dem AfD-Parteitag wird mit Anträgen zur Geschäftsordnung attackiert. Das Gefecht führt dazu, dass exakt die Tagesordnung verabschiedet wird, die der Chef sich wünscht. Die Öffentlichkeit wird am Samstag ausgesperrt.

Der AfD-Parteitag ist erst vor zwei Stunden eröffnet worden, doch dem Sachsen platzt schon der Kragen. "Die Leute warten in Deutschland auf uns, die wollen nicht so eine Scheiße hier!" Er hat die Nase voll vom Schnellfeuer der Geschäftsordnungsanträge, mit denen einzelne der knapp 2000 anwesenden Mitglieder den Parteitag blockieren.

Zwei Stunden sind für die üblichen Formalia vorgesehen, die am Anfang eines Parteitags halt erledigt werden müssen. Begrüßung, Wahl des Präsidiums, Wahl der Zählkommission, Beschluss der Tagesordnung - solche Dinge. In anderen Parteien geht so etwas schnell, aber die AfD ist ja stolz darauf, anders zu sein als andere Parteien. Parteichef Bernd Lucke hatte die Mitglieder "zu einem hoffentlich konstruktiven Parteitag" begrüßt. Seine Co-Chefin Frauke Petry rief ihre Parteifreunde auf, die "Diskussions- und Entscheidungsprozesse so zu gestalten, dass wir uns nicht in endlosen Diskussionen verlieren und zu demokratisch verabschiedeten Positionen gelangen". Wenn allein Applaus entscheiden würde, dann würde übrigens im Dezember nicht - wie allgemein erwartet - Lucke alleiniger Parteichef. Sondern Petry.

Trotzdem hat das mit den Diskussions- und Entscheidungsprozessen am ersten Tag des Treffens in Bremen nur bedingt geklappt. Sage und schreibe 66 Anträge zur Geschäftsordnung mussten zwischen 18.00 und 20.30 Uhr abgestimmt werden - ihrem Ruf als Sammelbecken für die schlimmsten Querulanten Deutschlands hat die AfD an diesem Abend alle Ehre gemacht. Wobei der Fairness halber gesagt werden muss: Der wütende Sachse, dem die sogenannten GO-Anträge zum Hals raushingen, vertrat ganz offensichtlich die Meinung der Mehrheit.

Zwölf Millisekunden Redezeit

Einer Mehrheit, die schnell wütend wird, dann pfeift und buht, wenn sie Querulanten wittert. Als sich ein Antragsteller mit den Worten vorstellt: "Guten Tag, mein Name ist Wegner", gibt die Versammlung ihm ein genervtes "Uuuuoooh" zur Antwort. Man kennt den Herrn.

Die Wut ist nicht ganz unbegründet. Jede Entscheidung, wirklich jede, wird mit GO-Anträgen attackiert. Ein AfD-Mitglied beantragt, Tagungsleiter Bernd Kölmel, der baden-württembergischer Landesvorsitzender und Europaabgeordneter ist, aus dem Präsidium zu entfernen - nur Minuten, nachdem dieses Präsidium gewählt wurde. Ein weiterer Antrag sieht vor, Kölmels Redezeit auf zwölf Millisekunden pro Beitrag zu begrenzen. Der erste Antrag wird abgelehnt, der zweite als unzulässig zurückgewiesen.

Streit gibt es schließlich, wie erwartet, um die Frage, ob die vier geladenen Gastredner wieder ausgeladen werden sollen. Der erste von ihnen, der Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg, sitzt zu diesem Zeitpunkt bereits in der ersten Reihe und wartet auf seinen Einsatz. Lucke beschwört das Publikum, man könne doch nicht Redner einladen und ihnen dann sagen, dass man sie nicht hören wolle. Ein Zwischenruf unterbricht ihn: "Doch, doch!" Lucke korrigiert sich: "Wir können es machen, aber es gehört sich nicht." Kurz darauf beantragt ein sehr erregtes Mitglied, "dass wir nicht vom Bundesvorsitzenden belehrt werden, was sich gehört oder nicht". Der Antrag wird abgewiesen, der Mann wird verwarnt.

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Beide Hände hoch: So meldet man einen GO-Antrag an. Die typische Geste beim AfD-Parteitag.

(Foto: dpa)

Auf einmal geht es schnell. Kurz vor 20 Uhr stellt jemand einen Antrag auf Nichtbefassung aller GO-Anträge zur Tagesordnung. Kartenzeichen, der Antrag ist angenommen. Stopp! Natürlich stellt jemand einen weiteren GO-Antrag. Er will die Abstimmung wiederholen lassen. Wieder kocht Streit hoch. Am Ende einigt man sich darauf, das Votum mit den elektronischen Abstimmungsgeräten zu wiederholen, die in der Partei eigentlich umstritten sind - auch gegen sie gab es GO-Anräge. Doch um diese Uhrzeit ist die Basis weichgekocht. Die Geräte werden per Kartenzeichen akzeptiert und mit einer Testabstimmung ausprobiert. ("Welches ist das inkompetenteste Mitglied der aktuellen Bundesregierung?", diese Frage soll von den Mitgliedern beantwortet werden. Die Bundeskanzlerin siegt mit 24 Prozent der Stimmen. Wobei die Abstimmung eigentlich ungültig war: Die AfD hatte Verkehrsminister Alexander Dobrindt vergessen.)

Das absurde Ende einer absurden Veranstaltung

Die Abstimmung über die Tagesordnung fällt eindeutig aus. 60 Prozent sind dafür, die Anträge zur Tagesordnung zu ignorieren. Eine weitere Abstimmung nimmt die Tagesordnung unverändert an. Damit war der stundenlange, quälende Streit völlig sinnlos. Es ist das absurde Ende einer absurden Veranstaltung: Am Ende macht die Partei exakt das, was der Chef sich wünscht.

Über Luckes "persönliche Erklärung", die er an diesem Samstag unter Ausschluss der Öffentlichkeit vortragen will, hat der Parteitag nicht einmal diskutiert. Lucke hatte angekündigt, er wolle in dieser Erklärung "persönliche Dinge sagen, von denen ich denke, dass sie einem engeren Kreis vorbehalten bleiben sollten"; an diesem Samstag werden weit mehr als 2000 AfD-Mitglieder in Bremen erwartet, der Parteitag wird daher in zwei unterschiedlichen Veranstaltungsorten stattfinden.

Zwar kann jedes für diesen Parteitag registrierte Mitglied jederzeit - per GO-Antrag - beantragen, die persönliche Erklärung abzusetzen, zu verschieben oder öffentlich stattfinden zu lassen. Doch es gilt als unwahrscheinlich, dass es für solche Anträge eine Mehrheit gibt. "Dafür hat Lucke zu viele Fans", sagt ein hochrangiges AfD-Mitglied - und tröstet den Journalisten: Man verpasse nichts, wenn man die Erklärung nicht höre. Es werde der gleiche Vortrag sein, den Lucke bereits auf der Kreisvorsitzendenversammlung Mitte Januar in Frankfurt gehalten habe. "Nur rührseliges Zeug. Besser, die Öffentlichkeit bekommt davon nichts mit."

Quelle: ntv.de

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