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"Russisches Gesetz" soll kommen Machtkampf in Georgien spitzt sich zu

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Seit Wochen demonstrieren Zehntausende, wie hier Ende April in Tiflis, gegen das "Agenten"-Gesetz.

Seit Wochen demonstrieren Zehntausende, wie hier Ende April in Tiflis, gegen das "Agenten"-Gesetz.

(Foto: IMAGO/ITAR-TASS)

Seit Langem sorgt es für Massenproteste: das "Agenten"-Gesetz, mit dem Georgien mehr Kontrolle über die Opposition ausüben könnte. Nun steht die abschließende Lesung an, und die Regierung kündigt ein hartes Vorgehen an.

In Georgien verschärft sich die Konfrontation zwischen der Regierung und der Protestbewegung. Ministerpräsident Irakli Kobachidse kündigte am Sonntag im Fernsehen an, die Regierungspartei Georgischer Traum werde dafür sorgen, dass das von der Opposition scharf kritisierte "Agenten"-Gesetz verabschiedet werde. Die dritte und abschließende Lesung soll an diesem Montag beginnen. Am Dienstag soll abgestimmt werden.

Angesichts wiederholter Massenproteste gegen den Entwurf kündigte Kobachidse eine strafrechtliche Verfolgung möglicher Gewalt an. "Die Blockade durch Gruppen von Einrichtungen von besonderer Bedeutung kann mit bis zu vier Jahren Haft bestraft werden", erklärte auch Innenminister Vakhtang Gomelauri. "Wir werden diesen Artikel ohne jede Ausnahme gegen Gesetzesbrecher einsetzen."

Der EU-Beitrittskandidat Georgien wird für das geplante Gesetz auch international scharf kritisiert. Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass sich Organisationen, die mehr als 20 Prozent ihrer Finanzmittel aus dem Ausland erhalten, als "Agenten ausländischer Einflussnahme" registrieren lassen müssen. Kritiker sehen Parallelen zu einem ähnlichen Gesetz in Russland, mit dem die Regierung dort gegen Opposition und Zivilgesellschaft vorgeht. Sie befürchten, dass die Organisationen von ausländischem Geld abgeschnitten und mundtot gemacht werden sollen. In Russland werden kritische NGOs als "ausländische Agenten" gebrandmarkt; deshalb nennen die Demonstranten in Georgien den Entwurf nur das "russische Gesetz". Das geplante Gesetz trifft in Georgien auf breiten Widerstand.

Kaum ein Land hat so viel Hilfe bekommen für Projekte in Demokratieförderung, Medien, Soziales, Umwelt und Wirtschaft, wie Georgien. Von mehr als 20.000 registrierten NGOs seien 4500 bis 5000 tatsächlich aktiv, schätzt Stephan Malerius, Vertreter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Tiflis. "Ich glaube, dass die Investitionen der EU, der USA und anderer Geber in die Zivilgesellschaft sehr sinnvoll gewesen sind", sagte der Leiter des Regionalprogramms Politischer Dialog Südkaukasus.

USA befürchten "demokratischen Rückschritt"

In der EU und den USA stößt das Gesetz auf scharfe Kritik. Die EU nannte es ein Hindernis für einen Beitritt Georgiens. "Georgien ist an einem Scheideweg. Es sollte seinen Kurs nach Europa fortsetzen", sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen jüngst. Vielleicht wird nicht sofort der Kandidatenstatus aberkannt. Aber es könnte Sanktionen gegen den Gründer der Regierungspartei, den Milliardär Bidsina Iwanischwili und seine Umgebung geben. In der US-Führung zeigte sich der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan tief besorgt über den "demokratischen Rückschritt".

Die Regierung in Tiflis verteidigt das Vorhaben als Schritt zur Stärkung von Transparenz und zur Bekämpfung "pseudoliberaler Werte". Iwanischwili, der mit Geschäften in Russland reich geworden ist und zeitweise auch Ministerpräsident war, erklärte, das Gesetz diene der Sicherung von Georgiens Souveränität gegen westliche Mächte. Diese wollten das Land in eine Konfrontation mit Russland hineinziehen. Ende April hielt Iwanischwili in Tiflis eine Rede, die eine autoritäre Wende ankündigte - irgendwo zwischen Viktor Orbán in Ungarn und Wladimir Putin in Russland. Er drohte der Opposition strafrechtliche Verfolgung an, nach der kommenden Parlamentswahl im Oktober. Georgien müsse sich vor verderblichem westlichem Einfluss schützen. Und er sprach von einer "globalen Kriegspartei", die Georgien wie die Ukraine zur Konfrontation mit Russland aufhetze.

Kreml verteidigt Gesetz

Russland verteidigte das Gesetz. "Kein souveräner Staat möchte die Einmischung anderer Länder in seine Innenpolitik", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Es sei absurd, das Gesetz als "russisches Projekt" zu sehen. Russland kontrolliert seit einem Krieg im Jahr 2008 die georgischen Regionen Abchasien und Südossetien, die in international nicht anerkannten Schritten ihre Unabhängigkeit von dem Kaukasusstaat erklärt haben.

Beobachter wie Malerius sehen auch über das NGO-Gesetz hinaus Ähnlichkeiten zur Entwicklung in Russland. Ein neues Gesetz erleichtert den Zufluss von Offshore-Geld nach Georgien, was Iwanischwili wie auch Russen helfen könnte, Sanktionen zu umgehen. Solche Indizien legten nahe, "dass das Drehbuch zu diesem Geschehen in Russland geschrieben wurde", sagt Malerius.

Vor allem junge Menschen gehen gegen das Gesetz auf die Straße. Viele haben visafrei die EU besucht und sehen die europäische Perspektive ihres Landes in Gefahr. Klare Führungsfiguren gibt es nicht. Doch Staatspräsidentin Salome Surabischwili steht aufseiten des Protests. Dazu kommen Gewerkschaftler, prominente Sportler und Künstler, einige Geistliche der orthodoxen Kirche und einzelne Vertreter von Georgischer Traum.

Am Samstag hatten in der georgischen Hauptstadt Tiflis Schätzungen zufolge rund 50.000 Menschen friedlich gegen das Gesetzesvorhaben demonstriert. Einige Medien berichteten sogar von Hunderttausenden Demonstranten. Die Regierungspartei sprach von 18.000 Teilnehmern. In den vergangenen Tagen hat die Staatsmacht Regierungsgegner öffentlich angeprangert und Schläger auf sie gehetzt. Dies wiederum heizte die Demonstrationen an.

Iwanischwili und Ministerpräsident Irakli Kobachidse geben sich überzeugt, dass sie die Protestwelle aussitzen können. Doch in der Dynamik der Proteste scheint nicht ausgeschlossen, dass die Regierung stürzt. Georgischer Traum könnte auch im Oktober die Parlamentswahl verlieren, bei der sie angesichts der zersplitterten Opposition eigentlich auf einen ungefährdeten Sieg zusteuerte. Das Gesetz zum zweiten Mal nach 2023 zurückzuziehen, wäre eine bittere Niederlage für Georgischer Traum, schrieb der Experte Alexander Atassunzew für Carnegie Politika. "Aber es nicht zurückzuziehen bedeutet, die europäische Zukunft des Landes zu riskieren und zugleich die eigene Macht."

Quelle: ntv.de, ghö/dpa/rts

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