
Sigmar Gabriel, Emmanuel Macron, Jürgen Habermas (v.l.).
(Foto: AP)
"Wir sind ja Könige, wenn es darum geht, Deutschland Lektionen zu erteilen", sagt der französische Präsidentschaftskandidat Macron in Berlin. Er will es anders machen: Erst zuhause reformieren, dann Europa.
Emmanuel Macron guckt fast ein bisschen schüchtern, als er zusammen mit Sigmar Gabriel und Jürgen Habermas den Saal betritt. Auf der Bühne lächelt er dann, wie Politiker dies eben tun, während die Fotografen Bilder von den dreien machen, Macron in der Mitte, zwischen dem deutschen Außenminister und dem 87 Jahre alten Denker.
In der letzten Reihe wird getuschelt. "Wird er Präsident?", fragt ein Deutscher seinen Nachbarn. "Probablement", antwortet der. Wahrscheinlich. Es klingt allerdings ein bisschen zögerlich.
Im Mai will Macron französischer Präsident werden. Auch hierzulande weiß vermutlich inzwischen jeder, dass er mit seiner ehemaligen Französischlehrerin verheiratet ist, die 24 Jahre älter ist als er. Wichtiger ist allerdings sein politischer Hintergrund: Macron ist parteilos, für seinen Wahlkampf hat er "En Marche!" gegründet, eine Partei, die ganz auf ihn zugeschnitten ist und eher den Charakter einer Bewegung hat. So heißt sie auch, "in Bewegung", wobei die Abkürzung "EM!" nicht ganz zufällig Macrons Initialen entspricht. Der 39-Jährige war mal Mitglied der französischen Sozialisten, bis zum August 2016 war er zudem Wirtschaftsminister, scheiterte aber mit seinen aus linker Sicht neoliberalen Reformplänen. Aus deutscher Perspektive könnte man ihn einen wirtschaftsnahen Sozialdemokraten nennen – er liegt also, kurz gesagt, auf einer Linie mit Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Von der CDU-Chefin ist Macron am Nachmittag empfangen worden. Schließlich ist er jetzt, nach dem Absturz des konservativen Kandidaten François Fillon, die europäische Hoffnung: Er muss, spätestens in der Stichwahl, die Front-National-Chefin Marine Le Pen schlagen.
Danach stellte er sich vor das Kanzleramt und sagte, er wolle, wenn er die Wahl gewinne, die Partnerschaft mit Deutschland stärken. Merkel habe sich "sehr offen für eine noch stärkere deutsch-französische Zusammenarbeit" gezeigt. Einen öffentlichen Auftritt mit der Kanzlerin gab es nicht, auch keine offizielle Unterstützung für seinen Wahlkampf – aber immerhin ein gemeinsames Foto, das Macron auf Twitter postete.
"Die tickende Zeitbombe der Ungleichgewichte"
Jetzt sitzen Macron, Gabriel und Habermas in einer Aula der Hertie School of Governance, einer privaten Universität in Berlin, und diskutieren über die Zukunft Europas. Klingt langweilig? Der Saal ist brechend voll.
Habermas, der in Frankreich außerordentlich bekannt ist, hält eine kurze Einführungsrede, in der er, wie er dies seit Jahren tut, die europäische Sparpolitik geißelt. "Die Austeritätspolitik hat Europa tief gespalten, auch wenn wir das in Deutschland nicht immer hinreichend wahrnehmen", sagt er. Die europäische Integration müsse scheitern, wenn Deutschland nicht bereit sei, "die tickende Zeitbombe der strukturellen wirtschaftlichen Ungleichgewichte in der Eurozone zu entschärfen".
Macron könnte dies aufgreifen und sich Habermas' Vorwurf zu eigen machen. Das tut er nicht. Seit mehr als zehn Jahren habe es in Frankreich keine Reformen gegeben, sagt er. Frankreich müsste erst einmal selbst Reformen durchführen.
Gabriel: Die SPD soll pro-europäisch provozieren
Sigmar Gabriel dagegen stimmt Habermas zu. Die beiden scheinen regelmäßig zu kommunizieren. Habermas schreibe dem SPD-Politiker "empörte Mails, in denen er der Generation Gabriel/Merkel vorwirft, mit der Sparpolitik Europa zu ruinieren", hieß es neulich in der "Zeit" in einem Gabriel-Porträt. "Dann setzt sich Gabriel hin und tippt dem alten Mann eine Antwort in den Laptop."
Diese besondere Beziehung blitzt auch heute kurz auf. Habermas nennt Gabriel "unseren in jüngster Zeit wie ein Phönix aus der Asche aufgestiegenen Außenminister". Möglicherweise schwingt hier ironische Anerkennung mit über den genialen Coup, mit dem Gabriel seinen Freund Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten der SPD gemacht hat. Gabriel reagiert mit gespielter Empörung. Ans Publikum gewandt sagt er: "Wenn Sie wüssten, was der mir für Mails schreibt, dann war das noch höflich eben."
Die Anstöße des Philosophen scheinen jedoch ihre Spuren hinterlassen zu haben. Gabriel sagt, er wolle seiner Partei vorschlagen, einen offensiv europäischen Wahlkampf zu führen. Die SPD soll sagen, dass sie bereit sei, mehr in Europa zu investieren – und der scheidende SPD-Vorsitzende macht kein Geheimnis daraus, dass er nicht in Metaphern spricht, sondern echtes Geld meint. Nur über Provokation – "wir sind bereit, mehr zu zahlen" – kriege man eine Debatte hin.
Die alte Geschichte, Deutschland sei der "Lastesel" der Europäischen Union, nennt Gabriel "Fake News". Die Wahrheit sei, dass die Bundesrepublik von der EU profitiere: politisch, kulturell, was den Frieden angeht, aber auch wirtschaftlich. "Wir haben ein ökonomisches Interesse daran, dass es dem Rest Europas gut geht." Man werde nicht Europa- und Weltmeister im Export, wenn die anderen Länder nichts kaufen könnten. Kurz wird Gabriel pathetisch. "Unsere Kinder und Enkel werden in der Welt keine Stimme mehr haben, es sei denn, es ist eine europäische."
"Er sagt jedem, was er hören will"
Mit Blick auf die Austeritätspolitik verweist Gabriel auf das deutsche Beispiel. Deutschlands Erfolg komme daher, dass die Bundesregierung in der Zeit der Reformen eben nicht versucht habe, Schulden abzubauen. "Wir haben das Gegenteil getan: Wir haben sozialpolitische Reformen – so umstritten sie waren – verbunden mit mehr Schulden, als uns Europa erlaubt hat."
Diese Debatte will Macron nicht führen – noch nicht. Er werde Deutschland nicht sagen, dass es mehr investieren muss. "Wir sind ja Könige, wenn es darum geht, Deutschland Lektionen zu erteilen."
Habermas reicht das nicht. Macron müsse sich überlegen, was er für Europa bei seinem nächsten Besuch in Berlin, dann als französischer Präsident, bei Bundeskanzlerin Merkel oder Bundeskanzler Schulz erreichen wolle. "Wenn wir glaubwürdig sein wollen, dann müssen wir zunächst bei uns zuhause Ordnung schaffen", antwortet Macron. Die Voraussetzung für eine europäische Initiative aus Frankreich sei die Wiederherstellung der französischen Glaubwürdigkeit. "Ich will, dass beides gelingt: die Franzosen überzeugen, dass wir Reformen brauchen, um stärker zu werden, und die Partner überzeugen, dass wir gemeinsam stärker sind."
Bereits Anfang des Jahres war Macron in Berlin. Damals empfing die Kanzlerin ihn nicht – im Gegensatz zu Fillon, der Ende Januar ins Kanzleramt kommen durfte. Nur zwei Tage danach kam raus, dass der Konservative seine Frau Penelope als Mitarbeiterin beschäftigt hatte, obwohl die nie wirklich für ihn tätig war. Seither kommen immer neue Details ans Licht, die Staatsanwaltschaft ermittelt, Fillons Ruf ist ruiniert. Möglicherweise hat "Penelopegate" dazu beigetragen, dass Macron jetzt seinen Termin bei Merkel erhielt. Ganz sicher hat es Macrons Wahlchancen erhöht.
Aber sind seine inhaltlichen Positionen nicht ein bisschen vage? "Er sagt den Leuten immer, was sie hören wollen", erklärt ein französischer Journalist nach der Veranstaltung dem deutschen Kollegen. "Wenn er mit Merkel spricht, sagt er dies, wenn er mit Gabriel spricht, etwas anderes." Einen Opportunisten nennt der Journalist Macron allerdings nicht. "Er will immerhin Reformen durchführen. Das ist neu für Frankreich."
Quelle: ntv.de