Interview mit SPD-Linkem "Martin Schulz hat das Zeug zum Kanzler"
25.01.2017, 14:34 Uhr
Tritt an, um Kanzlerin Merkel abzulösen: SPD-Kandidat Martin Schulz.
(Foto: imago/IPON)
Der SPD-Kanzlerkandidat heißt Martin Schulz. Matthias Miersch, der Sprecher des linken Parteiflügels, erklärt im Interview, warum er den eher rechten Schulz für den besseren Kandidaten und Rot-Rot-Grün nach wie vor für möglich hält.
n-tv.de: Sigmar Gabriel verzichtet, Martin Schulz wird SPD-Kanzlerkandidat – wie überrascht waren Sie, als Sie gestern davon erfahren haben?
Matthias Miersch: Ich war sehr überrascht über die Vorabmeldung des "Stern". Vielen in der SPD war allerdings vorher klar, dass in dieser Woche alles möglich ist. Es gab Anzeichen dafür, dass die Würfel noch nicht gefallen sind.
Die Partei hat aus der Presse erfahren, was Gabriel vorhat. Haben Sie sich darüber geärgert?
So war das von Sigmar Gabriel sicherlich nicht geplant. Die Nachricht kam kurz vor der Fraktionssitzung. Wenige Minuten später hat Gabriel seine Erklärung abgegeben. Das Timing war unglücklich, ist aber jetzt nicht mehr zu ändern.
Wie bewerten Sie Gabriels Entscheidung?
Ich habe großen Respekt vor seiner Entscheidung. Im Vorfeld habe ich immer wieder gesagt, dass die Parteiführung sorgfältig abwägen muss, wer für die SPD im Bundestagswahlkampf die besten Aussichten hat. Die Entscheidung, Martin Schulz zu nominieren, ist richtig. Er hat die besten Chancen, für die SPD ein gutes Ergebnis zu holen. Und er hat das Zeug zum Kanzler.
Warum ist Schulz der bessere Kandidat als Gabriel?
Martin Schulz ist ein absolut glaubwürdiger Politiker, der mit Haut und Haaren für das Versprechen der SPD steht, niemanden zurückzulassen. Wie kein anderer hat er für den Zusammenhalt in Europa gekämpft. Soziale Gerechtigkeit wird mit ihm ganz weit oben auf der politischen Agenda stehen. Und wir sehen ja gerade, dass die Trumps dieser Welt etwas ganz anderes wollen.
Glaubwürdigkeit, Europa, soziale Gerechtigkeit – dafür steht Gabriel nicht?
Gerade was soziale Gerechtigkeit angeht, hat Sigmar Gabriel als Parteivorsitzender große Verdienste. Aber man muss auch demoskopische Erkenntnisse zur Kenntnis nehmen. Gabriel wird in der Bevölkerung kritisch beurteilt, vielen Menschen gilt er als zu sprunghaft. Das ist sicherlich ein ausschlaggebender Punkt.
Ihr Fraktionschef Thomas Oppermann nannte kürzlich das Wahlziel 30 Prozent plus x. Müsste die Partei bei den aktuellen Umfragen nicht schon mit 25 plus x zufrieden sein?
Wir haben Analysen unterschiedlicher Umfrageinstitute, die von einem Potenzial von mehr als 30 Prozent für die SPD ausgehen. Neben dem Spitzenkandidaten ist es deshalb jetzt wichtig, ein klares Programm für die Bundestagswahl zu entwickeln, um den Menschen zu zeigen, welche politischen Alternativen zur Wahl stehen. Ich bin mir sehr sicher, dass wir ein besseres Ergebnis holen, als die jetzigen Umfragen ausweisen.
In den vergangenen Monaten hieß es in der SPD immer: erst die Inhalte, dann die Person. Der Kandidat steht nun fest. Auf die Inhalte angesprochen, hat Martin Schulz gestern jedoch auf das Wochenende verwiesen. Offenbar gibt es noch einiges zu klären. Warum weicht die Partei von der ursprünglichen Marschroute ab?
Es war von Anfang an so geplant, dass der Vorstand sich am Sonntag und Montag mit programmatischen Fragen auseinandersetzt. Für einen erfolgreichen Wahlkampf braucht man immer eine gute glaubwürdige Person an der Spitze und eine Partei, die kämpfen will und kann. Die Benennung von Martin Schulz hat in der SPD einen hohen Motivationsschub ausgelöst. Ich gehe aber davon aus, dass wir jetzt zügig klare politische Forderungen auf den Weg bringen, mit denen wir in den Wahlkampf ziehen. Dann wird sich ein attraktives Gesamtbild ergeben.
Also doch erst die Person und dann das Programm?
Beides ist eng miteinander verbunden. Es war klar, dass die SPD ihren Spitzenkandidaten bis zum 29. Januar benennen wird. Das schließt aber nicht aus, dass man Inhalt und Person zusammen denkt.
Abgesehen von der Großen Koalition hat die SPD eigentlich nur eine Machtoption, nämlich Rot-Rot-Grün. Martin Schulz gilt aber auch im Vergleich zu Gabriel eher als rechter Sozialdemokrat. Sinken mit ihm die Chancen für ein solches Bündnis?
Das Wichtigste ist, dass wir ein deutliches SPD-Profil entwickeln. Wir müssen klar sagen, wie wir uns die nächsten vier Jahre vorstellen und welche Inhalte wir durchsetzen wollen. Was mögliche Koalitionen angeht, werden wir uns vorher nicht festlegen – sowohl eine Ampel als auch eine rot-rot-grüne Koalition sind vorstellbar und mit Martin Schulz sicherlich grundsätzlich möglich.
Sollte Schulz in den nächsten Wochen zeigen, dass er offen ist für Rot-Rot-Grün?
Wir haben eine klare Beschlusslage in der Partei, dass wir keine Konstellation ausschließen. Insofern muss Martin Schulz gar nichts machen. Es wird vor der Bundestagswahl an vielen Stellen die Möglichkeit geben, mit Grünen und Linken zu diskutieren, ob wir gemeinsame Perspektiven haben. Ich bin sicher, dass Martin Schulz sich dort einbringen wird.
Mit Matthias Miersch sprach Christian Rothenberg
Quelle: ntv.de