
Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble mussten um die Mehrheit nicht bangen.
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Fast alle Abgeordneten stimmen im Bundestag für die Verlängerung der Griechenland-Hilfen. Das klingt, als seien alle einer Meinung. So ist es aber ganz und gar nicht.
Die Situation könnte kaum skurriler sein. Alle Fraktionen haben der Verlängerung der Griechenland-Hilfen im Bundestag zugestimmt - sogar die Linken, die Hilfsprogramme in der Eurokrise noch nie gebilligt haben. 13 Enthaltungen gibt es, die meisten von den Linken. Von den 32 Nein-Stimmen kommen 29 aus der Unionsfraktion, drei von den Linken.
Kurzum: Fast alle Bundestagsabgeordneten stimmen einheitlich ab, 541 sind für die Griechenland-Hilfen. Aber sie sind völlig unterschiedlicher Meinung. Das mediale Fernduell, das Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und sein griechischer Kollege Yanis Varoufakis in den vergangenen Tagen geführt haben, wird hier fortgesetzt. Dabei folgt jeder seiner eigenen Wahrheit - es wirkt, als stimmten die Fraktionen über völlig unterschiedliche Anträge ab.
Die Union und, im Ton etwas moderater, die SPD sagen in der Debatte, Griechenland habe sich selbst in die Wirtschaftskrise manövriert und müsse nun zu den Verpflichtungen stehen, die es eingegangen sei. Grüne und Linke, mit deutlich unterschiedlicher Tonlage, argumentieren, die Krise sei durch die von außen aufgezwungene Sparpolitik verschärft oder verursacht worden. Nun müssten die Griechen Spielraum bekommen, um die Sparpolitik zu lockern. "Das ist das Ende der Troika-Diktatur", jubelt Linken-Fraktionschef Gregor Gysi.
SPD gegen Linke, Grüne gegen Union
Und doch verlaufen die Fronten nicht zwischen Regierungsfraktionen und Opposition, sondern zwischen Grünen und Union sowie, stärker noch, zwischen SPD und Linken. Vor allem die SPD-Finanzexperten Carsten Schneider und Johannes Kahrs greifen die Linken scharf an. Beide zitieren aus einer Rede von Linken-Fraktionsvize Dietmar Bartsch, der Ende 2014 gesagt hatte, "niemals" werde man erleben, dass die Linken einer solchen Politik zustimmen. "Worüber Sie heute abstimmen, ist exakt das Gleiche wie im Dezember", sagt Schneider. Schon damals war das Hilfsprogramm verlängert worden, um zwei Monate.
Schneiders Kollege Kahrs setzt noch einen drauf. Er wirft Bartsch vor, "gelogen" zu haben, der Linksfraktion insgesamt wirft er vor, Anhänger einer Regierung aus Links- und Rechtsradikalen zu sein. "Wer Populismus will, gepaart mit einer gehörigen Portion Dummheit, der muss Linke wählen", ruft Kahrs.
An der anderen Front, die sich an diesem Tag durch den Bundestag zieht, greift Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter die Union an. Die Äußerungen von Unionspolitikern hätten gezeigt, dass sie "von panischer Angst" getrieben seien, Wähler an die AfD zu verlieren. Als CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sagt, er wolle Sachlichkeit in die Debatte bringen, bricht die Grünen-Fraktion in schallendes Gelächter aus.
Schäuble bleibt hart: keine Zugeständnisse
Finanzminister Schäuble hatte als erster Redner in der Debatte gesagt, die Entscheidung, die er vom Bundestag erbitte, falle keinem Abgeordneten leicht. Ausdrücklich bestreitet er, dass es auch nur kleinste Zugeständnisse an Griechenland gegeben habe.
Grundlage seines Antrags an den Bundestag sei die Zusicherung der griechischen Regierung, das Programm "ohne jede Einschränkung" erfüllen zu wollen. Selbst in einem Detail, in dem die Erklärung der Euro-Finanzminister vom vergangenen Freitag den Griechen einen gewissen Spielraum zugesteht, zeigt sich Schäuble hart: "Griechenland hat sich verpflichtet, am Primärüberschuss festzuhalten, um die Schuldentragfähigkeit zu erreichen." Er betont auch, dass die Rolle der Troika unverändert sei und dass der Beschluss des Bundestags keineswegs bedeute, dass Griechenland automatisch Geld bekomme.
Am Ende seiner Rede wendet Schäuble sich ausdrücklich an seine eigene Fraktion. Er habe Respekt vor jedem, der nicht zustimmen könne. Aber, so sagt Schäuble unter Berufung auf den Philosophen Immanuel Kant: "Wir sollten gelegentlich daran denken, was wäre, wenn alle diese Entscheidung treffen. Wir werden in Europa nur eine gute Zukunft haben, wenn die europäische Einigung weitergeht."
Das dritte Hilfspaket hängt von der Union ab
Wie geht es jetzt weiter? Schon in vier Monaten wird die Eurogruppe und gegebenenfalls auch der Bundestag vor der Frage stehen, ob Griechenland ein drittes Hilfsprogramm bekommt. Die Redner von SPD und Grünen signalisierten, dass sie, wenn die Voraussetzungen stimmen, dazu bereit wären.
Damit wird die Entscheidung von CDU und CSU abhängen. Die Stimmung in der Union mit Blick auf Griechenland ist nicht gerade wohlwollend - was schon daran zu erkennen ist, dass die Fraktion den Euro-Kritiker Klaus-Peter Willsch als Redner nominiert hat. Für seinen Appell - "lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende" - bekommt er von seinen Fraktionskollegen zwar kaum Applaus.
Aber die Stimmung könnte sich noch stärker verschlechtern. CDU-Finanzexperte Ralph Brinkhaus betont: Wie die Entscheidung über ein drittes Hilfsprogramm ausfalle, liege allein bei den Griechen. Ihnen sei es überlassen, ob sie in der Eurozone bleiben wollen oder nicht. Ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone sei "gefährlich", räumt Brinkhaus ein. "Aber noch gefährlicher ist es, wenn die Eurozone von innen zerstört wird."
Quelle: ntv.de