Rede zu einer verunsicherten Nation Merkel ist aufregend unaufgeregt
28.07.2016, 19:29 Uhr
(Foto: imago/Metodi Popow)
Ist es angesichts des Terrors in Deutschland nicht höchste Zeit für ein paar offen zur Schau getragene Emotionen und demonstratives Handeln? Kanzlerin Merkel ist da offensichtlich anderer Meinung. Zum Glück.
An Versuchen, die Kanzlerin in Wallungen zu versetzen, fehlt es nicht. Als längst klar war, dass sie weiterhin an ihr "Wir schaffen das" aus dem vergangenen Sommer glaubt, fordert eine Journalistin Angela Merkel zu einem Gedankenspiel auf, das in etwa so ging: Stellen Sie sich vor, bat die Journalistin, Sie treffen auf einen einfachen Bürger, und der sagt Ihnen: "Sie und ihre Willkommenskultur sind schuld an den Terroranschlägen in Deutschland." Was würden Sie antworten?
1. Ein besseres Frühwarnsystem für die mögliche Radikalisierung von Asylbewerbern, 2. Verstärkung von Personal und Verbesserung der Ausstattung der Sicherheitsbehörden, 3. Die bereits beschlossene zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich soll aufgebaut werden, 4. Übungen für terroristische Großlagen, bei denen auch die Bundeswehr eingebunden werden kann, 5. Fortsetzung und Erweiterung aller Forschungsvorhaben zum islamistischen Terror, 6. Vernetzung aller bestehen Daten europaweit, 7. Verabschiedung des neuen europäischen Waffenrechts, 8. Verstärkung der Kooperation mit befreundeten Nachrichtendiensten, 9. Rückführungen von Flüchtlingen in ihre Herkunftsländer verstärken.
Merkel hat nach den islamistischen Anschlägen von Würzburg und Ansbach sowie dem Amoklauf von München ihren Urlaub unterbrochen und ihr alljährliches Treffen mit der Hauptstadtpresse vorgezogen. Die Sehnsucht der Öffentlichkeit nach einer Reaktion auf die blutigen vergangenen Tage war groß. Manch einer hat sich dabei offensichtlich auch endlich mal ein paar offen zur Schau getragene Emotionen von der Kanzlerin erhofft – und beherztes Handeln.
In Wallungen gerät Merkel trotzdem nicht. Terror sei gewiss nicht das Produkt übermäßigen Humanismus. Das stellte sie zur eingangs aufgeworfenen Frage fest, indem sie Terror auch als eine der "Schattenseiten" der Globalisierungen beschreibt. Sie tut das ausgesprochen zurückhaltend. Und das kann man ihr in Zeiten, in denen populistische Eskapaden Hochkonjunktur haben – man denke an den Republikaner Donald Trump, den Brexit-Provokateur Boris Johnson oder den zusehends freidrehenden türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan - kaum hoch genug anrechnen.
Von den Aufgeregten der Bundesrepublik, namentlich von Horst Seehofer und seiner CSU, war zuvor zu hören: "Der islamistische Terror ist in Deutschland angekommen." Doch die Sorgen der Bevölkerung ernst zu nehmen bedeutet nun mal nicht, sie durch Gefühlsausbrüche, unüberlegte oder wie in diesem Falle schlicht falsche Aussagen weiter zu schüren. Die Angst vor islamistischen Terror ist seit den Anschlägen auf das World Trade Center vor nunmehr 15 Jahren ein Faktor in Politik und Gesellschaft. Und Würzburg und Ansbach waren nicht die ersten blutigen islamistischen Anschläge in Deutschland. Merkel differenziert hier deutlich.
"Sicherheit durch Stärke"?
Die meisten Menschen haben längst verstanden, dass es dem islamistischen Terror vor allem darum geht, offene und freie Gesellschaften zu zerstören. Entscheidend ist in Tagen wie diesen deshalb, den Menschen das Gefühl zu vermitteln, die Ursachen des Terrors im Blick zu haben sowie Schwachstellen im Sicherheitskonzept zu suchen, zu finden und zu schließen, ohne die eigene Lebensweise zu sehr zu schleifen. Dabei handelt es sich um einen fortwährenden Lern- und Abwägungsprozess. Das Wissen darum mag nicht alle verunsicherten Bürger beruhigen. Mehr als sich diesem Abwägungsprozess besonnen zu stellen, was Merkel tut, kann ein Politiker aber schlicht nicht glaubhaft verkaufen, auch das macht ein Blick auf die Aufgeregten der Nation deutlich.
Die CSU präsentierte kurz vor Merkels Auftritt ein Maßnahmepaket namens "Sicherheit durch Stärke". Seehofer tut gerade so, als wäre es, genügend Anstrengung vorausgesetzt, durchaus möglich, einhundertprozentige Sicherheit zu garantieren. Blödsinn.
Vorwerfen lassen muss sich Merkel angesichts ihres Auftritts wohl vor allem eines: Sie trat so unaufgeregt auf, dass es einen fast schon wieder aufregen konnte, als es um die Forderungen aus der Schwesterpartei ging, Flüchtlinge zur Not auch in Krisengebiete abzuschieben. Merkel ignoriert den Aufruf zum Bruch diverser internationaler Abkommen einfach. Tatsächlich ist es dieser Einwurf aber auch nicht wert, sich ernsthaft damit zu befassen.
Quelle: ntv.de