Wahl im Bundestag Merkel schürzt nur die Lippen
17.12.2013, 16:41 Uhr
(Foto: imago/Xinhua)
Die Großkoalitionäre sind müde, aber zufrieden. Bei der Wahl der Kanzlerin im Bundestag wird geplaudert und gelacht. Nur die Grünen machen einen ratlosen Eindruck. Ihnen fehlt das kommunikative Talent von Claudia Roth.
Im Bundestag geht es zu wie auf einem Klassenausflug: Die Stimmung ist gelöst, man unterhält sich und lacht. Das ist der Vorteil der Großen Koalition: Niemand ist wirklich gespannt auf das Abstimmungsergebnis.
462 Ja-Stimmen erhält Angela Merkel bei ihrer dritten Wahl zur Kanzlerin, 42 Stimmen weniger als Union und SPD zusammen haben. Ein paar Abgeordnete fehlen allerdings, so dass am Ende höchstens 32 Abgeordnete Merkel die Stimme verweigern. Die meisten von ihnen, aber wahrscheinlich nicht alle, dürften in der SPD-Fraktion sitzen. Große Koalitionen sorgen eben nicht dafür, dass alle Abgeordneten diszipliniert mit Ja votieren, wenn ihre Führung das von ihnen erwartet.
Andrea Nahles übt bei n-tv wenig später Kritik an den Abweichlern. "Ich hätte mir gewünscht, dass wenn man eine gemeinsame Regierung anstrebt, dass man das mit einem noch eindrücklicheren Ergebnis macht", sagt die bisherige SPD-Generalsekretärin. "Aber 2005 waren es sogar noch ein paar mehr Stimmen, die fehlten. Von daher haben wir uns schon gesteigert."
Merkel wirkt zufrieden
Auch Merkel scheint einen schlechteren Ausgang erwartet zu haben. Bundestagspräsident Norbert Lammert verkündet das Ergebnis, und sie schürzt nur die Lippen, als wolle sie sagen: Mit so vielen Stimmen habe ich gar nicht gerechnet. Neben ihr sitzt Unionsfraktionschef Volker Kauder, kramt Blumen hervor und gratuliert. Lammert, der gewohnt feinsinnig durch die Sitzung führt, wendet sich Merkel zu: "Auch wenn ich aus der Entgegennahme des Blumengebindes den begründeten Eindruck gewonnen habe, dass Sie sich ernsthaft mit dem Gedanken tragen, die Wahl anzunehmen, frage ich Sie der guten Ordnung halber: Nehmen Sie die Wahl an?"
Das tut sie. Anschließend unterbricht Lammert die Sitzung, damit Merkel zum Schloss Bellevue fahren kann, um sich von Bundespräsident Joachim Gauck die Ernennungsurkunde abzuholen. Erst jetzt ist sie in ihrer dritten Amtszeit. Danach geht es zurück in den Bundestag, wo Lammert Merkel den Amtseid abnimmt. Und noch einmal fährt Merkel zu Gauck: Auch ihre Ministerinnen und Minister muss der Bundespräsident ernennen.
Nach abermaliger Rückkehr in den Bundestag vereidigt Lammert auch das Kabinett. Alle 15 Minister sprechen die Eidesformel mit dem Zusatz "so wahr mir Gott helfe".
Der neue Verkehrsminister Alexander Dobrindt sorgt für Lacher, als er sich versehentlich vordrängelt: Er sitzt neben Innenminister Thomas de Maizière und steht auf, als dieser fertig ist. Doch protokollarisch folgt auf den Innen- der Justizminister. Dobrindt muss sich gedulden.
Macht zieht an
Mehr als zwölf Wochen nach der Bundestagswahl hat Deutschland eine neue Bundesregierung. Den größten Teil dieser Zeit verbrachten Union und SPD mit Sondierungsgesprächen und Koalitionsverhandlungen. Die letzten Wochen schließlich waren der SPD-Basis gewidmet, auf deren Votum es zu warten galt.
Es war die längste Regierungsbildung in der Geschichte der Bundesrepublik. Sein Fahrer habe ihn schon gefragt, ob nicht endlich bald wieder regiert werde, witzelte Horst Seehofer am Montag bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages.
Seehofer, Dobrindt, Nahles, Merkel und all die anderen, die den Koalitionsvertrag ausgehandelt haben: Ihnen allen ist die Erschöpfung anzumerken. Der guten Laune tut dies keinen Abbruch. Schon vor Beginn der Sitzung schlendert die Kanzlerin durch den Plenarsaal, grüßt und plaudert. Als sie bei Seehofer stehen bleibt, gesellt sich rasch der neue Landwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich dazu, später auch Dobrindt. Bei der Union lässt sich ein älterer Abgeordneter mit dem neuen CDU-Generalsekretär Peter Tauber fotografieren. Macht wirkt anziehend.
Von der Leyen winkt, die Kameras klicken
Das gilt auch für die neue Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Ihr Mann und ihre sieben Kinder sind auch in den Bundestag gekommen, sie sitzen auf der Besuchertribüne. Als von der Leyen ihrer Familie winkt, klicken die Kameras der Fotografen. Ihr neues Amt macht sie zu einem attraktiven Motiv.
Guido Westerwelle, der ebenfalls von der Tribüne aus zuschaut, wird weniger häufig fotografiert. Er sitzt neben Bildungsministerin Johanna Wanka, die nicht Abgeordnete ist und daher erst zu ihrer Vereidigung ins Plenum darf. Für Westerwelle ist es der endgültig letzte Tag als Außenminister. Später übergibt er sein Ministerium an seinen Nachfolger, der bereits sein Vorgänger war, an Frank-Walter Steinmeier.
Gekommen ist auch Merkels Mutter Herlind Kasner. Sie sitzt zwischen Merkels Büroleiterin Beate Baumann und ihrer Medienberaterin Eva Christiansen. Merkels Ehemann Joachim Sauer ist nicht gekommen - auch 2005 und 2009 war der Chemieprofessor nicht dabei, als seine Frau zur Kanzlerin gewählt wurde.
Bei den Grünen lacht nur Roth
Die Grünen dagegen wirken ein wenig eingeklemmt. Sie sitzen nicht wie die Linken am Rand, sondern weiterhin zwischen Union und SPD. Doch wenn Grünen-Abgeordnete sich überhaupt mit Mitgliedern anderer Fraktionen unterhalten, dann mit Sozialdemokraten. Ex-Fraktionschef Jürgen Trittin trägt besonders gute Laune zur Schau. Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter, die jetzt die Fraktion führen, blicken eher ernst.
Eine Ausnahme ist Claudia Roth. Sie spricht und lacht mit dem neuen Kanzleramtsminister Peter Altmaier, mit Gesundheitsminister Hermann Gröhe und mit der bisherigen Integrationsbeauftragten Maria Böhmer, bevor sie sich zu SPD-Chef Sigmar Gabriel setzt. Das Kommunikationsverhalten der anderen Grünen verweist auf das Dilemma der Partei: Gute Kontakte hat man eigentlich nur zur SPD.
In der ersten Reihe der SPD-Fraktion sitzt derweil, etwas verloren, Ex-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Seine Gesprächspartner bleiben nur kurz. Als die Bundeskanzlerin ihn grüßt, macht er einen Witz. Sie lacht. Er lacht heftiger. Dann geht sie weiter. Ohnmacht wirkt nicht anziehend. Später verbreitet Steinbrück eine Erklärung, in der es heißt, er werde sich wie angekündigt aus der Führung der SPD "und damit aus der ersten Reihe der deutschen Politik" zurückziehen. "Über die Ausübung meines Mandates als Abgeordneter des 18. Deutschen Bundestages werde ich zu gegebener Zeit entscheiden." Heißt: Vielleicht bleibt er im Bundestag, vielleicht nicht. Dieser Klassenausflug, so scheint es, hat ihm nicht gefallen.
Quelle: ntv.de