Politik

Berlin Tag & Macht Merz und Klingbeil stolpern zwischen Prachtfassaden und Prestigekampf

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Ganz so sehr steht das Familienministerium in der Glinkastraße tatsächlich nicht auf dem Kopf - es sei denn man betrachtet es als Spiegelung auf einer Motorhaube.

Ganz so sehr steht das Familienministerium in der Glinkastraße tatsächlich nicht auf dem Kopf - es sei denn man betrachtet es als Spiegelung auf einer Motorhaube.

(Foto: picture alliance)

Das Regierungsviertel in Berlin ist ein Ort der Kontraste: kolossale Ministerialbauten, kleine politische Epen und ein Koalitionsstreit, der die Bürgerinnen mehr verwirrt als informiert. Eine Flânerie durch Macht, Symbolik, Egos und absurden Stolz. Und was hat eigentlich Heidi Klum damit zu tun?

Flaniert man durch das Berliner Regierungsviertel, begegnet man neben orientierungslosen Touristen auf der Suche nach dem Brandenburger Tor an jeder Ecke unübersehbaren Hinweisen auf die ganz großen politischen Räder. Die werden zwischen Invalidenstraße, Schloss Bellevue, Fischerinsel und Friedrichstraße traditionell häufiger gedreht als Hollywood-Teenager-Komödien, in der sich der superbegehrte High-School-Quarterback unverhofft in das hässliche Schul-Entlein verliebt, das sich am Ende stets als ungeschliffener Rohdiamant entpuppt und als seinem Kokon entstiegenes Supermodel mit dem Stufen-Schönling in den ewigen Liebes-Sonnenuntergang reitet.

Das politische Äquivalent zu diesen filmgewordenen Fließband-Romanzen sind die Gebäude der Bundesministerien: Es gibt zu viele, die Protagonisten wechseln ständig - nur der Plot bleibt derselbe. So schlendert man im Zentrum der Hauptstadt regelmäßig auf Kolossalimmobilien zu, die architektonisch wirken, als hätten die Geissens, Frédéric von Anhalt und der Typ, der Gloria von Thurn und Taxis in den 80ern die Haare gemacht hat, gemeinsam versucht, das Konzept "zu viel Geld - dafür kein Stil" auf Bürogebäude zu übertragen.

Machtzentralen auf Schaufensterbummelhöhe

Allein an der kaum 600 Meter langen Glinkastraße residieren mehr Ministerien oder zumindest zu Ministerien gehörende Behörden, als es FDP-Wähler gibt. Wobei, wenn es danach ginge: Selbst diese Kolumne hat mehr Leserinnen (generisches Femininum) als die FDP Wähler. So gesehen sollte ich eventuell mal über die Gründung einer Partei nachdenken. Die BTM-Partei: Berlin Tag und Macht. Trendgerecht jedenfalls wäre diese Portfolioerweiterung der deutschen Wahlzettel-Historie. Ein-Frau-Parteien sind schließlich spätestens seit Luisa Neubauers Umfirmierung von Klimaschutz-Aktivistin zur Rassismus-, Genozid- und Stadtbild-Expertin absolut en vogue.

Zurück in der Glinkastraße: Wer seinen Blick von den erschütternd opulenten Prachtbauten der Ministerien nicht zu sehr vereinnahmen lässt, entdeckt zwischen all dem Beton erstaunliche Kleinode bundespolitischer Realität. An Hausnummer 32, nur wenige Meter entfernt vom in den Berliner Himmel ragenden BMBFSFJ an Nummer 24, befindet sich das fast schon rührend kleinbürgerlich wirkende Epizentrum des BSW. Das Hauptquartier des Bündnis Sahra Wagenknecht.

Happy-End-Etage an der Glinkastraße

BMBFSFJ klingt zunächst wie ein weiterer Quotenflop von Stefan Raab, steht aber tatsächlich für: Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Ein Name, länger als so manche Karriere ehemaliger AfD-Hoffnungsträger. Das Ministerium nimmt gleich einen ganzen Block zwischen Jägerstraße und Taubenstraße ein. Eine kongeniale Straßenpaarung: Jäger und Taube, Sie verstehen? Gleich nebenan kreuzen sich übrigens Tinder-Straße und One-Night-Stand-Gasse sowie Kuchenweg und Adipositas-Allee - aber das ist eine andere Geschichte.

Die Zentrale des BSW dagegen grenzt direkt an ein eher überschaubar seriös wirkendes Massagestudio mit thailändischem Migrationshintergrund. Womöglich eine gezielte Standortwahl. Ein gelegentliches Happy End könnte der Erfolgsbilanz des BSW jedenfalls nicht schaden. Dem inoffiziellen deutschen Bundesverband der Kreml-Sachverständigen um Wagenknecht, Fabio De Masi und Sevim Dağdelen dürfte jedoch die Nähe zum Russischen Haus und zur Russischen Botschaft wichtiger sein.

Andererseits: So prominent wie sich das Russische Haus an der Friedrichstraße positioniert hat, liegt ohnehin jedes politisch relevante Gebäude im Regierungsviertel in Gehweite. Nur (anders als beim BSW) beschränkt es sich dort auf eine rein räumliche Nähe.

Faktencheck Ministerien: Monolithen des Machtrauschs

Die Mauern der Ministerien sind dick, die Gebäude aufwendig isoliert, die Eingänge Hochsicherheitszonen. Der staunende Flaneur darf seinen Blick über die pompösen Fassaden schweifen lassen, vom hektischen Trubel in den pompösen Machtzentralen ahnt er nichts. Und das ist vielleicht besser so. Oder um mit den Worten des ehemaligen Innenministers Thomas de Maizière zu sprechen: "Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern."

Denn aktuell geht es hoch her in der Regierungskoalition. Unversöhnlich offen ausgetragene Prestigekämpfe um Doppelpass, Bürgergeld, Richterwahl, Wehrpflicht-Debatte, Rentenpaket, Mindestlohn und zuletzt die "Stadtbild"-Diskussion halten die Regierungsallianz stärker in Atem als acht Viagra einen übergewichtigen 85-Jährigen mit 14 Stents und Bluthochdruck im Backstage-Bereich der Victoria's-Secret-Fashion-Show.

Die über Talkshows, Exklusivinterviews und Pressestatements geführten Koalitionskonflikte schaden nicht nur dem politischen Fortschritt, sondern auch den Regierungsparteien selbst. Der seit Tag eins schwelende Rosenkrieg zwischen der Kanzlerpartei und der inzwischen auf Einstelligkeit zusteuernden Sozialdemokratie hat weder bei Berlin-Touristen noch beim Rest der Nation Vertrauen geschaffen. Laut aktueller INSA-Umfrage glauben nur noch 32 Prozent der Deutschen, die Regierung werde die gesamte Legislaturperiode überstehen. Weniger als ein Drittel! Da freut sich ja selbst Meghan Markle über höhere Beliebtheitswerte. Und das sogar, wenn sie mit Bill Cosby eine Sitcom darüber drehen würde, wie Amber Heard aus Rache ihrem Ex-Freund ins Bett kotet.

Heidi Klum und die GroKo: Das große Halloween-Finale

Um die Menschen wieder hinter sich zu vereinen und die Zukunft des Landes vernunftbasiert zu gestalten, sollte die Koalition schleunigst aufhören, parteipolitische Taktik-Manöver zur Wählergewinnung von Palästina-Aktivisten, Migrationskritikern oder Verbrenner-Nostalgikern zu fahren. Stattdessen könnte sie zur Abwechslung damit beginnen, das zu tun, wofür sie bezahlt wird: sich ernsthaft, hauptberuflich und fraktionsübergreifend um die Herausforderungen der Zeit zu kümmern.

Ein Anfang wäre, sich weniger ungeschickt, polarisierend und missverständlich zu äußern - und der echauffierungswilligen Diskursöffentlichkeit nicht ständig neuen Brandbeschleuniger in die Kommentarspalten zu kippen. Friedrich Merz etwa stolpert mit seiner Stadtbild-Metapher mal wieder gekonnt über die im Sturzflug auf ihn zufliegenden Rassismus-Stempel, obwohl sich Grüne wie Cem Özdemir oder jüngst Felix Banaszak ganz ähnlich über die Folgen unkontrollierter Zuwanderung geäußert hatten - nur eben nicht so ungeschickt formuliert.

Währenddessen versucht die von Ex-Punkbandleader Lars Klingbeil geführte SPD, sich beim Mindestlohn mit fremden Federn zu schmücken oder als Trittbrettfahrer der "Fragen Sie mal Ihre Töchter"-Debatte auf den "Merz ist Rassist"-Zug aufzuspringen. Das alles zeichnet ein derart grauenvolles Bild einer Zukunft voller Zwietracht und Profilierungssucht und ohne jegliche Aufbruchstimmung, dass Heidi Klum ernsthaft überlegt, auf ihrer legendären Halloween-Party dieses Jahr als Groko zu gehen. Merz und Klingbeil sind übrigens nicht eingeladen. Thomas Hayo dagegen schon. Das soll jetzt aber keine Vorlage für das Gerücht sein, Hayo wäre ein besserer Kanzler als Merz. Wobei …

Quelle: ntv.de

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