"Man schämt sich für Westerwelle" Minister auf Bewährung
21.04.2011, 12:51 Uhr
Unter Druck: Westerwelle, hier bei einer Pressekonferenz, will Außenminister bleiben.
(Foto: dpa)
Nach seinem Rückzug als FDP-Chef steht Westerwelle auch als Außenminister in Frage. Zum einen, weil der Machtkampf in der FDP noch nicht entschieden ist. Zum anderen, weil er zu viele Fehler gemacht hat.
Anfang des Jahres hatte Guido Westerwelle endlich ein Thema gefunden. Oder das Thema ihn, vielmehr. Der Aufstand mutiger, freiheitssuchender Menschen in Nordafrika und einigen arabischen Ländern wurde vom deutschen Außenminister von Anfang an unterstützt. Tunesien, Ägypten, Jemen und Libyen: Wo immer das Volk gegen seine autoritären Herrscher aufbegehrte, stellte Westerwelle sich an ihre Seite. Bei Tunesien und Ägypten anfangs noch etwas zögerlich, fand er zu Libyen schnell klare Worte: "Dieser Diktator muss gehen. Gaddafi muss weg", sagte er bereits Ende Februar. Der Chef der Freien Demokraten setzte sich für die Freiheit der Menschen ein. Das war populär, das schien glaubwürdig - Westerwelle war ganz und gar Außenpolitiker und erstmals stiegen auch seine persönlichen Umfragewerte wieder.
Doch dann kam der 17. März 2011. Die Abstimmung im UN-Sicherheitsrat ließ die gerade erst gewonnene Glaubwürdigkeit wieder in sich zusammenfallen. Mit der Enthaltung Deutschlands bei der Abstimmung über eine Flugverbotszone in Libyen konterkarierte Westerwelle seinen bisherigen Kurs, verprellte Verbündete und erweckte einmal mehr den Eindruck, außenpolitisch ein Greenhorn zu sein.
Verbündete irritiert
Wie groß der Schaden durch die Abstimmung noch immer ist, wird in Gesprächen mit außenpolitischen Experten und Politikern deutlich. Wenn Namen nicht genannt werden, fallen offene Worte: "Verschiedene Botschafter sagten mir wörtlich: 'Wir dachten immer, Deutschland sei ein zuverlässiger Verbündeter'", fasst ein Außenpolitiker der Unionsfraktion im Bundestag die Reaktionen zusammen. "Die Verstimmung in den USA ist mit den Händen zu greifen", bekommt man auch von einem führenden Experten eines außenpolitischen Thinktanks in Berlin zu hören. Überbewerten wollen sie die Folgen zwar nicht, weil Deutschland sich immer als zuverlässiger Partner erwiesen habe. "Fehler passieren", meint der Wissenschaftler. "Das war offenbar ein Kurzschluss durch den Wahlkampf."

"Die Verstimmung ist mit den Händen zu greifen": Westerwelle mit US-Außenministerin Clinton.
(Foto: AP)
Diesen Kurzschluss hat Westerwelle zwar nicht allein zu verantworten. Die Enthaltung im Sicherheitsrat war mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Verteidigungsminister Thomas de Maizière abgestimmt. Aber als zuständiger Minister bekommt in erster Linie Westerwelle die Verantwortung angelastet, so wie er die Lorbeeren für die Eroberung des Sitzes im Sicherheitsrat bekam. Der Außenminister hätte es besser wissen müssen, lautet die Kritik.
Folgenschwere Enthaltung
In der Unionsfraktion sind Schock und Ärger besonders groß. Bündnistreue gilt als eine der tragenden Säulen der deutschen Außenpolitik, Partner verprellt man nicht. "Die Bündnistreue ist lebenswichtig für Deutschland, wir dürfen da keine Sonderrolle spielen", sagt der Außenpolitiker. Zwar zeige die Entwicklung in Libyen, dass es richtig war, sich nicht zu beteiligen. Aber: "Wir hätten eine Zustimmung bei gleichzeitiger Absage an kriegerische Handlungen bevorzugt." Dieses "Ja, aber" hat selbst die Türkei hinbekommen, die als Vermittler im Nahen Osten auftritt und kein Interesse daran hat, Waffen gegen andere muslimische Völker einzusetzen.
Hätte es nur die Enthaltung im Sicherheitsrat gegeben, müsste sich Westerwelle vielleicht nicht so große Sorgen machen. Doch bei ihm gibt es ein Vor- und ein Nachspiel. Schon sein Amtsantritt wurde von Irritationen begleitet, weil der im Ausland bis dato weitgehend unbekannte neue Minister sich als Friedenspolitiker inszenieren wollte und mit Vehemenz den Abzug der verbliebenen nuklearen Sprengköpfe der USA forderte. Der FDP-Chef liebt plakative Worte. Zu spät merkte Westerwelle, dass sie außenpolitisch nicht immer klug sind. Bei Gaddafi wiederholte er den Fehler, weil er seinen plakativen Worten keine Taten folgen lassen wollte. Und sorgte nach der umstrittenen Enthaltung erneut für Verunsicherung, weil er offensiv einen möglichen Hilfseinsatz der EU mit dem Schutz durch deutsche Soldaten diskutierte. Eine sehr theoretische Diskussion ohne konkreten Anlass, wie sich zeigte. Offenbar ging es Westerwelle um ein Signal der Bündnistreue. So richtig nachvollziehen konnte diesen Kurs aber kaum jemand.
Westerwelles Politikstil führt dazu, dass jeder Auftritt auf internationaler Bühne nun von der Sorge begleitet wird, welchen Fehler der Minister dieses Mal machen könnte. "Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik ist überhaupt nicht mehr berechenbar", kritisierte der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, im Interview mit n-tv.de. Der Druck auf den Außenminister ist groß, das öffentliche und mediale Interesse sowieso. Da wird der kleinste Fehltritt ausgeleuchtet. "Bei Journalisten ist er doch sowieso unten durch, da kann er machen, was er will", merkt der Außenpolitik-Experte an.
"Stimmung im AA ist nicht gut"
Die Sprunghaftigkeit des Ministers sorgt aber auch im Auswärtigen Amt für erhebliche Verstimmung. "Man schämt sich für Westerwelle", ist von verschiedenen Stellen zu hören. Der Amtschef gilt als oberflächlich, beratungsresistent und orientierungslos. Leitende Beamte hatten Westerwelle dringend von einer Enthaltung im Sicherheitsrat abgeraten. "Die Stimmung im Außenministerium ist nicht gut", bestätigt auch der Unionspolitiker. Nicht wenige Mitarbeiter hofften und glaubten, dass Westerwelle die Amtszeit nicht durchhalten werde. Die Diplomaten sind zwar selten zufrieden mit einem Minister, auch Joschka Fischer war zu Beginn nicht gerade beliebt. "Doch hat sich Fischer anfangs vom Amt tragen lassen", erklärt der Berliner Thinktank-Mitarbeiter. Westerwelle habe zudem größere Startschwierigkeiten gehabt, weil er vorher noch nicht Minister war und noch nie die Verantwortung für solche Apparate getragen hatte.
Westerwelles Schicksal als Außenminister wird deshalb wesentlich von seiner Lernfähigkeit abhängen. Er solle möglichst wenig Innenpolitik machen, sich auf die Außenpolitik zurückziehen, wird ihm geraten. Jetzt sei er immerhin von der Last des FDP-Vorsitzes befreit. Allerdings sind die Zweifel groß, ob Westerwelle lernfähig ist und sich als Außenminister halten kann. "Der kommt aus dem Loch nicht mehr raus", sagt der Unionspolitiker. Zumal Westerwelle nicht irgendein Minister, sondern Deutschlands Repräsentant in der Welt ist. "Mindestens 50 Prozent in der Außenpolitik sind Psychologie. Es kommt auf Vertrauen und Zuverlässigkeit an", sagt der Bundestagsabgeordnete.
FDP muss entscheiden
Die Entscheidung über Westerwelle fällt aber an anderer Stelle. Der scheidende FDP-Chef hatte sich bei seinem Rückzug den Posten des Außenministers per Akklamation für den Rest der Legislaturperiode zusichern lassen und damit den künftigen Parteichef Philipp Rösler überrumpelt. Nun gehen aber Rösler und der FDP-Generalsekretär bereits auf Distanz. Christian Lindner bezeichnete die Entscheidung nur noch als "informelles Stimmungsbild" ohne bindende Wirkung. Einige bei den Liberalen können sich den Neuanfang nicht mit Westerwelle vorstellen. Öffentlich gesagt wird das bislang aber nur aus der zweiten und dritten Reihe der Landesverbände.
Letztlich kommt es dabei auf den designierten Parteichef Rösler und die neue Führungsriege der FDP an. Doch da scheint sich zu wiederholen, was bereits beim Kampf um den FDP-Vorsitz der Fall war: Die Jungen sind zu schwach, Westerwelle zu stürzen, und es mangelt an einem geeigneten Nachfolger. "Als Außenminister kommt niemand aus der Boygroup infrage", sagt der Unionspolitiker. Und auch der Außenpolitik-Experte lästert über die "Milchbubengesichter", die jetzt große Politik machen wollten. Der derzeitige Staatsminister im Auswärtigen Amt, Werner Hoyer, gilt zwar als inhaltlich kompetent, aber zu wenig verankert in der Partei. Gut möglich also, dass sich Westerwelle auch nach dem FDP-Parteitag im Amt halten kann. Vorerst zumindest, wie beide Experten betonen. Wenn Rösler sich erst einmal als FDP-Chef etabliert hat und sich stark genug fühlt, könnte er nach dem Posten des Außenministers greifen.
Quelle: ntv.de