Politik

Krieg in Syrien "Mit Assad gibt es keinen Frieden"

RTX2V4LW.jpg

Der Krieg in Syrien werde niemals vorbei sein, solange ein Verbrecher wie Assad an der Macht sei, sagt die in Köln lehrende syrische Soziologin Huda Zein. "Der Sieg eines solchen Regimes kann unmöglich zu Frieden führen."

n-tv.de: Aus russischer Sicht ist die sich abzeichnende Eroberung von Aleppo ein Schritt zum Frieden in Syrien, aus US-amerikanischer Sicht findet in Aleppo ein Blutbad statt, für das Syrien, Russland und der Iran verantwortlich sind. Wem geben Sie recht?

Huda Zein hat in Damaskus Soziologie studiert und in Freiburg promoviert. Sie arbeitet als Dozentin am Orientalischen Seminar der Universität Köln.

Huda Zein hat in Damaskus Soziologie studiert und in Freiburg promoviert. Sie arbeitet als Dozentin am Orientalischen Seminar der Universität Köln.

(Foto: Uni Köln)

Huda Zein: Ich denke, Putin und Russland ist bewusst, dass das, was derzeit in Aleppo passiert, ein Massenmord ist. In Aleppo gab es systematische Zerstörung und massive und maßlose Bombardierungen auf Zivilisten, Infrastruktur, Krankenhäuser, Wohnhäuser. Es erinnert an den Zweiten Weltkrieg. Es gibt Kinder, die sich in den Ruinen verstecken, weil sie ihre Eltern verloren haben. Auf den Straßen liegen Leichen, die wegen der Bombardierungen nicht weggeschafft werden können. Frauen wurden vergewaltigt von Assad-Milizen. Ich weiß das nicht aus Medienberichten, sondern von Freunden und Bekannten aus Aleppo. Was Russland, Iran und das Assad-Regime in Aleppo machen, ist ein großes Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es ist ein Verfall der internationalen Politik und ein schwarzer Fleck in die Geschichte der Völker.

Was hätte die internationale Gemeinschaft denn tun können?

Man hätte schon vor einigen Jahren viel machen können, schon als das Assad-Regime Chemiewaffen gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt hat, als er Fassbomben auf Wohnviertel werfen ließ, als er auf eine politische Strategie des Aushungerns und der Vertreibung setzte. Nötig war und ist politisches Handeln und ein stärkerer Druck der einflussreichen Staaten, vor allem von den USA und Europa, auf Russland, den Iran und Assad.

Meinen Sie, dass die USA die bewaffneten Oppositionsgruppen stärker hätten militärisch unterstützen müssen?

Ursprünglich waren viele Syrer, auch ich, gegen jede militärische Intervention. Aber dadurch ist ein militärisches Vakuum entstanden, das verschiedene islamistische Gruppen gefüllt haben. All diese Gruppen werden von ausländischen Regierungen unterstützt; die Amerikaner haben dies in dem Maß erlaubt, dass es keinen Sieger gibt und dass Krieg noch länger dauert. Praktisch alle Waffenlieferungen, die nach Syrien gehen, werden von den USA kontrolliert. Diese Politik ist kein Zufall, sie ist eine politische Entscheidung. Warum haben die USA und die anderen westlichen Staaten nicht von Anfang an dafür gesorgt, dass die extremistischen Gruppen keine Waffen bekommen? Warum haben sie nicht verhindert, dass islamistische Kämpfer nach Syrien eingeschleust wurden? Auf den Vormarsch des IS auf die kurdischen Gebiete in Syrien und im Irak haben die USA schnell reagiert. Warum reagieren sie nicht auf die maßlose Bombardierung von Aleppo durch Russland? Was hat sie daran gehindert, Flugverbotszone in Syrien einzurichten? Warum haben sie nichts getan dagegen, dass iranische und Hisbollah-Milizen auf der Seite Assads kämpfen? Warum belässt es der Westen dabei, sein Bedauern zu äußern?

Weil die USA und die anderen westlichen Staaten eine militärische Konfrontation mit Russland vermeiden wollen.

Aber die Amerikaner intervenieren doch längst militärisch in Syrien …

… vermeiden dabei aber die Konfrontation mit Russland.

Dann dürfen die USA und die anderen westlichen Staaten nie mehr über Menschenrechte und Freiheit sprechen. Dann darf man sich auch nicht wundern, dass terroristische Gruppen wie der IS entstehen. Dass extremistische und terroristische Gruppen entstehen, ist eine fast zwangsläufige Folge, wenn die Welt einer solchen Gewalt und zügellosen Verbrechen gegen Zivilisten tatenlos zusieht.

Die meisten Kriege gehen zu Ende, indem eine Seite gewinnt und die andere verliert. Ist es insofern nicht gut, wenn der Krieg zumindest in Aleppo zu Ende geht?

Natürlich ist es eine drängende Forderung, dass der Krieg nicht nur in Aleppo, sondern überall in Syrien aufhört. Aber schon jetzt, vor dem endgültigen Sieg Russlands und Assads in Aleppo, werden dort Verbrechen an Zivilisten verübt. Frauen, Männer und Kinder sind getötet worden. Diese totalitäre Gewalt gegen die Einwohner einer ganzen Stadt wird weiteren Extremismus produzieren. Extremismus ist kein metaphysisches Phänomen und nicht der Ursprung des Übels, er ist immer die Folge eines größeren Übels. Der IS ist die Folge des Assad-Regimes und der internationalen Politik.

Ist nicht die Hauptsache, dass der Krieg endet?

Der Krieg wird niemals vorbei sein, solange ein Verbrecher wie Assad an der Macht ist. Mit Assad gibt es keinen Frieden. Dieses Regime war bereit, das ganze Land in Schutt und Asche zu legen. Es hat in Kauf genommen, dass die Hälfte der Bevölkerung – zwölf Millionen Menschen – aus ihrer Heimat vertrieben und zu Flüchtlingen gemacht wurde, dass über eine halbe Million Menschen getötet wurde, die Infrastruktur des Landes total zerstört ist und die Gesellschaft zerfällt. Das alles hat das Regime in Kauf genommen, um an der Macht zu bleiben. Der Sieg eines solchen Regimes kann unmöglich zu Frieden führen. Der Sieg dieses Regimes ist der Sieg des neuen Faschismus im 21. Jahrhundert.

Ist ein Sieg der völlig zerstrittenen Oppositionsgruppen überhaupt noch vorstellbar?

Dass die Opposition so zerstritten ist, haben die internationalen und regionalen Staaten ganz entscheidend zu verantworten. Die Art und Weise der Unterstützung hat die Opposition zerrissen. Und die vielen ausländischen Akteure, die in Syrien gegeneinander kämpfen, haben die Opposition geschwächt und zurückgedrängt.

Inwiefern?

Die US-Regierung verkündete immer, sie unterstütze die moderate Opposition – sowohl die politische als auch die militärische Opposition, also den Syrischen Nationalrat, später die Nationale Koalition, und die Freie Syrische Armee. Tatsächlich haben sie nichts getan, als viele Tausend Dschihadisten nach Syrien eingeschleust wurden. Sie haben die Freie Syrische Armee auch nicht so unterstützt, wie sie die kurdischen Kämpfer unterstützen. Sie wollten die Oppositionsgruppen immer kontrollieren, sie stellten Bedingungen und nahmen Einfluss darauf, welche Unterstützung an welche bewaffneten Gruppen geht. Die USA haben versucht, aus dem Hintergrund die Fäden in der Hand zu halten. Sie hätten zumindest dafür sorgen können, dass die Opposition ein gemeinsames politisches Programm entwickelt. Das haben sie nicht getan.

Mit Huda Zein sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen