
Gesprochen wird viel bei diesem Auftritt - nur Antworten gibt es keine.
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Der Vorsitzende nickt weg, die Kanzlerpartei schindet Zeit, die Opposition tobt: Sebastian Kurz legt vor dem Ibiza-Ausschuss einen denkwürdigen Auftritt hin. Eine neuerliche Anzeige gegen Österreichs Bundeskanzler sorgt für Aufregung.
Der Ärger geht schon los, da ist die Hauptperson des Tages noch gar nicht da. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz schaut nämlich vor seinem Auftritt im Ibiza-Ausschuss noch auf eine Rede bei Arnold Schwarzeneggers "Austrian World Summit" vorbei und lobt sich für seine Impfpolitik. Ein lockerer Aufgalopp für den unangenehmen Teil des Tages.
Ein paar Pferdelängen weiter im Camineum der Wiener Hofburg liefern sich Opposition und ÖVP schon die ersten Scharmützel: "Einen Staat im Staat" habe Sebastian Kurz' ÖVP aufgebaut, erklärt SPÖ-Fraktionsführer Jan Krainer in seinem Pressestatement, heute empfange man "das Oberhaupt" der türkisen Familie. Sein Gegenspieler Andreas Hanger von der ÖVP, ein Charakterkopf mit Bürstenfrisur und knallroter Gesichtsfarbe, empfiehlt Krainer einen "Gang zum Psychologen": "Er ist eine Schande für den Parlamentarismus".
Die Stimmung ist explosiv vor dem Showdown im Untersuchungsausschuss. In der 55. und vorletzten Sitzung muss der Bundeskanzler zum zweiten Mal aussagen. Sein erster Auftritt hat ihm ein Ermittlungsverfahren wegen Falschaussage und wohl die ungemütlichste Situation seiner Kanzlerschaft eingebrockt. "Wir erwarten Antworten", verlangt die Grüne Nina Tomaselli vor dem Beginn der Sitzung. Sie wird keine einzige Antwort erhalten.
Der Vorsitzende macht ein Schläfchen
Als der Kanzler im Camineum ankommt - blauer Anzug, weißes Hemd, keine Krawatte - wird seine Strategie schnell klar: Gegenangriff. Respekt sei ihm sehr wichtig in der Politik, sagt Kurz in die Kameras: "Leider Gottes ist das hier aber ein Ort, wo nicht respektvoll miteinander umgegangen wird." Der Ausschuss gehöre reformiert, die Befragung in die Hände von Richtern, nicht von Abgeordneten des Parlaments.
Drinnen im weiß gestrichenen Kaminsaal richtet Kurz den Parlamentariern seine Kritik auch noch einmal persönlich aus. Der Ausschuss habe seine Aufgabe nicht erfüllt, es gehe nur um Skandalisierung, nicht um Aufklärung: "Hier dominieren offene Ablehnung und echter Hass."
Wie Kurz sich respektvollen Umgang vorstellt, demonstriert er zu Beginn der Befragung: Der ÖVP steht die erste Fragerunde zu, ein Glücksfall für den Kanzler. Hatte er in seinem Eingangsstatement noch gedroht, er werde im Zweifel einfach das Protokoll seiner letzten Befragung vorlesen, wenn die Fragen schon einmal gestellt wurden, plaudert er auf die vagen Stichworte seiner Parteifreunde über Banalitäten und Bekanntes. Außer ein bisschen Futter für die Journalisten ("Wer für eine Spende für die Partei eine Straftat begeht, muss schon ein fester Trottel sein") ergeben die Ausführungen wenig, die Abgeordneten der Opposition rollen mit den Augen, der Vorsitzende Wolfgang Sobotka von der ÖVP legt ein Nickerchen ein.
Kurz nutzt die Zeit, um sich ausgiebig über angebliche Schmutzkampagnen gegen seine Person zu beschweren. Bei seinem ersten Auftritt sei er sich "vorgekommen wie ein Schwerverbrecher", eine Variation seines Satzes, selbst Mörder würden respektvoller behandelt als Auskunftspersonen vor dem Ausschuss. Erst nach anderthalb Stunden ist der nächste Fragensteller an der Reihe. Viel ergiebiger wird es nicht.
Zeitspiel mit "Blutgrätschen"
Kaum spricht Jan Krainer von der SPÖ, setzt die ÖVP zu einer Taktik an, die Ausschuss-intern "Blutgrätsche" genannt wird: Die Abgeordneten der Kanzlerpartei brechen Geschäftsordnungs-Debatten vom Zaun, stellen die Zulässigkeit von Fragen in Zweifel, einmal sogar, bevor Krainer überhaupt eine Frage formulieren kann.
Zu Hilfe kommt Kurz ein merkwürdiger Vorgang: Erst vorgestern wurde der Bundeskanzler anonym angezeigt, offenbar wegen Nötigung und Erpressung gegen die katholische Kirche. Dabei geht es um einen von vielen Chats, die in den letzten Monaten im Ibiza-Komplex öffentlich wurden. Darin berichtet Kurz' Vertrauter Thomas Schmid, damals im Finanzministerium, von einem Termin bei der Kirche, die gerade die Asylpolitik der ÖVP kritisiert hatte. Offenbar sollte Schmid der Kirche mit Entzug ihrer Steuerprivilegien drohen. Kurz schreibt an seinen Vertrauten: "Bitte Vollgas geben." Als Schmid später belustigt berichtet, Bischof Peter Schipka sei "erst blass, dann rot, dann zittrig" geworden, lobt Kurz: "Super danke vielmals!!!"
Was er damit gemeint habe, fragt Krainer den Bundeskanzler. Kurz verweigert die Aussage mit Hinweis auf die anonyme Anzeige, der Verfahrensrichter akzeptiert die Argumentation - schon ist das unangenehme Thema für Kurz vom Tisch. Krainer steigert sich nach der Sitzung in die Behauptung, die Anzeige sei offensichtlich von der ÖVP gekommen, damit sich Kurz auf sein Aussageverweigerungsrecht berufen könne. Eine Behauptung, für die es keine Beweise gibt.
Das Zeitspiel der ÖVP funktioniert an diesem Tag jedenfalls bestens: Außer Krainer wird nur noch Christian Hafenecker von der FPÖ an die Reihe kommen, bis der Vorsitzende die Befragung nach vier Stunden netto abbricht. Weder die liberalen Neos noch die Grünen können eine einzige Frage stellen, ein Novum in der Geschichte des Ausschusses.
Noch immer droht eine Anklage
Eine "Verhöhnung" des Ausschusses nennt die Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper die Strategie des Kanzlers und seiner Partei im Anschluss. Kurz sieht das naturgemäß anders: Er habe in der Fragerunde der ÖVP so ausführlich geantwortet, damit er nicht wieder wegen einer "flapsigen Aussage" angezeigt werde.
Ob auch ein Richter Kurz' Version teilt, wird sich frühestens im Spätsommer weisen, dann entscheidet sich, ob der Bundeskanzler wirklich wegen Falschaussage angeklagt wird. Der Ibiza-Ausschuss ist dann schon beendet, als letzter Gast wird Heinz-Christian Strache am 15. Juli erwartet. Der einstige Vizekanzler und FPÖ-Politiker sollte schon heute aussagen, steckt aber in Kroatien fest - dort geriet eine Yacht in Brand, auf der Strache Urlaub machte. Gut möglich allerdings auch, dass der Ausschuss in eine Art Verlängerung geht, denn die Opposition könnte einfach einen neuen Ausschuss verlangen mit ähnlichem Fokus, Ibiza 2.0 sozusagen - dann sicher auch wieder mit Sebastian Kurz als Auskunftsperson.
Quelle: ntv.de