Politik

"Unangemessen und respektlos" Nach Selenskyjs Rede: "Würdelosester Moment, den ich je erlebt habe"

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In einer emotionalen Rede wendet sich der ukrainische Präsident Selenskyj an den Deutschen Bundestag. Doch anschließend geht Bundestagspräsidentin Göring-Eckardt direkt zur Tagesordnung über. Die Opposition findet das "unwürdig". Ein Streit entbrennt.

Große Empörung bei der Opposition im Deutschen Bundestag. "Unangemessen", "unwürdig", "respektlos" sei der Moment nach der Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gewesen, erklärten zahlreiche Abgeordnete. Was war geschehen? Die Koalition von SPD, Grünen und FDP hatte eine Aussprache im Plenum nach der Videoansprache des ukrainischen Präsidenten abgelehnt. Ein entsprechender Antrag der Union, nämlich nach der Video-Botschaft Selenskyjs über den Ukraine-Krieg im Bundestag zu sprechen und auch noch einmal die Haltung dazu von Bundeskanzler Olaf Scholz zu hören, wurde nur von den Abgeordneten der Linken und der AfD unterstützt. Die drei Koalitionsfraktionen stimmten dagegen. Damit war der Vorschlag, eine 68-minütige Aussprache an die Rede Selenskyjs anzuschließen, vom Tisch.

Stattdessen ging die stellvertretende Bundestagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt nach der emotionalen und Deutschland zum Handeln auffordernden Rede Selenskyjs ohne Pause zur Tagesordnung über - und gratulierte zunächst zwei Abgeordneten zum Geburtstag. "Unwürdig" schallte es dazu begleitend aus den Reihen der Unions-Fraktion. Nach einer Geschäftsordnungsdebatte über den Antrag der CDU/CSU schloss sich dann die Debatte über die Impfpflicht an.

Alexander Dobrindt, CSU-Landesgruppenchef, erklärte im Anschluss, der nahtlose Übergang zur Tagesordnung nach den Worten Selenskyjs sei ein großer Fehler gewesen. "Die Situation im Deutschen Bundestag heute nach der Rede war vollkommen unangemessen", sagte Dobrindt ntv und fügte hinzu: "Die Ampel redet immer von Respekt und was wir jetzt hier erlebt haben nach dieser Rede, ist nichts anderes als ein mangelnder Respekt gegenüber dem Deutschen Bundestag und gegenüber der deutschen Öffentlichkeit." Man habe einen Anspruch darauf, dass über die Situation in der Ukraine im deutschen Parlament gesprochen würde, gerade nach so einem "beeindruckenden Auftritt" des ukrainischen Präsidenten, so Dobrindt.

"So arrogant sind, wie andere nach 16 Jahren"

Noch deutlicher in seiner Wortwahl wurde CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. "Das war heute der würdeloseste Moment im Bundestag, den ich je erlebt habe", schrieb der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen auf Twitter. Der CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz nannte die Ablehnung "völlig unpassend". Das Land habe ein Recht darauf zu erfahren, wie Scholz "die Lage sehe".

Aber nicht nur die Union, auch die Linke übte scharfe Kritik. Der frühere Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger sagte, der Vorgang sei "peinlich". Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken, Jan Korte, nannte die Haltung der Koalition "absolut lächerlich". Es sei "das Mindeste", dass die Regierung Stellung nehme zu den von Selenskyj aufgeworfenen Fragen. An die Adresse von Bundeskanzler Olaf Scholz sagte er: "Sie müssen mal aufpassen, dass sie nicht nach 100 Tagen schon so arrogant sind, wie andere nach 16 Jahren." Die Ampel-Regierung mit Scholz an der Spitze ist heute genau 100 Tage im Amt.

"Unwürdiges Schauspiel - der Union"

Führende Politiker von SPD, Grünen und FDP verteidigten ihre Haltung dagegen. "Wir, die Ampel-Koalition, sind überzeugt, dass die Worte des ukrainischen Präsidenten für sich stehen. Sie haben es verdient, für sich wahrgenommen zu werden", sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann verwies zudem darauf, dass die Unionsfraktion der Tagesordnung zugestimmt habe. Die Union habe gewusst, dass keine Aussprache nach der Video-Botschaft Selenkyjs geplant gewesen sei. Es gehe CDU/CSU offenbar nur um eine "Inszenierung". Auch FDP-Fraktionschef Christian Dürr beschuldigte die Union, ein "unwürdiges Schauspiel" aufzuführen.

"Herr Scholz, reißen Sie diese Mauer nieder"

In seiner eindringlichen Rede vor dem Deutschen Bundestag hatte Selenskyj an Kanzler Scholz persönlich appelliert, die Ukraine stärker gegen den russischen Angriffskrieg zu unterstützen. Die russische Invasion habe eine "Art neuer Mauer" in Europa entstehen lassen, sagte Selenskyj vor den Abgeordneten. Wie einst US-Präsident Ronald Reagan den damaligen sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow fordere er den Kanzler auf: "Herr Scholz, reißen Sie diese Mauer nieder."

Die "neue Mauer inmitten von Europa" trenne die Freiheit von der Unfreiheit, sagte der per Videokonferenz zugeschaltete Selenskyj. Deutschland forderte er auf, sich der Luftbrücke zu entsinnen, die die westlichen Alliierten während der Berliner Blockade Ende der 40er Jahre eingerichtet hatten. "Wir können keine Luftbrücke bauen, denn von unserem Himmel fallen nur russische Bomben", sagte Selenskyj. "Die russischen Truppen unterscheiden nicht zwischen zivilen und militärischen Objekten". Für Russland sei "alles eine Zielscheibe".

Quelle: ntv.de, tar/dpa

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