Türkei schießt Kampfjet ab Nato-Partner reagieren besorgt
24.11.2015, 16:06 Uhr
Eine Rauchwolke markiert den Absturzort jenseits der syrischen Grenze: Das Nato-Mitglied Türkei hat ein russisches Flugzeug abgeschossen.
(Foto: REUTERS)
Der Abschuss eines russischen Kampfjets über der türkisch-syrischen Grenze bringt die Regierung in Ankara in Erklärungsnot: War die Anwendung von Waffengewalt unvermeidlich? Oder hat das Nato-Land im Südosten überreagiert?
Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu hat den Abschuss eines russischen Kampfflugzeuges durch türkische Streitkräfte im Grenzgebiet zu Syrien verteidigt. Die Türkei habe wiederholt vor der Verletzung ihrer Grenzen in der Luft und am Boden gewarnt, sagte Davutoglu in Ankara.
Diese Grenzen zu schützen, sei "sowohl unser internationales Recht als auch unsere nationale Pflicht". Die Türkei sei dafür "zu jeder Art von Aufopferung und Maßnahme bereit". In diesem Kontext müsse man auch die Reaktion der Streitkräfte auf die Luftraumverletzung durch Russland sehen. Die Regierung in Moskau dementiert, dass der russische Jet in türkischen Luftraum eindrang. Die Maschine sei über syrischem Territorium getroffen worden. Der Absturzort liege vier Kilometer von der türkischen Grenze entfernt.
Die Türkei ist Mitglied des Verteidigungsbündnisses Nato. Auf Antrag der türkischen Regierung kommen die Nato-Staaten am Nachmittag zu einem "außerordentlichen Treffen" zusammen. Dabei wolle die Türkei die Verbündeten über den Vorfall informieren, teilte ein Nato-Sprecher mit.
Steinmeier und Tusk besorgt
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier warnte vor einer massiven Belastung der Friedensbemühungen für Syrien. Es habe in Wien ermutigende erste Gespräche über eine Deeskalation in Syrien gegeben, sagte Steinmeier am Dienstag in Berlin. Er wünsche sich sehr, dass es nicht zu Rückschlägen komme. Zunächst müsse genau geklärt werden, wie es zu dem Zwischenfall gekommen sei.
Auch EU-Ratspräsident Donald Tusk zeigt sich alarmiert. "In diesem gefährlichen Augenblick nach Abschuss des russischen Jets sollten alle einen kühlen Kopf bewahren und ruhigbleiben", erklärte Tusk auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Der liberalkonservative Pole hatte erst zu Wochenbeginn einen Sondergipfel mit der Türkei für diesen Sonntag einberufen. Dabei soll es vor allem um die Hilfe für Flüchtlinge in dem EU-Kandidatenland gehen.
"Zu radikale Maßnahme"
Ungeachtet dieser mäßigenden Stimmen sorgt der Vorfall innerhalb des Bündnisses schon jetzt für Verstimmung. Politiker des Nato-Landes Tschechien äußerten Kritik am türkischen Vorgehen. Ministerpräsident Bohuslav Sobotka sprach von einem negativen Faktor für die Syrien-Verhandlungen. "Das ist eine unangenehme Überraschung, die zeigt, dass die Koordination zwischen den Akteuren in der Region nicht gut funktioniert", sagte der Sozialdemokrat.
Tschechiens Staatschef, Präsident Milos Zeman, kritisierte den Abschuss als eine "zu radikale Maßnahme". Zeman griff Äußerungen Putins auf, der die Türkei als "Helfershelfer von Terroristen" bezeichnet hatte. "Gelegentlich wird der Verdacht geäußert, dass die Türkei inoffiziell mit dem Islamischen Staat zusammenarbeitet", sagte Zeman.
US-Militär nicht informiert
Mit dem Abschuss über der Grenze brüskierte die türkische Luftwaffe offenbar auch den Nato-Partner USA. Das US-Militär war nach eigenen Angaben in keiner Weise in die Vorgänge im türkisch-syrischen Grenzgebiet verwickelt.
"Unsere türkischen Verbündeten haben uns informiert, dass ihre Kampfflugzeuge ein russisches Kampfflugzeug abgeschossen haben, nachdem es am Dienstag den türkischen Luftraum verletzt hat", sagte ein Vertreter des US-Verteidigungsministeriums. Die USA sind die mit Abstand stärkste und einflussreichste Großmacht innerhalb der Nato. "Wir können bestätigen, dass US-Einheiten nicht in diesen Zwischenfall involviert waren."
Die USA haben Militäreinheiten im Nato-Land Türkei stationiert und fliegen von der Luftwaffenbasis Incirlik aus Luftangriffe gegen die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien. Russland bestreitet die Darstellung, dass der abgeschossene Jagdbomber vom Typ Su-24 in den türkischen Luftraum eingedrungen sei.
Es ist das erste Mal seit Beginn des russischen Militäreinsatzes in Syrien Ende September, dass ein Armeeflugzeug des Landes abgeschossen wurde. Über das Schicksal der beiden Piloten gab es zunächst keine gesicherten Erkenntnisse. Unbestätigten Angaben zufolge soll einer der beiden Männer nach der Landung am Fallschirm seinen Verletzungen erlegen sein. Das Schicksal des zweiten Piloten ist vollkommen unklar.
Quelle: ntv.de, mmo/AFP/dpa