Diplomat: Beziehungen "teilweise aus der Spur geraten" Netanjahu wehrt sich gegen Merkels Kritik
24.02.2014, 07:16 Uhr
Netanjahu sieht die Palästinenser in der Pflicht.
(Foto: AP)
Es dürfte eine schwierige Reise werden, wenn Kanzlerin Merkel nun mit einem Tross von Ministern nach Israel fährt. Der israelische Diplomat Ben-Zeev hält die Beziehungen für verbesserungswürdig, und Premier Netanjahu verwahrt sich gegen Kritik.
Israels Premierminister Benjamin Netanjahu hat vor dem Besuch von Kanzlerin Angela Merkel Kritik am Siedlungsbau im Westjordanland zurückgewiesen. Zwar könne es Missstimmigkeiten auch unter Freunden geben, sagte er im ZDF. "Aber wer sagt, die Siedlungen seien das Haupthindernis, muss wissen, dass wir auch nach der Zerstörung all der Siedlungen in Gaza keinen Frieden bekommen haben."
Merkel hatte sich zuvor erneut für eine rasche und stabile Zweistaatenlösung für Israelis und Palästinenser ausgesprochen. Sie werde den Besuch in Jerusalem am Montag und Dienstag "auch dazu nutzen, mit dem israelischen Premierminister darüber zu sprechen, was noch an Hürden für einen solchen Prozess auf dem Weg liegt".
Netanjahu wies den Palästinensern im ZDF erneut die Verantwortung dafür zu, dass die Friedensverhandlungen seit Jahren stocken. Der "Schlüssel zum Frieden" sei weniger die israelische Siedlungspolitik als vielmehr der Wille der Palästinenser, einen nationalen Staat der Juden zu akzeptieren. Beide Probleme müssten angegangen werden. Den Besuch der Kanzlerin und ihres beinahe kompletten Kabinetts würdigte Netanjahu als "Zeichen der Freundschaft".
Der israelische Ministerpräsident macht die Anerkennung Israels als jüdischen Staat zur Bedingung für ein Ende des jahrzehntealten Konflikts. Nur so könnten die Palästinenser das Recht der Juden auf einen eigenen Staat in Palästina anerkennen. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas lehnt die Forderung mit der Begründung ab, damit werde auf das Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge und deren Nachkommen aus dem heutigen Israel verzichtet.
Historiker appelliert an Merkel
Der israelische Historiker Tom Segev sagte: "Deutschland sollte Israel gerade wegen der NS-Vergangenheit und seiner langjährigen Unterstützung Israels davon abhalten, sich selbst zu zerstören." Die fortdauernde Besatzung der Palästinensergebiete mache es "unmöglich, dass wir ein jüdischer und demokratischer Staat bleiben", sagte Segev. "Wir würden zu einem Südafrika. Es wäre Ausdruck großer Freundschaft, wenn man uns davor retten würde."
Israels früherer Botschafter in Deutschland, Yoram Ben-Zeev, empfahl Merkel, sie solle "sich noch stärker offensiv für ein Nahostabkommen einsetzen". Er halte es in der derzeitigen Lage für sehr wichtig, "dass sich die Bundesregierung noch viel stärker vermittelnd in den Friedensprozess einbringt", den US-Außenminister John Kerry ermöglicht habe. Der Diplomat drängte die deutsche Seite: "Berlin sollte sich nicht an die Seitenlinie zurückziehen, das wäre hochgiftig für die Beziehungen."
Zugleich hält Ben-Zeev die Beziehungen zwischen beiden Ländern für verbesserungswürdig. Sie seien "teilweise aus der Spur geraten" und nicht mehr in dem wirklich guten Zustand, den sie in früheren Jahren unter Bundeskanzlerin Merkel erreicht hätten.
Ben-Zeev zweifelte aktuelle israelische Zeitungsberichte an, nach denen es in der Bundesregierung Bestrebungen gebe, die besondere Partnerschaft mit Israel zu normalisieren. "Unsere Beziehungen können nicht 'normal' sein, sie sollten auch einzigartig und besonders bleiben", sagte der 69-jährige Diplomat.
Nur Gabriel und Altmaier fehlen
Merkel reist gemeinsam mit 16 Ministern und Staatsministern nach Jerusalem - nur Vizekanzler Sigmar Gabriel und Kanzleramtschef Peter Altmaier sind nicht dabei. Der SPD-Chef ist erkrankt. Die Teilnehmerzahl ist so groß wie noch nie bei deutsch-israelischen Regierungskonsultationen. Am Montagabend ist ein Abendessen Merkels mit Netanjahu vorgesehen. Dabei dürfte es um den Friedensprozess, das iranische Nuklearprogramm und die Lage in der Ukraine gehen.
Israel und die EU streiten außerdem um den Umgang mit israelischen Siedlungen im besetzten Westjordanland. Die EU erkennt sie nicht als israelisches Staatsgebiet an und will sicherstellen, dass Waren von dort regulär verzollt werden und nicht die für israelische Produkte gewährten Vergünstigungen erhalten.
Der SPD-Außenpolitiker Niels Annen sagte, es gehe vor allem darum, den Konsumenten vor Augen zu führen, dass bestimmte Produkte nicht innerhalb der völkerrechtlich anerkannten Grenzen hergestellt worden seien. "Israel kann nicht von uns und den anderen EU-Staaten verlangen, dass wir die Siedlungspolitik direkt oder indirekt unterstützen."
Linksfraktionsvize Jan Korte begrüßte, dass sich Merkel klar für eine rasche Umsetzung einer Zweistaatenlösung ausgesprochen habe. "Wichtig wird aber sein, dass sie sich auch in den bilateralen Gesprächen mit der israelischen Regierung so deutlich positioniert" und auch konkrete Unterstützung bei der Umsetzung anbiete, sagte Korte.
Quelle: ntv.de, ghö/dpa/AFP