Trotz westlicher Sanktionen Oligarchen-Jets fliegen quer durch Europa
31.03.2022, 15:03 Uhr
Tag für Tag hinterlassen Verkehrsflugzeuge Tausende öffentlich zugängliche Datenspuren: Blick auf den Luftraum über Europa.
(Foto: © flightradar24.com)
Als Folge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine verhängen die USA, die Europäische Union und Großbritannien Sanktionen gegen russische Oligarchen. Vermögenswerte werden eingefroren, Jachten und Jets beschlagnahmt. Aber offenbar gibt es Möglichkeiten, die Sanktionen zu umgehen.
Eigentlich sollten die Privatjets von russischen Oligarchen weder auf Flughäfen in der Europäischen Union (EU) und Großbritannien starten und landen dürfen, noch sollten sie in den entsprechenden Lufträumen unterwegs sein. Grund dafür sind die von den westlichen Staaten verhängten Sanktionen als Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, der in der Nacht auf den 23. Februar von Präsident Wladimir Putin befohlen worden war. Doch wie eine Flugdaten-Analyse des "Guardian" in Zusammenarbeit mit dem "Organized Crime and Corruption Reporting Project" (OCCRP) zeigt, gibt es offenbar Möglichkeiten, die Sanktionen zu umgehen.
Identifiziert und verfolgt wurden Flugzeuge unter anderem von Roman Abramowitsch, von Alischer Burchanowitsch Usmanow, einem Milliardär usbekischer Herkunft, der unter anderem im russischen Mediengeschäft sein Geld verdiente, und von Igor Schuwalow, einem ehemaligen stellvertretenden russischen Ministerpräsidenten. Besonders auffällig bei Auswertung der Daten: In der Woche nach Beginn der Invasion flogen Jets der Superreichen trotz bereits in Kraft getretener Sanktionen in sehr großer Zahl in die Vereinigten Arabischen Emirate. So wurden mehr Flüge in die VAR gezählt als in jeder anderen Woche in diesem Jahr. Das ist sehr brisant, weil die Superreichen, denen wegen der Sanktionen der Zugang zu zahlreichen Finanzzentren verwehrt wird, möglicherweise in die Emirate geflogen sind, um Finanzangelegenheiten zu erledigen.
Zu den Jets, die sich auf den Weg in die Emirate gemacht haben, gehört auch einer des Milliardärs Andrei Igorewitsch Melnitschenko. Laut Flightradar flog seine Maschine am 9. März nach Dubai, wenige Tage nachdem seine Luxusjacht in einem italienischen Hafen festgesetzt worden war. Noch laufen die Ermittlungen, ob es sich um einen Verstoß gehandelt habe. Sein Sprecher erklärte, dass Melnitschenko "keine Beziehung zu den tragischen Ereignissen in der Ukraine" habe. "Er hat keine politische Zugehörigkeit." Es gebe daher keinerlei Rechtfertigung, ihn auf irgendwelche Sanktionslisten zu setzen.
Kauf von Kerosin ist untersagt
Die Vorschriften der Europäischen Union erlauben es den sanktionierten Personen lediglich, Zahlungen zur Deckung "grundlegender Bedürfnisse" wie Anwaltskosten zu leisten. Ausgaben im Zusammenhang mit den Bewegungen von Privatflugzeugen, wie etwa dem Kauf von Kerosin sind aber offenbar untersagt.
Vor allem im Fokus der Bewegungen im europäischen Luftraum: die Flugaktivitäten einer Maschine, die mit Schuwalow in Verbindung gebracht werden. Ein Langstrecken-Reiseflugzeug des Typs Bombardier wurde beim An- und Abfliegen von mehreren EU-Flughäfen registriert - unter anderem wurden Genf, München, Paris, Mailand und Helsinki angeflogen. Der "Guardian" beruft sich dabei auf Aufzeichnungen des Portals Flightradar24, dort wird indes nicht vermerkt, wer an Bord der Maschine war. Also auch nicht, ob Schuwalow mit den Flugzeugen gereist ist. Eine Anfrage an den Oligarchen blieb der Zeitung zufolge unbeantwortet.
Auch Usmanow, der unter anderem als Fußball-Mäzen bekannt ist - Hauptsponsor des Premier-League-Klubs FC Everton und in der Vergangenheit Anteilseigener beim FC Arsenal -, werden nicht mehr zulässige Aktivitäten nachgewiesen. Laut des Trackingportals ADS-B Exchange flogen zwei Maschinen des Milliardärs in München und Florenz ab, nachdem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Flugzeuge in russischem Besitz, mit russischer Registrierung oder unter russischer Kontrolle aus dem EU-Luftraum verbannt hatte. Der Start aus München erfolgte zudem an jenem Tag, an dem Usmanow auf die Sanktionsliste gesetzt wurde.
"Falsche Annahmen" für Sanktionen
Zuletzt erfasst wurde eine von Usmanows Maschinen (ein privater Airbus 340) beim Landeanflug auf Taschkent, der Hauptstadt von Usbekistan, sowie im Luftraum über Turkmenistan. Auch dieser Jet war womöglich auf dem Weg in die Heimat des Milliardärs, das Transpondersignal ging dann offenbar verloren. Ein Sprecher des 68-Jährigen erklärte dem "Guardian", dass die Sanktionen gegen seinen Chef auf "falschen Annahmen" über seine Beziehung zum Kreml beruhen würden. Außerdem habe der Unternehmer sein Vermögen bereits vor den Sanktionen auf Treuhandkonten übertragen. Ein "entsprechendes Fehlverhalten" sei nicht gegeben, ebenso wenig der Versuch, die Sanktionen von Vermögenswerten zu vermeiden.
"Angesichts der Tatsache, dass der M-IABU-Jet, auf den Sie sich berufen haben, weder Eigentum von Herrn Usmanov ist noch von ihm kontrolliert wird und von ihm nur zu Mietbedingungen genutzt werden konnte, gibt es keine rechtliche Grundlage für ein Verbot in Bezug auf die gegen ihn verhängten individuellen Sanktionen", sagte sein Sprecher. Ob Usmanow an Bord einer der beiden Maschinen war, blieb offen.
Aber nicht alle Oligarchen haben noch Zugriff auf ihre Flieger. So wurden schon mindestens drei Flugzeuge festgesetzt, die offenbar in Verbindung mit Roman Abramowitsch stehen. Und womöglich kommt noch ein vierter Jet hinzu. In Lettland wurde einer Maschine ein Flugverbot erteilt. Es werde geprüft, heißt es, ob auch sie dem Oligarchen zugerechnet werden kann. Das fragliche Flugzeug ist in Luxemburg angemeldet, entsprechende Informationen wurde angefordert. Im Verdacht, gegen die Sanktionen verstoßen zu haben, steht auch ein weiterer Kollege von Abramowitsch, der Oligarch Jewgeni Markowitsch Schwidler. Britische Behörden untersuchen in diesem Zusammenhang derzeit zwei Vorfälle von Verstößen gegen das Flugverbot. Ein Sprecher von Schwidler sagt dem "Guardian", dass es "nie irgendwelche Verstöße gegeben" habe, weil der Oligarch kein russischer Staatsbürger sei und keine Verbindungen zum Kreml habe.
Quelle: ntv.de, tno