Richtlinien für die Bundeswehr Pistorius macht "Kriegstüchtigkeit" zur Handlungsmaxime
09.11.2023, 17:59 Uhr Artikel anhören
Die letzten verteidigungspolitischen Richtlinien wurden 2011 erlassen - nach Russlands Überfall auf die Ukraine lässt sie Minister Pistorius neu ausarbeiten.
(Foto: dpa)
Mit dem "brutalen Angriff" Russlands auf die Ukraine sei der Krieg "nach Europa zurückgekehrt", sagt Verteidigungsminister Pistorius - und stellt seine verteidigungspolitischen Richtlinien vor. Mit diesen will er die Bundeswehr "kriegstüchtig" machen - und zum Rückgrat der Abschreckung.
Vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine hat Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius neue verteidigungspolitische Richtlinien für eine "kriegstüchtige" Bundeswehr erlassen. Deutschland müsse "das Rückgrat der Abschreckung und kollektiven Verteidigung in Europa sein", erklärte Pistorius in Berlin. Gemeinsam mit Generalinspekteur Carsten Breuer betonte er, Deutschlands "Partner in Europa, Nordamerika und der Welt" erwarteten, "dass wir uns dieser Verantwortung stellen".
Die letzten verteidigungspolitischen Richtlinien wurden 2011 erlassen. In der nun veröffentlichten Neuauflage heißt es, die Bundeswehr müsse "in allen Bereichen kriegstüchtig" werden - ein Begriff, mit dem Pistorius jüngst auch Kritik ausgelöst hatte. Die Vorgaben der neuen Richtlinien werden nun in ein neues Fähigkeitsprofil für die Truppe und in eine Militärstrategie umgesetzt.
"Die Russische Föderation bleibt ohne einen fundamentalen inneren Wandel dauerhaft die größte Bedrohung für Frieden und Sicherheit im euroatlantischen Raum", heißt es in den Richtlinien. Mit dem "brutalen Angriff" von Russlands Präsident Wladimir Putin auf die Ukraine sei der Krieg "nach Europa zurückgekehrt", betonte Pistorius. Durch die dadurch ausgelöste Zeitenwende müsse Deutschland nun "sicherheitspolitisch erwachsen" werden. Die neuen verteidigungspolitischen Richtlinien seien dabei die "Richtschnur für den notwendigen, tiefgreifenden Mentalitätswandel in der gesamten Sicherheitspolitik". Deutschland müsse wehrhaft und resilient sein, also als Gesellschaft und Staat stabil bei Angriffen und Störaktionen, heißt es weiter.
Landes- und Bündnisverteidigung hat Priorität
Ziel müsse es fortan sein, die jahrzehntelang vernachlässigte Bundeswehr wieder auf ihren Kernauftrag der Landes- und Bündnisverteidigung auszurichten, schreiben Pistorius und Breuer im Vorwort der neuen Richtlinien. Dies müsse fortan "strukturbestimmend" für die Armee sein. Alle weiteren Aufgaben seien dieser Kernaufgabe "nachgeordnet", heißt es in den Richtlinien.
Dennoch soll die Bundeswehr weiter zu internationalen Kriseneinsätzen in der Lage sein. Pistorius und Breuer verweisen dabei neben bisherigen Einsätzen auf dem Westbalkan und in der afrikanischen Sahelregion auch auf den Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel. In den Richtlinien heißt es dazu, dem Existenzrecht Israels komme beim internationalen Engagement für regionale Stabilität und Frieden "besondere Bedeutung" zu.
Zur Gestaltung der Zeitenwende sei bei den Verteidigungsausgaben "ein stetig steigender Plafond von mindestens zwei Prozent" der Wirtschaftsleistung nötig, heißt es in den Richtlinien weiter. Die nachhaltige und umfassende Finanzierung der Bundeswehr sei dabei "unabdingbare Voraussetzung" für die deutsche Glaubwürdigkeit bei der Umsetzung der Zeitenwende.
Ziel ist "rasche Vollausstattung"
"Unser vordringlichstes Ziel ist die rasche Vollausstattung, um die Bundeswehr zu einer der leistungsfähigsten Streitkräfte in Europa zu machen", geben die Richtlinien als Maxime bei der Ausrüstung der Truppe aus. Entscheider in Verwaltung, Militär und Behörden sollten Spielräume für die Bundeswehr auch nutzen. Bei der Vergabe von Aufträgen seien bestehende Ausnahmeklauseln "konsequent anzuwenden und vergaberechtliche Möglichkeiten zur Beschleunigung des Verfahrens auszuschöpfen". Aufgrund der Zeitersparnis solle der Kauf von Waffen und Rüstungsgütern "konsequent auf marktverfügbare Beschaffungen" ausgerichtet werden. Nur ergänzend solle es "Entwicklungsvorhaben insbesondere im Bereich der nationalen Schlüsseltechnologien" geben.
Bei der Verteidigungsstrategie heißt es, die Bundeswehr müsse sich bei der Landes- und Bündnisverteidigung auf einen Kampf "gegen einen mindestens ebenbürtigen Gegner ausrichten" und dann auch im hochintensiven Gefecht "durchhaltefähig" sein. "Wir wollen diese Auseinandersetzung nicht nur gewinnen, sondern wir müssen. Dies gibt den Takt vor."
Auch wenn sich der "Fokus auf die Sicherheit vor der Russischen Föderation" richte, stehe Deutschland vor einer Vielzahl sicherheitspolitischer Herausforderungen, betonen die Planer im Verteidigungsministerium. Genannt wird dabei neben der Lage in Afrika, Nahost, dem Indopazifik und der Arktis auch ausdrücklich China. Dieses versuche, "die regelbasierte internationale Ordnung nach seinen Vorstellungen umzugestalten" und beanspruche "zunehmend offensiv eine regionale Vormachtstellung".
Angaben zur künftigen Personalstärke der Bundeswehr finden sich in den Richtlinien nicht. Pistorius lässt derzeit noch prüfen, ob das vor seiner Amtszeit festgelegte Ziel von 203.000 Soldaten weiter Bestand haben wird. Derzeit sind es knapp 181.000. Betont wird in den Richtlinien aber die Notwendigkeit einer "gut ausgebildeten Reserve", die im Fall der Landes- und Bündnisverteidigung für Verstärkung sorgen soll.
Quelle: ntv.de, mli/AFP