Politik

Ukraine-Talk bei Illner "Putin hat Gas-Ass zu früh aus dem Ärmel gezogen"

 "Die Ukrainer tun alles, um den Krieg zu gewinnen", sagt  der frühere NATO-Generalleutnant Hodges.

"Die Ukrainer tun alles, um den Krieg zu gewinnen", sagt der frühere NATO-Generalleutnant Hodges.

(Foto: picture alliance / Eventpress)

Russland greift ukrainische Städte mit Raketen an und nimmt dabei bewusst zivile Infrastruktur ins Visier. Dabei werden zuletzt weitere Probleme der russischen Armee deutlich, sagt NATO-Generalleutnant a. D. Ben Hodges in der ZDF-Sendung Maybrit Illner.

"Russlands Präsident Wladimir Putin eskaliert weiter." So bewertet Po­li­to­lo­gin Margarete Klein die russischen Raketenangriffe auf ukrainische Städte, die am Montag begonnen haben. Russland hat dabei besonders Wohnhäuser und zivile Infrastruktur ins Visier genommen. Damit könnte es sich bei den Angriffen um Kriegsverbrechen handeln. Putin stehe in Russland unter großem Druck, erklärt Klein in der ZDF-Sendung Maybrit Illner, in der Politiker und Sicherheitsexperten einmal mehr über die aktuelle Lage in der Ukraine streiten.

Putins Regime werde sehr mit außenpolitischer Größe und außenpolitischen Erfolgen identifiziert. "Den wirtschaftlichen Pfeiler mit der Verteilung von Wohltaten für die russische Bevölkerung gibt es schon lange nicht mehr", so Klein weiter. Putin müsse seine außenpolitische Größe weiter demonstrieren. Darum versuche er, die humanitäre Situation in der Ukraine zu schwächen, darum auch die russische Teilmobilmachung und die proklamierte Anerkennung der vier Regionen in der Ukraine, die Russland noch nicht einmal völlig erobert habe. "Dann kommt die nukleare Drohung obendrauf, die die Ukraine von der weiteren Rückeroberung der Gebiete und den Westen von der weiteren Hilfe der Ukraine abschrecken soll."

Für NATO-Generalleutnant a. D. Ben Hodges sind durch die russischen Angriffe noch weitere Probleme der russischen Armee deutlich geworden. Ihr gingen die Präzisionswaffen aus, die wegen der westlichen Sanktionen auch nicht ersetzt werden könnten, sagt er bei Illner. Zudem halte sich die Schwarzmeerflotte versteckt. Putins Bestreben sei, den Krieg in die Länge zu ziehen, damit der Westen die Geduld verlöre und die Unterstützung der Ukraine herunterfahre.

"IRIS-T rettet Menschen"

Im Moment sieht es danach aber nicht aus. Deutschland hat der Ukraine inzwischen das Flugabwehrsystem IRIS-T SLM übergeben. Es ist laut Bundesregierung das modernste Luftabwehrsystem Deutschlands, und es bietet Schutz vor Angriffen durch Flugzeuge, Hubschrauber, Marschflugkörper und ballistische Kurzstreckenraketen. Es soll ganze Städte vor russischen Angriffen schützen. Selbst die Bundeswehr besitzt dieses System noch nicht. "IRIS-T rettet Menschen", fasst Grünen-Chef Omid Nouripour dessen Leistung zusammen.

Doch ganz so einfach scheint es dann doch nicht zu sein. Terrorismus- und Sicherheitsexperte Peter R. Neumann schränkt ein: Deutschland habe zwar ein Luftabwehrsystem geliefert, aber nur 48 Raketen. Er sagt: "Wenn Russland eine Stadt angreift, dann kann dieses System schützen, aber nur für einen halben Tag." Deutschland habe der Ukraine zehn IRIS-T-Systeme versprochen, erwidert Nouripour. "Jetzt ist entscheidend zu schauen, was die Ukraine braucht und was machbar ist", so der Grünen-Politiker.

Das sieht auch der frühere NATO-Generalleutnant Hodges so. "Die Ukrainer tun alles, um den Krieg zu gewinnen", sagt er. Die Stärke der ukrainischen Armee habe auch Putin mittlerweile erkannt, während auf der russischen Seite der Wille zu kämpfen fehle. Hodges kann sich vorstellen, dass die ukrainische Armee bis zum Sommer die russischen Streitkräfte auf die Stellungen vor dem Krieg zurückgedrängt habe. Selbst eine Rückeroberung der Krim hält er nicht für ausgeschlossen. Dieser Winter sei zudem der letzte, in dem Putin den Westen noch mit Energielieferungen nach Europa erpressen könne. Putin habe zu hoch gepokert. "Er hat sein Gas-Ass zu früh aus dem Ärmel gezogen", so der Drei-Sterne-General.

"Sieg der Ukraine noch nicht definiert"

Auch Experte Peter R. Neumann findet es wichtig, dass die Ukraine so viel territoriale Integrität zurückerobert wie möglich. Allerdings beklagt er, dass noch nicht definiert sei, wie ein Sieg der Ukraine aussehen könne. Nouripour beantwortet die Frage: "Gewinn für die Ukrainer heißt, ihr Land zurückzubekommen." Doch damit ist Neumann nicht einverstanden. "Wenn ein Sieg der Ukraine bedeutet, dass wir in Russland ein Chaos haben, einen Staatszerfall, oder dass jemand an die Macht kommt, der noch nationalistischer ist, ist das geopolitisch nicht unbedingt ein positives Ergebnis, weil das noch größere Probleme produzieren kann."

Aktuell sei es vor allem wichtig, Angriffen wie jenen auf die Nord Stream-Pipelines oder auf die Bahn vom vergangenen Wochenende vorzubeugen, verlangt Nouripour am Ende der Sendung. Deswegen fordert der Grünen-Chef eine verstärkte Überwachung der kritischen Infrastruktur in Deutschland durch die Polizei. "Dazu braucht es ein entsprechendes Gesetz. Und das muss sehr schnell gehen, denn wir haben gesehen, dass die Einschläge und die Anschläge immer näher kommen." Ein solches Gesetz habe die Ampelkoalition bereits vereinbart, so Nouripour.

Quelle: ntv.de

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