Politik

Bitte um Entschuldigung Ramelow wendet sich an Stasi-Opfer

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Die Wahl von Bodo Ramelow 25 Jahre nach der Wende ist eine Zäsur in der deutschen Demokratie und gilt schon jetzt als Signal weit über Thüringen hinaus. In seiner Antrittsrede fordert er einen "fairen Umgang" miteinander und trägt sehr emotional eine Bitte vor.

Erstmals seit dem Mauerfall vor 25 Jahren stellt die Linkspartei einen Ministerpräsidenten. Die neue rot-rot-grüne Koalition im Thüringer Landtag wählte Bodo Ramelow in geheimer Abstimmung im zweiten Wahlgang zum Regierungschef. Der 58-jährige gebürtige Niedersachse bat in seiner Antrittsrede die Stasi-Opfer um Entschuldigung. Ihnen sei großes Unrecht durch eine der Parteien widerfahren, die zu den Quellen seiner Linkspartei zähle. Er bezog sich dabei auf die einstige DDR-Einheitspartei SED, deren Nachfolgerin seine Partei ist.

Teile der SPD erwarten vom ersten rot-rot-grünen Bündnis auf Landesebene ein Signal auch für eine Machtoption der Sozialdemokraten im Bund. SPD-Chef Sigmar Gabriel widersprach jedoch. "Ich finde die Hysterie um die Koalitionsbildung in Thüringen inzwischen abenteuerlich", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". "Man kann diese Koalition gut oder schlecht finden, aber es ist doch keine Rückkehr zur DDR." Es sei Unsinn so zu tun, "als ob Herr Ramelow die Rückkehr zum DDR-Sozialismus plant", so Gabriel.

Ramelow erhielt im zweiten Wahlgang 46 Stimmen - genau die Stimmenzahl, über die Linkspartei, SPD und Grüne verfügen. Im ersten Wahlgang fehlte ihm eine Stimme. In der zweiten Runde gab es 43 Nein-Stimmen sowie je eine Enthaltung und eine ungültige Stimme. CDU und AfD stellen 45 Abgeordnete.

CDU-Fraktionschef Mike Mohring sprach von einem "holprigen Start" für Rot-Rot-Grün. Er glaube nicht, dass das Bündnis die ganze Wahlperiode durchhalte. Ramelow löst Christine Lieberknecht (CDU) ab, die fünf Jahre mit der SPD regiert hatte. Sie war 2009 erst im dritten Wahlgang gewählt worden. Die CDU verzichtete auf einen eigenen Kandidaten. Im Fall eines dritten Wahlgangs, in dem die einfache Mehrheit gereicht hätte, wollte sie den Ex-Rektor der Universität Jena, Klaus Dicke, ins Rennen schicken. Die CDU wollte damit offenkundig vermeiden, dass ein eigener Kandidat von der AfD mitgewählt würde. Die eurokritische Partei war erstmals in den Landtag eingezogen und hatte Unterstützung für Mohring angekündigt. Die CDU im Bund wie auch Mohring haben ein Bündnis aber ausgeschlossen.

Ramelow ruft zum Dialog auf

Ramelows Wahl war mit Spannung erwartet worden. Vor allem in der SPD hatte es vor der Entscheidung für eine Junior-Partnerschaft mit Linkspartei und Grünen viel Kritik gegeben, Ramelow als einen Vertreter der SED-Nachfolgepartei zum Regierungschef zu wählen. Ramelow selbst war nie SED-Mitglied. In seiner Antrittsrede wandte sich der neue Regierungschef an einen "väterlichen Freund" unter den Zuschauern, den Ex-"Bild"-Reporter Andreas Möller, der in einem Stasi-Gefängnis gesessen hatte: "Dir und all Deinen Kameraden kann ich nur die Bitte um Entschuldigung übermitteln."

Ramelow auf dem Weg zum Rednerpult.

Ramelow auf dem Weg zum Rednerpult.

(Foto: imago/VIADATA)

Bei n-tv berichtete Ramelow anschließend sehr emotional, dass sein Freund im Potsdamer Stasi-Knast "den Körper zerschlagen bekommen" und anschließend "in Waldheim gesessen" habe. Er habe einen tiefen Respekt davor, dass dieser Mensch ihn seit Jahren freundschaftlich begleite und dass "er mich immer wieder einlädt, über die Verantwortung der SED und die Linke nachzudenken". Ramelow müsse immer wieder reflektieren, dass sich Menschen durchaus auch unangenehm fühlen könnten, dass er als Linker Ministerpräsident eines Bundeslandes werden konnte. "Ich bin sehr dankbar, dass er heute hier war und ich habe ausdrücklich ihm und auch allen anderen die Bitte um Entschuldigung übermittelt. Denn ich kann mich nicht selber entschuldigen und muss deshalb um diese Entschuldigung bitten."    

Ramelow fügte hinzu: "Wir brauchen im 25. Jahr der friedlichen Revolution die Räume, um miteinander ins Gespräch zu kommen." Die Opposition rief Ramelow zur vertrauensvollen Zusammenarbeit auf. Alle gemeinsam müssten "einen Blick für die Menschen haben, die uns nicht mehr zutrauen, dass wir ihre Lebensverhältnisse verbessern".

Ein Signal für den Bund?

Nicht ausgeschlossen ist, dass das erste rot-rot-grüne Bündnis auf Landesebene auf lange Sicht ein Vorläufer für eine ähnliche Konstellation im Bund sein könnte. Ein Bündnis mit der Linkspartei im Bund lehnen Sozialdemokraten derzeit jedoch vor allem unter Verweis auf die Außen- und Sicherheitspolitik der Linkspartei kategorisch ab. Gabriel sagte der "FAZ", im Bund gäben in der Linkspartei immer noch linksradikale Sektierer den Ton an.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe erklärte indes, die neue Regierung sei "wichtig für das Bundesland, aber auch ein Signal für den Bund". SPD und Grüne, vor allem aber die Linkspartei müssten daran arbeiten, dass Rot-Rot-Grün dort auch möglich werde. Schwabe ist auch Mitglied eines Netzwerkes aus Abgeordneten von SPD, Linkspartei und Grünen.

Die Bundes-CDU warf der SPD vor, die Arbeit der Großen Koalition in Berlin zu erschweren. "Es ist eben falsch, wenn die SPD behauptet, das ist eine Entscheidung der Länder, die auf die Bundespolitik keine Auswirkung hat", sagte Generalsekretär Peter Tauber. Der SPD warf er vor, sich der Linkspartei unterzuordnen. Die Grünen bezeichnete er als "Steigbügelhalter".

Bundeskanzlerin Angela Merkel wollte sich inhaltlich nicht äußern. "Ich möchte keinen anderen Kommentar abgeben als zu sagen, dass wir den Ausgang der Wahl in Thüringen natürlich heute respektieren", sagte sie auf Nachfrage von Journalisten.

Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin sprach von einem wichtigen Zeichen über Thüringen hinaus, "den CDU geführten Stillstand zu beenden". Der "Neuen Osnabrücker Zeitung" sagte er, inzwischen regierten die Grünen in mehr Ländern als die CDU.

Für die Koalition aus Union und SPD im Bund ändert sich vorerst kaum etwas. Im Bundesrat verliert sie zwar vier Stimmen, auf die Schwarz-Rot unter der bisherigen CDU-SPD-Koalition im Land sicher zählen konnte. Allerdings hatte die Bundesregierung auch bislang schon in der Länderkammer keine eigene Mehrheit.

Quelle: ntv.de, ppo/AFP/dpa

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