Kein "Bodo-Mörder" in Erfurt Ramelow strauchelt, aber stürzt nicht
05.12.2014, 13:17 Uhr
Der Moment der Erleichterung: Bodo Ramelow hat es im zweiten Versuch geschafft.
(Foto: imago/Karina Hessland)
Ein bisschen Drama bleibt dem Linken Bodo Ramelow nicht erspart. Im ersten Wahlgang verweigert ihm ein Abgeordneter aus den eigenen Reihen die Stimme. Eine Stunde lang muss Ramelow leiden. Das Protokoll eines Politkrimis.

Einen Ministerpräsidenten der Linken finde ich ....
Kati Grund strahlt über das ganze Gesicht. Die 27 Linken-Abgeordneten schauen sie fragend an. Reicht’s? Grund ist einer der sieben Wahlhelfer, die gerade im Erfurter Landtag die Stimmen ausgezählt haben. Sie kennt das Ergebnis des zweiten Wahlgangs schon. Aber würde sie strahlen, wenn es so schlecht wäre? Wohl kaum. Grund muss gar nichts sagen, die Mitglieder der Linksfraktion verstehen schnell. Bei einem nach dem anderen kehrt die Gelassenheit zurück. Kollektive Glückseligkeit. Und einer von ihnen strahlt besonders: Bodo Ramelow, der erste linke Ministerpräsident der Republik.
Wenige Momente später bricht Jubel aus bei den Linken. 46 Stimmen für "den Abgeordneten Ramelow", verkündet Landtagspräsident Christian Carius. "Ich gehe davon aus, dass Sie die Wahl annehmen", sagt er. "Ich nehme die Wahl an", sagt Ramelow. Am Vorabend hatten seine Gegner vor dem Landtag noch gegen ihn und gegen Rot-Rot-Grün demonstriert. Aber das ist jetzt egal. Denn Ramelow ist endlich am Ziel. Dabei war der Weg dahin ein kleiner Politkrimi, der an Spannung zwischenzeitlich kaum zu überbieten war.
Aber von vorn: Der Morgen im Thüringer Landtag in Erfurt beginnt fast wie ein James-Bond-Film. Von Geldkoffern ist die Rede, von letzten Versuchen, SPD-Abgeordnete auf den Fluren des Landtags zum Umfallen zu überreden. CDU-Fraktionschef Mike Mohring sagt zu Journalisten: "Wenn ich Kommunist wäre, würde ich Ramelow natürlich wählen, aber ich bin ja keiner." Minuten später betritt hoher Besuch den Landtag. Linke-Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi, die Unterstützung aus der Hauptstadt, ist da und steuert zielsicher auf die ersten Kameras zu. Wenn’s im ersten Wahlgang passt, dann sei es gut, auch der zweite oder dritte Wahlgang seien okay. Und wenn nicht? "Dann gehe ich heute mit Bodo einen heben", sagt der Linken-Fraktionschef im Bundestag und grinst sein breites Gysi-Grinsen.
Gregor ruft: "Bodo!"
Um kurz vor 10.00 Uhr betritt Ramelow den Plenarsaal. Schwarzer Anzug, weißes Hemd, schwarze Krawatte: Die Hauptfigur des Tages verzichtet heute ganz auf Rot. Der Platz des 58-Jährigen wird schon von Fotografen belagert. Der Linke schaut etwas gequält, bevor er Gysi zuwinkt, der inzwischen im Zuschauerraum Platz genommen hat. "Bodo", ruft Gregor und zeigt dem nervösen Genossen den hochgestreckten Daumen. Pünktlich um zehn erklingt die Glocke, Landtagspräsident Carius bittet um Ruhe. Erster Tagesordnungspunkt: die Wahl des Ministerpräsidenten.
Die 91 Thüringer Abgeordneten gehen in alphabetischer Reihenfolge Richtung Wahlkabine. Angespannte, aber noch erträgliche Ruhe im Plenarsaal, einige lesen Zeitung. Mohring tuschelt mit Noch-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht. Die beiden, die sich angeblich spinnefeind sind, grinsen. Der Wahlgang zieht sich. Ramelow umklammert verkrampft die linke Lehne seines Stuhls, noch wirkt er aufgekratzt. Alle Abgeordneten müssen auf den Weg zur Urne an der der Linken-Fraktion vorbei. Als Mohring aufgerufen wird, kann sich Ramelow einen Spruch nicht verkneifen. Die Linken lachen, der CDU-Mann grinst und schwenkt drohend den Zeigefinger.
Um 10.15 Uhr steht Ramelow selbst vor der Wahlurne und schaut in die Kameras. Kurz zieht er den Wahlzettel wieder hinaus, dann lässt er ihn schließlich doch in der Urne verschwinden. Betonte Lässigkeit auf allen Seiten, nur wer zeigt zuerst Nerven? Es sind die Linken. Ramelow bekommt einen Schuss vor den Bug. Ob es nur ein Warnschuss ist oder der Anfang eines Dramas, ist jetzt noch schwer zu sagen. Das Ergebnis des ersten Wahlgangs: 45 Stimmen - und damit eine zu wenig. Die AfD-Abgeordneten applaudieren, Ramelow nickt nur. Also alles von vorn, alle 91 müssen noch einmal an die Urne, vom Grünen Dirk Adams bis zu CDU-Mann Christoph Zippel. Die Stille wird immer quälender. Ramelow sitzt jetzt kerzengerade auf seinem Stuhl, die Beine bis zum Anschlag unter dem Tisch. Als Mohring an ihm vorbei Richtung Wahlurne geht, verkneift er sich den Spruch. Auch als Ramelow seinen Zettel einwirft, gibt es keine Mätzchen mehr.
Tränen der Rührung bei erster Rede
Um 10.45 kippen die sieben Wahlhelfer aus allen Fraktionen erneut den Inhalt der Urne auf einen viel zu kleinen Tisch und sortieren die Zettel. Ramelow verlässt jetzt kurz den Plenarsaal. 46 Stimmen im ersten Wahlgang, hatte er vor einigen Tagen noch prognostiziert. Das war wohl nichts. Auweia. Und hat eigentlich heute schon jemand Klaus Dicke gesehen, den früheren Jenaer Uni-Rektor, den die CDU im dritten Wahlgang aufstellen will? Er soll wohl da sein, hört man. Für den Fall der Fälle.
Aber der tritt nicht ein. Denn es gibt keinen "Bodo-Mörder" und damit auch keinen dritten Wahlgang. Um das zu wissen, genügt es, für einen kurzen Moment das Gesicht der Linken Kati Grund zu lesen. Grinsend nickt sie ihren Fraktionskollegen nach der Auszählung zu. Ramelow fällt die Anspannung förmlich aus dem Gesicht. Kurz darauf flachst er mit zwei Grünen, die links neben ihm sitzen. Und dann geht alles ganz schnell: 46 der 91 Stimmen für Ramelow, verkündet Landtagspräsident Carius. Die Linken feiern, Landes-Chefin Susanne Hennig-Wellsow ist die erste Gratulantin, dann Amtsvorgängerin Lieberknecht, alle überreichen Blumen. Eine Minute später steht der Mann, der bis gerade noch ein einfacher Abgeordneter war, vor den Fahnen Deutschlands, Thüringens - und Europas und wird vereidigt. "Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des Volkes widmen werde …"
Dann tritt der neue Ministerpräsident zum ersten Mal in dieser Funktion vor das Landtags-Mikrofon. Die kurze Rede ist ebenso ernst wie pathetisch. Ramelow beruft sich auf ein Leitmotiv von Johannes Rau. Er wolle "versöhnen statt spalten. Daran werde ich mich messen lassen müssen". Den Anfang macht Ramelow einige Sätze später. Er richtet sich persönlich an einen "väterlichen Freund" im Zuschauerraum, der Jahre lang im Stasi-Knast in Potsdam gesessen hat. "Lieber Andreas Möller, Dir und allen deinen Kameraden kann ich nur die Bitte um Entschuldigung überbringen." Im Publikum fließen Tränen.
Eine halbe Stunde später ist das Schild an der Staatskanzlei ausgetauscht: Aus der Ministerpräsidentin ist ein Ministerpräsident geworden. Der erste Linke in der Geschichte der Bundesrepublik. Einige Meter entfernt steht ein nun ausgelassener Gast aus Berlin. Gregor Gysi sagt mit glänzenden Augen: "Dass ich das noch erleben darf ..."
(Hinweis für Mobilnutzer: Die Infografik zur Sitzordnung im Landtag finden Sie hier.)
Quelle: ntv.de