Briefwähler auf falsche Seite gelockt Scheitert Renzis Reform an einem Tippfehler?
04.12.2016, 11:59 Uhr
Renzi ist auf jede Stimme angewiesen. Den letzten Umfragen zufolge liegt sein Ja-Lager hinten.
(Foto: REUTERS)
Bei Italiens Referendum geht es um mehr als eine neue Verfassung. Es geht um die Zukunft des Landes, die Karriere seines Ministerpräsidenten, den Euro, die gesamte EU. Eine Panne im Wahlkampf ist deshalb besonders peinlich.
"Basta un Si!" – es reicht ein Ja. Das ist die Botschaft, die Ministerpräsident Matteo Renzi an die vier Millionen Italiener im Ausland senden wollte. Er schickte den potenziellen Briefwählern einen Link zu einer Webseite, die die Vorzüge seiner Reformpläne beschreiben sollte.
Das musste Renzi tun. Er ist auf jede Stimme angewiesen. In den letzten Umfragen vor dem Verfassungsreferendum an diesem Sonntag lag sein Lager mit bis zu zehn Prozentpunkten hinten. Doch der Versuch, die Briefwähler auf diesem Wege zu mobilisieren, verlief nicht wie geplant.
In dem Schreiben an die Auslandsitaliener ist ein Tippfehler – und das ausgerechnet im entscheidenden Link. Statt www.bastaunsi.it steht dort www.bastausi.it. Und als wäre das nicht unangenehm genug, wurden Renzis politische Gegner schnell auf die Panne aufmerksam. Sie sicherten sich die falsche URL. Wer jetzt der Aufforderung in Renzis Schreiben folgt, landet – auf einer Kampagnenseite der Leute, die Nein zu seiner Reform sagen.
Ob sich potenzielle Ja-Sager dadurch umstimmen lassen, ist natürlich unklar. Klar ist aber: Der Patzer ist alles andere als ein Beweis für Renzis Professionalität. Und das erscheint gerade jetzt schwer erträglich. In dem Referendum geht es schließlich um viel.
Der Reformbedarf in Italien ist gewaltig
Die insgesamt 47 Millionen Stimmberechtigten entscheiden zunächst einmal, ob das Land eine neue Verfassung bekommt. Das Zweikammersystem soll umgebaut werden, damit sich das Land leichter regieren lässt. In den vergangenen 70 Jahren führten in Rom 63 verschiedene Regierungen die Geschäfte. Umsturz als Normalzustand. Zugleich grassierten Korruption und Vetternwirtschaft.
Künftig soll das Abgeordnetenhaus die volle Gesetzgebungskompetenz auf nationaler Ebene erhalten. Zugleich ist eine Reform des Wahlgesetzes geplant. Die Partei mit dem größten Zuspruch soll einen Stimmenbonus bekommen, damit es leichter wird, solide Mehrheiten zu schaffen.
Italien, so argumentiert Renzi, ist auf diese Reformen angewiesen, um sich aus der anhaltenden Wirtschaftskrise zu retten.
- Die Banken des Landes sitzen auf notleidenden Krediten im Umfang von rund 360 Milliarden Euro. 200 Milliarden davon gelten als unwiederbringlich verloren.
- Die Staatsschulden belaufen sich auf 2000 Milliarden Euro, 130 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.
- Jeder zehnte Italiener hat keinen Job. Unter Jugendlichen gilt das für fast jeden dritten.
Die Kritiker von Renzis Reformplänen sehen in der Verfassungsnovelle dagegen vor allem einen Entdemokratisierungsprozess und glauben, dass es auch ohne ein neues Wahlgesetz möglich sein muss, die Wirtschaft wieder anzukurbeln.
Die Folgen eines Neins sind unkalkulierbar
Die Meinungen, was ein Nein bedeuten würde, gehen auseinander. Einige prophezeien den Zerfall der Euro-Zone. Sollte die italienische Wirtschaft endgültig kollabieren, ist das Land wohl zu groß, um gerettet zu werden, so ihre These. Andere warnen dagegen vor Panikmache und halten es für unwahrscheinlich, dass allein ein Nein die Märkte derart erschüttern würde, dass es zu einem wirtschaftlichen Kollaps kommen könnte.
Über die unkalkulierbaren wirtschaftlichen Folgen hinaus hat die Wahl noch eine andere Dimension. Teile der Opposition, insbesondere die rechte Lega Nord, haben die Abstimmung zu einem Votum pro oder contra Europa erklärt und bespielen die Klaviatur des postfaktischen Establishment-Bashings. Ein Nein könnte der EU nach dem Brexit-Votum in Großbritannien einen weiteren Schlag zufügen - und die populistische Fünf-Sterne-Bewegung von Beppo Grillo, die laut Umfragen bereits die erfolgreichste Partei des Landes ist, triumphieren lassen.
Zu guter Letzt geht es bei der Wahl auch um die Zukunft des 41-jährigen Renzi. Der trat vor zwei Jahren an, das seiner Meinung nach verkrustete politische System Italiens zu "verschrotten". Seine bisherige politische Bilanz fällt in den Augen vieler Italiener allerdings bescheiden aus. Sie haben das Gefühl, dass er längst selbst Teil des verschmähten Establishments geworden ist. Weil Renzi seinen Posten mit dem Ausgang des Referendums verknüpft hat, müsste er bei einem Nein wohl zurücktreten. Je nachdem, wie knapp das Ergebnis ausfällt, könnte er sich noch sehr über den Tippfehler in seinem Schreiben an die Briefwähler ärgern.
Quelle: ntv.de, mit dpa