Politik

Reporter im Krisen-Gebiet Donezk "Sie agieren wie Gesetzlose"

Separatisten vor dem Flugzeugwrack von MH17.

Separatisten vor dem Flugzeugwrack von MH17.

(Foto: dpa)

Der Absturz von MH17 hat das Leben der Bewohner verändert. "Keiner kann sagen, wie es weitergeht", sagt n-tv Reporter Jürgen Weichert und berichtet im Interview von Chaos und der Willkür der Separatisten.

n-tv.de: Wie hat sich die Stimmung in Donezk verändert?

Jürgen Weichert: Es ist alles anders. Donezk war bis vor Kurzem eine lebendige Stadt. Die Restaurants und Geschäfte hatten alle auf. Es gab zwar Demonstrationen und Unruhen, aber das Leben lief weiter. Jetzt ist diese Millionenstadt vom Rest des Landes abgetrennt. Zur Europameisterschaft 2012 wurde ein neuer Flughafen gebaut, der ist jetzt total zerstört. In der Stadt ist tagsüber wenig los, am Abend gilt sogar eine Ausgangssperre. Die Autos vieler Menschen sind von den Separatisten zum Wohle der von ihnen ausgerufenen Volksrepublik konfisziert worden. Jeder hat Angst um seinen Besitz.

Wie hat sich der Absturz von MH17 ausgewirkt?

Es ist jetzt noch deutlicher geworden, wie leicht Menschen ihr Leben verlieren können, die mit diesem Konflikt nichts zu tun haben wollten. Insofern hat sich sehr viel verändert. Die Leute verlassen massenweise das Gebiet. Gestern waren die Züge in nicht besetzte Städte ausverkauft. Der Manager unseres Hotels erzählt, dass viele seiner Angestellten zu Verwandten in den Westen gehen und einfach weg sind.

Eigentlich ist die Bevölkerung doch russlandfreundlich eingestellt, hieß es bislang.

Jürgen Weichert berichtet für n-tv und RTL aus dem Osten der Ukraine und auch vom Absturzort der MH17.

Jürgen Weichert berichtet für n-tv und RTL aus dem Osten der Ukraine und auch vom Absturzort der MH17.

(Foto: Adam Halup)

Die Menschen hier sind keine Anhänger der Regierung in Kiew, im Gegenteil. Es gibt große Sympathien für Russland und starke Verbindungen dorthin. Auch die prorussischen Ideen sind zunächst gut angekommen. Aber es ist nicht so, dass alle mit wehenden Fahnen zu Russland überlaufen wollen. Mein Eindruck ist, dass die Mehrheit lieber zur Ukraine gehören möchte. Die Menschen wissen die relativ freien Medien zu schätzen und den Schutz von Minderheiten, der viel besser gewährleistet ist als in Russland. Und viele warten nun wohl einfach ab, wer sich durchsetzt.

Das klingt nicht nach einem Erfolg für die ausgerufene "Volksrepublik Donezk".

Die Menschen sind enttäuscht von den Separatisten, obwohl man das öffentlich natürlich nicht zugeben kann. Die Kämpfer hatten versprochen, dass alles besser wird. Aber mit dem Organisieren einer Stadt und des Gemeinwesens haben sie überhaupt keine Erfahrung. Wie man Schulen, die Feuerwehr und das Steuerwesen verwaltet, davon verstehen die viel zu wenig. Nun wird in manchen Stadtteilen auch noch das Trinkwasser knapp - wie zuvor schon in anderen umkämpften Gebieten.

Wie gehen die Separatisten mit Journalisten um?

Gestern haben sich zwei polnische Journalisten auf die Suche nach den zwei abgeschossenen Militärjets gemacht und sich dabei an die Anweisungen der zahlreichen Checkpoints gehalten. Irgendwann war die Straße blockiert und sie sind ohne Vorwarnung beschossen worden. Drei Kugeln haben das Auto getroffen, obwohl es eindeutig als TV-Fahrzeug gekennzeichnet war.

Das klingt eher nach unkontrollierten Kämpfern, nicht nach einer Strategie.

Diesen Eindruck habe ich auch. Aber es ist nicht auszuschließen, dass es eine solche Strategie gibt. Die agieren wie Gesetzlose. Überhaupt kann man sich auf wenig verlassen: An manchen Checkpoints konnten wir vorgestern noch drehen, gestern ging das Gleiche plötzlich nicht mehr. Das ist völlig willkürlich. Hier setzt sich nicht derjenige durch, der das bessere Argument hat. Es setzt sich durch, wer eine Waffe trägt. Darunter leiden auch die malaysischen Ermittler und die Beobachter von der OSZE. Die Ermittler werden zwar nicht mehr stark behindert. Aber sie erhalten eben auch kaum Unterstützung. Dabei sind viele Leichen noch gar nicht gefunden, Familienmitglieder der Opfer des Absturzes sind noch im Ungewissen.

Wenn sich die Bevölkerung von den Separatisten abwendet: Kommt der Aufstand dann an sein Ende?

Bislang wird unvermindert gekämpft, auch rund um die Absturzstelle von MH17. Keiner kann hier sagen, wie es weitergeht.

Mit Jürgen Weichert sprach Christoph Herwartz

Quelle: ntv.de

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