Nur Ratschläge für andere Länder Söder - Mahner und Zauderer zugleich
18.11.2021, 08:53 Uhr
Söder ist um Forderungen und Ratschläge nicht verlegen - das kommt nicht überall gut an.
(Foto: dpa)
Der bayerische Ministerpräsident hält nicht hinterm Berg mit seiner Meinung. Das gilt auch in der Corona-Krise. Ratschläge erteilt Markus Söder genauso gern wie er gegen die Ampel-Parteien austeilt. Doch die Pandemie-Lage in Bayern ist dramatisch und Söders Kurs kein Vorbild.
Um gute Ratschläge ist Markus Söder nie verlegen. "Söder fordert erneut 2G in ganz Deutschland", melden die Agenturen. Der bayerische Ministerpräsident wolle die Impfpflicht für Profifußball diskutieren, wird an anderer Stelle berichtet. Oder: "Söder für schnellere Zulassung von Medikamenten und weiteren Impfstoffen".
Der CSU-Chef und verhinderte Kanzlerkandidat der Union präsentiert sich in der derzeitigen Corona-Krise als Deutschlands großer Mahner. "Wenn zehn die Apokalypse ist, sind wir bei neun", sagte er jüngst der "Bild"-Zeitung zur Pandemie. Auch Schuldige hat er bereits ausgemacht: die Parteien einer möglichen Ampel-Koalition. Diese wiederholten die Fehler der Corona-Politik von 2020.
Von dort freilich schallte es zurück: Söder habe "sich bewusst entschieden, Krawall zu machen", sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil im "ntv Frühstart". Das Söder-Prinzip umschrieb er so: "Alle anderen sind schuld, alle anderen können es nicht und alle anderen müssen aus Bayern belehrt werden." Deftiger wurde da schon Grünen-Politiker Jürgen Trittin: "Keine Zähne im Maul, aber La Paloma pfeifen", twitterte er unter Verweis auf die zweithöchste Inzidenz und die niedrige Impfquote in Bayern an die Adresse der CSU.
Ganz so einfach ist es freilich nicht. Fakt ist: Die Lage in Bayern ist dramatisch, die Kliniken schlagen Alarm. Fakt ist aber auch: Dass die Zahlen so hoch sind, hat viele Gründe, kann etwa an den vielen Pendlern aus dem Ausland oder dem Tourismus liegen. Und das Bundesland hat mittlerweile mit die schärfsten Regeln im Bundesgebiet.
Die Welle kommt nicht überraschend
Und doch sind Söders ständige Ratschläge wohlfeil. Denn erstens hat Bayern jetzt schon rechtlich alle Möglichkeiten, Maßnahmen gegen eine weitere Ausbreitung des Coronavirus zu ergreifen, auch ohne das neue Infektionsschutzgesetz der Ampel-Parteien. Und zweitens kommt diese Entwicklung keineswegs überraschend. Noch vergangene Woche sagte der bayerische Ministerpräsident im BR: "Es ist ja sehr beeindruckend, dass nahezu alle Virologen, Epidemiologen und Wissenschaftler auch die Wirkung dieser neuen Welle in ihrer Wucht und Geschwindigkeit nicht richtig eingeschätzt haben." Doch damit irrte er.
Bereits im Juli warnte Virologe Christian Drosten vor einer Welle im Winter. Im September warnte er, dass Deutschland nicht mit einer so niedrigen Impfquote in den Herbst gehen könne - und forderte Kontaktbeschränkungen. Das RKI berechnete im Juli für Anfang November eine Inzidenz von 300, bei einer Impfquote von 65 Prozent (viel höher ist sie bis heute nicht) - und lag am Ende nur wenige Tage daneben.
Die Politik reagierte nicht darauf. Auch Söder nicht. Mitte Oktober überschritt der Freistaat wieder die Sieben-Tage-Inzidenz von 100. Ende Oktober lag sie bei 200 - und erreichte damit Werte vom Dezember 2020. Bayern führte zu diesem Zeitpunkt die erst im Vormonat abgeschaffte Maskenpflicht im Unterricht wieder ein. Von schärferen Maßnahmen war noch nicht die Rede.
Inzwischen hat sich die Lage dramatisch verschärft, im Ländervergleich der Sieben-Tage-Inzidenzen (Stand Mittwoch) liegt Bayern (568,4) an dritter Stelle - hinter Sachsen (742,2) und sehr knapp hinter Thüringen (569,0). Fünf bayerische Landkreise liegen über einer 7-Tage-Inzidenz von 1000 - allesamt in den deutschen Top Ten. Gleichzeitig ist die Impfquote in Bayern weiterhin vergleichsweise niedrig, das Land liegt im unteren Mittelfeld: 65,7 Prozent der Einwohner sind doppelt immunisiert - Spitzenreiter Bremen liegt bei 79,3, das große Flächenland Nordrhein-Westfalen an fünfter Stelle bei 71,1 Prozent.
Inzidenzen über 1000
Auch die Belegung der Intensivbetten ist kritisch. Am 8. November sprang die entsprechende Corona-Ampel auf Rot. Das war das Zeichen, dass mehr als 600 Intensivbetten mit Corona-Patienten belegt sind. Inzwischen sind es mehr als 800 Intensivfälle - ein Plus von mehr als 28 Prozent im Vergleich zur Vorwoche. Die rote Ampel löste auch schärfere Maßnahmen aus, etwa eine 3G-Regel am Arbeitsplatz bei mehr als zehn Angestellten, 3G plus in der Gastronomie und 2G bei Sport- und Kulturveranstaltungen. Am 11. November rief Bayern wieder den landesweiten Katastrophenfall aus. Eine Woche später, am Dienstag, wurde erneut verschärft und flächendeckend 2G eingeführt. Für Ungeimpfte gelten Zugangsbeschränkungen in Gastronomie und Hotellerie.
Bereits am 10. November überschritt erstmals ein bayerischer Landkreis die Inzidenz von 1000 und markierte damit einen neuen Pandemie-Höchstwert in Deutschland. Auf die Frage, warum Bayern keinen Lockdown verhänge, etwa für jene Landkreise mit Inzidenz über 1000, antwortete Söder am Montag bei ntv, dass man diesen nur für drei Tage beschließen könne, weil das danach gültige Infektionsschutzgesetz der Ampel-Parteien das nicht abdecke. Damit würde sich der Staat "lächerlich" machen, so Söder. Allerdings war das Gesetz da noch nicht spruchreif. Inzwischen wurde nachgeschärft - und ein Lockdown auf Landesebene ist auch weiterhin möglich, sogar bis Mitte Dezember. Söder hätte also in besonders betroffenen Landkreisen längst durchgreifen können.
Stattdessen fordert er nun 2G-Regeln für ganz Deutschland. "Ich halte es auch für falsch, dass wir nur mit Flickenteppichen arbeiten", sagte er am Dienstag dem ZDF. Er würde ein gemeinsames Vorgehen von Bund und Ländern bevorzugen. Zudem sprach er sich für Booster-Impfungen ab dem fünften Monat aus, eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen, Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte und mehr Maskenpflicht im Unterricht und in öffentlichen Verkehrsmitteln.
Statt im eigenen Bundesland angesichts hoher Zahlen durchzugreifen und somit voranzugehen, verweist Söder nun auf die anderen Länder. Und er gibt weiter gute Ratschläge. Söders Kritik an den Ampel-Parteien mag teilweise ihre Berechtigung haben - schaut man sich etwa den lückenhaften und viel kritisierten ersten Entwurf des neuen Infektionsschutzgesetzes an. Nur macht Söder selbst es auch nicht besser. Zum Vorbild taugt sein Corona-Kurs nicht mehr.
Quelle: ntv.de