Politik

"Völkermord" an Armeniern Steinmeier besorgt über Verhältnis zur Türkei

Steinmeier bei einem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Erdogan im Herbst 2015

Steinmeier bei einem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Erdogan im Herbst 2015

(Foto: picture alliance / dpa)

Lange hat die deutsche Politik die Bezeichnung Völkermord für die Massaker im Osmanischen Reich vermieden. Das soll sich nun ändern. Damit droht jedoch neuer Ärger mit der türkischen Regierung und Präsident Erdogan.

Der Bundestag will die Vertreibung der Armenier durch das Osmanische Reich als Völkermord einstufen. Am 2. Juni wird der Antrag von Union, SPD und Grünen "Erinnerung und Gedenken an den Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten vor 101 Jahren" beraten, wie aus der Homepage des Parlaments hervorgeht.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist davon offenbar nicht so überzeugt. Er sorgt sich um das Verhältnis zur Türkei. "Ich hoffe, dass die deutsch-türkischen Beziehungen durch die Resolution nicht belastet werden und wir weiter gut zusammenarbeiten können", sagte er dem "Tagesspiegel". Er habe "darauf gesetzt, dass wir Türken und Armenier zu einer gemeinsamen Aufarbeitung des Geschehens und für eine Annäherung gewinnen können", fügte der SPD-Politiker hinzu. Das sei angesichts der Sensibilität beider Seiten im Umgang mit der Geschichte nicht einfach.

Steinmeier sagte mit Blick auf die schon seit längerem geführte Debatte über den "Völkermord"-Beschluss des Bundestags: "Ich habe es für unklug gehalten, diesen höchst sensiblen Prozess von außen zu gefährden und ich befürchte: allein mit der Entscheidung für den Genozidbegriff ist es nicht getan." Der Außenminister hatte bereits vor einem Jahr Bedenken gegen die schon damals geplante Einstufung der Geschehnisse als Völkermord geäußert. Auf die Frage, ob er im Bundestag zustimme, antwortete er, die SPD werde geschlossen abstimmen.

"Nicht Aufgabe der nationalen Parlamente"

Die türkische Regierung sieht den Antrag im Bundestag kritisch. Der türkische Botschafter in Deutschland, Hüseyin Avni Karslioglu, nannte es in der "Rheinischen Post" vor einer Woche fragwürdig, wie der Bundestag mit der Entschließung zur Normalisierung der Beziehungen zwischen der Türkei und Armenien beitragen könne. "Es ist nicht Aufgabe der nationalen Parlamente, über die Geschichte zu urteilen", so Karslioglu. "Genozid" sei ein durch die Genfer Konvention definierter Rechtsbegriff, über den nur ein internationales Gericht entscheiden könne. Bei Politikern sei nicht auszuschließen, "dass sie mit politischen oder religiösen Motiven handeln".

Bei den Massakern an den Armeniern 1915 kamen Schätzungen zufolge zwischen 800.000 und 1,5 Millionen Angehörige der christlichen Minderheit im Osmanischen Reich ums Leben. Die Türkei hat das bedauert, bestreitet aber, dass es sich um Völkermord gehandelt habe und spricht auch von wesentlich geringeren Opferzahlen.

Der Bundestag hatte im April 2015 in einer Debatte der Vertreibung und Vernichtung der Armenier gedacht. In erster Lesung wurde damals ein Antrag der Koalition beraten, in dem die Massaker Armeniern in Zusammenhang mit dem Begriff "Völkermord" genannt wurden. Eine klare Einordnung wurde dabei jedoch vermieden. Sowohl Bundespräsident Joachim Gauck als auch Bundestagspräsident Norbert Lammert sprachen aber eindeutig von einem Völkermord an den Armeniern.

Grünen-Chef Cem Özdemir sagte der "Bild am Sonntag": "Es kann schon sei, dass es Ärger mit Ankara gibt." Aber: "Der Bundestag lässt sich nicht von einem Despoten wie Herrn Erdogan erpressen." Die Dokumente des Auswärtigen Amtes über die Massaker an den Armeniern seien eindeutig, sagte Özdemir. "Nach dem Beschluss des Bundestags wird es für die Türkei viel schwerer, den Völkermord noch länger zu leugnen." Bereits im Titel des gemeinsamen Antrags von Union, SPD und Grünen wird laut der Zeitung der von Ankara scharf abgelehnte Begriff Völkermord erwähnt.

Quelle: ntv.de, cro/dpa

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