Wieder ist Steuerzahlergedenktag Das "Finanzgewissen" meldet sich zu Wort


Eine reale "Schuldenuhr" steht in Berlin: Der Bund der Steuerzahler macht aus Excel-Tabellen Geschichten.
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Der jüngste Streit um den Haushalt 2025 zeigt, wie schwer es ist, das Geld der Steuerzahler auf die Ressorts zu verteilen. Zugleich läuft die Digitalisierung schleppend, die Schulen sind unterfinanziert. Es könnte die Stunde des Bundes der Steuerzahler sein - wenn der einen inhaltlichen Aufschlag machen würde.
Seit November vergangenen Jahres ist ordentlich Druck auf dem haushaltspolitischen Kessel. Damals sägte das Bundesverfassungsgericht einen der Grundpfeiler ab, auf dem die finanzpolitische Architektur der Bundesrepublik jahrelang ruhte. Finanzminister Christian Lindner verhängte eine Haushaltssperre, der Bund der Steuerzahler forderte gar einen Einstellungsstopp beim Bund.
Die Ampelkoalition suchte nach Möglichkeiten zu sparen, fand unter anderem den Agrardiesel, kündigte das Ende der Subvention an und provozierte einen kleinen Bauernaufstand. Seit November wird in Deutschland besonders erbittert ums Geld gestritten. Viele sind sich dabei einig: Es gibt Reformbedarf in Deutschland, große Defizite in der Verwaltung, viel zu digitalisieren. Das Land brauche eine Riesenreform, sagt der Volkswirtschaftler Stefan Bach. Die sei allerdings politisch unattraktiv, so der Steuerexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW): "Das anzugehen, wäre die Aufgabe eines finanzpolitischen Gewissens."
Dieses Gewissen will der Bund der Steuerzahler sein. Das "Finanzgewissen der Nation" nennt sich der Verein. Er will die Interessen der deutschen Steuerzahler erst definieren und sie dann in den politischen Prozess einbringen. Er macht das aufmerksamkeitswirksam: mit dem "Schwarzbuch" über die Verschwendung von Steuergeldern etwa. Und mit dem Steuerzahlergedenktag, der in diesem Jahr auf den 11. Juli fällt. Alles sehr nachrichtentauglich. "Vulgärökonomischen Populismus" hat Bach das mal genannt.
"Habe die oft als relativ einseitig wahrgenommen"
"Natürlich muss man ab und zu eine Sau durchs Dorf treiben", sagt Bach ntv.de: "Aber da müssen dann Inhalte hinterherkommen". Der Bund der Steuerzahler belasse es zu oft beim Krawall - ohne anschließend Konstruktives anzubieten. Die Grünen-Abgeordnete Katharina Beck sagt dazu: "Ich habe den Bund der Steuerzahler oft als relativ einseitig wahrgenommen." Dennoch sei man in guten Gesprächen, so die Finanzpolitikerin.
Bach erinnert sich, früher habe der Verein interessante Vorschläge präsentiert, Politikberater und Wissenschaftler hätten diese Ideen damals aufgegriffen. Heute mache der Bund der Steuerzahler "reine Agenda-Arbeit". Er wäge nicht ab, formuliere keine neuen Gedanken. Man könne genauso gut Statements von Parteien lesen, so der Steuerexperte. Beck meint dazu: "In dieser Legislatur habe ich vom Bund der Steuerzahler noch kein bahnbrechendes Konzept wahrgenommen."
Besonders mit drei Formaten schafft es der Bund der Steuerzahler in die Nachrichten, bleibt im Gespräch, aber gerät auch immer wieder in die Kritik. Neben dem Schwarzbuch und dem Steuerzahlergedenktag ist der Verein vorwiegend mit der Schuldenuhr sichtbar: Sie soll die Entwicklung der deutschen Staatsverschuldung abbilden - im Sekundentakt. Die Darstellung beruht auf einer Schätzung, die die "geplanten Kreditaufnahmen" verschiedener Haushalte für das aktuelle Jahr zusammenzählt. Dieser Wert wird dann in Sekunden zerteilt.
Das halbe Jahr arbeiten für den Staat?
Ähnlich ist es beim Steuerzahlergedenktag: Laut Bund der Steuerzahler symbolisiert dieser, "ab wann die Steuerzahler für ihr eigenes Portemonnaie arbeiten." Vergangenes Jahr war das am 12. Juli. Steuerzahler-Präsident Rainer Holznagel erklärte damals: "Alles, was sie davor erwirtschaftet haben, mussten sie als Zwangsabgaben, als Steuern an den Staat abführen."
Man wolle einen funktionsfähigen Staat, Infrastruktur, Bildung, Polizei und auch soziale Sicherung, sagte Holznagel ntv anlässlich des Steuerzahlergedenktags im vergangenen Jahr: "Aber muss dafür mehr als die Hälfte unserer Einkommen abgenommen werden?" In diesem Jahr gibt es immerhin eine leichte Besserung zu vermelden: Die Belastung sei rund 0,1 Prozentpunkte niedriger als 2023. Entlastungen fordert der Bund der Steuerzahler trotzdem.
Zu den öffentlichen Kassen zählen für den Bund der Steuerzahler auch Renten- und Arbeitslosenversicherung, außerdem die "Quasisteuer" Rundfunkbeitrag. In die Rechnung fließt sogar der Anteil an den Sozialversicherungen ein, den der Arbeitgeber zahlt. Der Bund der Steuerzahler rechnet diese Beiträge so den Arbeitnehmern zu. Zudem ignoriert der Bund der Steuerzahler in seiner Berechnung unter anderem Steuern, die der Staat an sich selbst zahlt. 65 Milliarden seien das pro Jahr schätzt Stefan Bach. So steigt die Belastungsquote. Je nach Berechnung könnte der "Steuerzahlergedenktag" auch schon im Mai stattfinden, wie Steuerexperte Bach 2017 in einem Beitrag für die "Zeit" ausführte.
"Die legen den Finger in die offene Wunde"
Im "Schwarzbuch der Steuerzahler" listet der Bund der Steuerzahler zudem jedes Jahr hundert Fälle von Steuerverschwendung auf. Von goldfarbenen Parkbänken bis zur beheizbaren Brücke - es sind meist besonders plakative, eingängige Beispiele verfehlter Planung. Geschichten, die sich medial gut transportieren lassen, die Menschen sich gerne erzählen, weil sie so deutlich sind.
Auch er lese das Schwarzbuch, sagt CSU-Politiker Alois Rainer ntv.de. Der Vorsitzende des Finanzausschusses im Bundestag lobt, der Bund der Steuerzahler lege "den Finger offen in die Wunde." Die Arbeit des Vereins findet breiten medialen Anklang; ähnlich breit ist der Zuspruch von Politikern und Politikerinnen gestreut, auch wenn er aus den Reihen von Union und FDP deutlich lauter und zahlreicher kommt.
Der Bund der Steuerzahler will keiner Partei besonders nahestehen, für alle Steuerzahler sprechen: für alle, die wollen, "dass die Politik ihnen ausreichend Freiraum zum Leben und Wirtschaften lässt", präzisiert der Verein auf seiner Website. Dieses Angebot jedoch spricht offenbar immer weniger Menschen an: Zu Beginn der Jahrtausendwende hatte der Bund der Steuerzahler laut "Spiegel" noch mehr als 400.000 Mitglieder, mittlerweile sind es nach eigenen Angaben noch rund 200.000.
Mitglieder mit "hohem Einkommen und überdurchschnittlicher Bildung"
Die Verbliebenen bilden nicht den gesellschaftlichen Durchschnitt ab, das macht der Verein deutlich: Die Mitglieder bekommen zehnmal im Jahr die Zeitschrift "Der Steuerzahler" zugesandt. Dessen Leserschaft "verfügt über ein hohes Haushaltsnettoeinkommen und ist überdurchschnittlich hoch gebildet". So preist der Verein seine Mitglieder in einer Broschüre aus dem Jahr 2021 möglichen Anzeigenkunden an. Es handele sich um eine "Premium-Zielgruppe aus dem gehobenen Mittelstand, die entscheidungsstark ist und über eine hohe Kaufkraft verfügt".
Bach formuliert es so: "Das sind schon eher Selbstständige, viele Steuerberater und Anwälte, höhere Angestellte - zumeist Männer mit überdurchschnittlichem Einkommen." Solche Menschen würden stärker durch Steuern und Abgaben belastet. Diese Klientel bediene der Bund der Steuerzahler mit seiner staatskritischen Agenda, mit seiner Steuersenkungsphilosophie, sagt Bach.
Es wäre "wirklich gemeinwohlfördernd", würde sich der Verein umfassender mit Reformen bei der Beschaffung oder dem Personal- und Projektmanagement in der öffentlichen Verwaltung beschäftigen. Aber: "Deren Aktivismus und Kampagnen repräsentieren vor allem die Interessen der Wohlhabenden, der obersten zehn Prozent beim Einkommen und Vermögen", kritisiert Bach. "Vor allem des obersten Prozents." Der Verein kämpft etwa vehement gegen den Solidaritätszuschlag, der mittlerweile nur noch für Menschen anfällt, die mehr als 18.000 Euro Einkommenssteuer zahlen.
Was ist mit den Interessen der "kleineren Leute"?
Wohlhabende würden in Deutschland aber relativ gesehen wenig belastet, während die Mittelschicht und Geringverdiener eine vergleichsweise hohe Steuerbelastung hätten, sagt Bach. Was Steuer- und Abgabensenkungen angeht, wären die Interessen der "kleineren Leute" beim Bund der Steuerzahler "nicht so gut aufgehoben", folgert er.
So exklusiv die Gruppe auch sein mag, die der Bund der Steuerzahler vertritt: Der Verein erreicht mit seiner Arbeit eine breite Öffentlichkeit. Auch, weil es ihm gelingt, Unübersichtliches anschaulich zu machen. Schwarzbuch, Steuerzahlergedenktag und Schuldenuhr bearbeiten Themen, die sonst nicht für ihren Unterhaltungswert bekannt sind. Der Bund der Steuerzahler macht aus Excel-Tabellen Geschichten.
Bei dieser Reduktion geht allerdings einiges verloren. Einerseits bleiben Aspekte auf der Strecke: Steuerhinterziehung, die Cum-Ex-Betrügereien, legale Steuersparmodelle. Milliardenschwere Themen, die der Bund der Steuerzahler nur selten anfasst. Andererseits bleibt es oft bei einem diffusen Gefühl des Argwohns gegenüber dem Staat, das der Verein mit seinen Aktionen anspricht. Warum es zur Verschwendung von öffentlichen Geldern kommt und wie sich das vermeiden ließe; das sind Fragen, die der Bund der Steuerzahler eher selten stellt.
Quelle: ntv.de