Politik

"Viel stärker und gefährlicher" Todenhöfer warnt vor IS-Gefahr

Riskante Reise ins Herz der Finsternis: Nach der Rückkehr aus der Einflusszone fanatischer IS-Milizen berichtet Todenhöfer von seinen Eindrücken zur inneren Verfassung des Islamischen Staats. Sein Fazit dürfte westlichen Militärstrategen schlaflose Nächte bereiten.

Ist die Strategie des Westens im Kampf gegen den brutalen Vormarsch des Islamischen Staates (IS) zum Scheitern verurteilt? Die Dschihadistenmiliz ist nach Ansicht des deutschen Publizisten und ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Jürgen Todenhöfer "viel stärker und gefährlicher" als der Westen meine.

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Seit Monaten fliegt eine multinationale Allianz Luftangriffe in Syrien und dem Nordirak: Unterschätzt der Westen die Bewegung "Islamischer Staat"?

(Foto: picture alliance / dpa)

"Es herrscht eine geradezu rauschartige Stimmung, wie ich sie noch nie in einem Kriegsgebiet erlebt habe", sagte Todenhöfer im "RTL-Nachtjournal" nach seiner Rückkehr von einer zehntägigen Reise durch das Konfliktgebiet. Die großen militärischen Erfolge der Dschihadisten seit dem Sommer und der tägliche Zulauf durch neue Kämpfer verstärkten ihren Glauben, "sie könnten Berge versetzen".

"Jeden Tag kommen über 50 neue Leute aus aller Welt mit leuchtenden Augen zum IS", sagte der 74-jährige Autor. "Diese Begeisterung ist so ansteckend und das macht die Stärke des IS aus." Durch die Enthauptungen hätten sie "eine Strategie des Schreckens inszeniert", die ihre Gegner in die Flucht treibe. Todenhöfer warnte, die Gruppe plane eine "riesige religiöse Säuberung", da sie Andersgläubige und gemäßigte Muslime, die an die Demokratie glaubten, töten wollten.

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"Es herrscht eine geradezu rauschartige Stimmung": Jürgen Todenhöfer (Archivbild).

(Foto: picture alliance / dpa)

Zweifel an den Luftschlägen

Durch die internationalen Luftangriffe sind die Dschihadisten seiner Ansicht nach nicht zu besiegen. Vielmehr bedürfe es einer "innerislamischen Lösung", sagte Todenhöfer. Dazu sei es notwendig, die Sunniten, die von der schiitisch dominierten Regierung in Bagdad in den vergangenen Jahren ins Abseits gedrängt worden waren und die heute zum Teil die Dschihadisten unterstützen, wieder einzubinden. Dass dies tatsächlich geschieht, glaubt er aber nicht.

In dem Interview ging Todenhöfer auch auf Kritik ein, er hätte durch seine Reise die Dschihadisten aufgewertet. "Der IS braucht mich nicht als Plattform, er verfügt über eine Medienstrategie, die mir die Sprache verschlägt", sagte der Publizist. Eigenen Angaben zufolge unternahm er die Reise als Recherche für ein Buch über die IS-Miliz. Dafür habe er 80 "Terroristen" angeschrieben, 15 Antworten erhalten und am Ende mit zwei Kämpfern direkt gesprochen.

US-Bomben töten "Schlüsselanführer"

Bei den jüngsten Luftangriffen der US-geführten Allianz gegen Stellungen des IS im Irak sind nach Pentagon-Angaben mehrere ranghohe Anführer getötet worden. Unter ihnen sei Abu Muslim al-Turkmani, der Stellvertreter von IS-Chef Abu Bakr al-Bagdadi gewesen sein soll. Auch der mutmaßliche Militärchef der Miliz, Abd al-Basit, soll getötet worden sein. "Wir glauben, dass der Tod dieser Schlüsselanführer den IS im Kampf gegen die irakischen Sicherheitskräfte, Kurden und lokalen Milizen beeinträchtigt", sagte Pentagonsprecher John Kirby.

Den kurdischen Peschmerga-Kämpfern im Irak gelang es derweil mit internationaler Luftunterstützung, die wochenlange Belagerung der Sindschar-Berge durch den IS zu durchbrechen. Die Kurdenmilizen hätten die Berge erreicht, die Belagerung sei aufgehoben, sagte der Präsident des Sicherheitsrats der autonomen Kurdengebiete, Masrur Barsani.

Die kurdischen Peschmerga-Kämpfer hätten die Dschihadisten zur Flucht in ihre Hochburgen in Mossul und Tall Afar gezwungen, sagte Barsani in einer Einsatzzentrale nahe der Grenze zu Syrien. Seine Kämpfer hätten die IS-Versorgungslinien durchschnitten und 700 Quadratkilometer ihrer Kontrolle entrissen. Der am Mittwoch begonnene Einsatz unter Beteiligung von 8000 Peschmerga sei der bisher größte und erfolgreichste gegen die IS-Miliz gewesen, erklärte Barsanis Büro.

Rettung für die Jesiden?

Dem Pentagon zufolge flog die US-geführte Militärallianz allein seit Wochenbeginn mehr als 50 Luftangriffe gegen IS-Stellungen nahe des Sindschar-Gebirges. Im Sommer waren infolge der Blitzoffensive der Dschihadisten im Nordirak zehntausende Jesiden in die karge Bergregion geflohen, wo sie weder Wasser noch Essen hatten. Die Angehörigen der kleinen religiösen Minderheit werden von den Extremisten als Heiden oder gar als angebliche Teufelsanbeter verfolgt. Die Sorge vor einem Völkermord an den Jesiden war einer der Gründe, warum US-Präsident Barack Obama vor vier Monaten Luftangriffe gegen die Dschihadisten autorisierte.

Mit der Hilfe syrischer Kurdenkämpfer gelang es damals, einen Großteil der Flüchtlinge über die Grenze nach Syrien zu bringen, rund 1200 Familien harren aber weiter in den Bergen aus. Jesiden-Führer Said Hassan Said sagte, er sehe noch nichts von den Peschmerga. Der örtliche Peschmerga-Kommandeur Mohammed Kodschar versicherte aber, sie hätten eine Straße in die Berge gesichert und würden am Freitag beginnen, die Menschen in Sicherheit zu bringen.

Die IS-Miliz hatte im Sommer Teile des Westiraks erobert und war bis nahe an die Hauptstadt Bagdad vorgedrungen. Auch Gebiete im Norden und Nordosten Syriens brachte die Gruppe in ihre Gewalt. Auf dem grenzübergreifenden Gebiet riefen die Extremisten ein Kalifat aus und verübten Gräueltaten an Andersgläubigen. Die von den USA geführte internationale Militärkoalition geht in beiden Ländern mit Luftangriffen gegen die IS-Kämpfer vor.

Quelle: ntv.de, mmo/AFP

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