Zweite Kraftprobe im Parlament Tsipras kämpft um Abweichler
22.07.2015, 08:23 Uhr
Bei der Abstimmung über das zweite Reformpaket wird sich zeigen, wie gut Ministerpräsident Tsipras seine Abgeordneten noch im Griff hat. Abweichler versucht er umzustimmen - heftig umstrittene Themen schiebt er. Zumindest die Ratingagenturen sind optimistisch.
Nach dem Verlust seiner Regierungsmehrheit beim letzten Reformvotum kämpft der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras im Parlament um das zweite von den Gläubigern verlangte Reformpaket. Diesmal geht es um die Modernisierung der Justiz und des Bankenrechts.
Um ein weiteres Bröckeln des Koalitionslagers zu verhindern und das Kernprojekt zu retten, legte Tsipras eine heftig umstrittene Initiative zur höheren Besteuerung der Bauern auf Eis. Außerdem wurden potenzielle Abweichler in der linken Regierungspartei Syriza persönlich angesprochen, um sie auf Regierungslinie zu bringen.
Tsipras rief am Dienstagabend den linken Syriza-Flügel auf, "die Wünsche und Hoffnungen" der Gesellschaft zu akzeptieren. Erst wenn das Hilfsprogramm unter Dach und Fach ist, könnte die Linke ihre Meinungsverschiedenheiten in den Parteigremien klären.
Ringen um Stimmen
Bis Mittwochnacht muss das Parlament nun die Modernisierung des Justizsystems und die Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Banken billigen. Der Sprecher der Syriza-Fraktion, Nikos Filis, drohte im Rundfunk: "Wenn wir am Mittwoch nicht mindestens 120 Stimmen bekommen, werden wir so nicht weiter regieren können."
Unter schweren Verwerfungen in der Regierung hatte das griechische Parlament am vergangenen Donnerstag eine Rentenreform und eine Erhöhung der Mehrwertsteuern beschlossen. Doch wegen 39 Abweichlern war die eigene Mehrheit der Regierung im 300 Sitze umfassenden Parlament von 162 auf 123 Abgeordnete geschrumpft. Die Reformen kamen nur mit Stimmen der Opposition durch.
Sparer müssen für marode Banken einspringen
Künftig sollen Kreditnehmer ihre Wohnungen verlieren können, wenn sie ihre Zins- und Tilgungsraten an die Banken nicht rechtzeitig zahlen. Das Bankengesetz soll Spareinlagen bis 100.000 Euro sichern; bei Geldeinlagen über 100.000 Euro sollen sich Sparer allerdings wie die Aktionäre an der Rekapitalisierung maroder Banken beteiligen.
Um die Reformen durchzubringen, verschob die Regierung eine Debatte über die Abschaffung wichtiger Steuervergünstigungen für die Bauern. Abgeordnete aller Parteien aus ländlichen Regionen wollten das Gesetz kippen. Auch weitere Teile der Rentenreform wurden auf Anfang August verschoben, wie es in Regierungskreisen hieß.
Nach dem Beschluss der Justiz- und Bankengesetze könnten die Gespräche mit den Gläubigern über eine neue Finanzhilfe beginnen, sagte eine Regierungssprecherin in Athen. Das neue Hilfspaket soll bis zu 86 Milliarden Euro für drei Jahre umfassen.
Kreditwürdigkeit Athens gestiegen
Die Auguren der Finanzmärkte zeigten sich von der politischen Unsicherheit in Athen unbeeindruckt. Die US-Ratingagentur Standard & Poor's hob am Dienstagabend die Einstufung der Kreditwürdigkeit Griechenlands um zwei Stufen auf "CCC+" an.
Zur Begründung erklärte sie, nach der Einigung auf Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket und dem Erhalt einer Brückenfinanzierung von sieben Milliarden Euro sei ein schneller Ausfall der Athener Zahlungen an Privatgläubiger vermeidbar. Zudem sei die Wahrscheinlichkeit eines Ausscheidens Griechenlands aus der Eurozone bis 2018 unter 50 Prozent gesunken.
Mahnende Worte
In Deutschland haben Politiker vor der Abstimmung in Athen eine Umsetzung aller beschlossenen Maßnahmen angemahnt. Der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag, Gunther Krichbaum, sagte der "Bild"-Zeitung, man beobachte das in Berlin sehr genau. Griechenland müsse die Voraussetzungen erfüllen, sonst könne kein Geld fließen.
Auch der Vize-Präsident des EU-Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff, sagte dem Blatt: "Es kann kein Hilfsprogramm geben, wenn die griechische Regierung von ihren Zusagen abrückt. Dann muss die EU die Gespräche sofort abbrechen."
Quelle: ntv.de, hul/rts/dpa