Macron? Le Pen? Überraschung? Und nebenbei wählt auch noch Frankreich …
10.04.2022, 09:08 Uhr
Zwei Favoriten für den zweiten Wahlgang: Le Pen und Amtsinhaber Macron.
(Foto: picture alliance/dpa/MAXPPP)
Krieg, Corona, Energiepreise: In einem krisenhaften Frühling bestimmt Deutschlands wichtigstes Partnerland seinen Präsidenten neu. Macron will im Amt bleiben, seine Gegnerin in der zweiten Runde wird wohl Le Pen heißen. Die Wahlbeteiligung könnte aber alles durcheinander wirbeln.
Wenigstens wird am Sonntag das Wetter schön. Hier in der französischen Hauptstadt regnet es nämlich seit Tagen - und das nach einem ungewöhnlich milden Winter. Franzosen mögen keinen Regen und würde es am Wahlsonntag aus vollen Kannen gießen, wäre die Wahlbeteiligung wahrscheinlich noch niedriger als ohnehin.
Die Wahlbeteiligung: Sie könnte diese Wahl doch noch spannender machen, als es unbedingt nötig wäre. Denn Experten sagen voraus, dass die Menschen zwischen Lille und Nizza, zwischen Bordeaux und Colmar sich rarmachen werden in den Wahllokalen in dieser ersten Runde der Präsidentschaftswahl.
In Runde eins darf (fast) jeder
Denn das ist ja das besondere an diesem französischen Wahlsystem: In Runde eins dürfen alle mal ran, alle jedenfalls, die die Unterschriften von 500 Bürgermeistern und Abgeordneten im Land zusammenhaben. So stehen neben Macron, Le Pen, Zemmour und Pécresse auch sehr ungewöhnliche Kandidaten auf dem Stimmzettel: Jean Lasalle, ein Abgeordneter aus dem bäuerlichen Béarn, der so stark den südwestlichen Dialekt seiner Heimat spricht, dass es bei YouTube dutzende Scherz-Videos über ihn gibt.
Philippe Poutou, ein ehemaliger Kommunist, der in einer Autofabrik bei Bordeaux am Fließband steht. Beide sind Zählkandidaten, genau wie Anne Hidalgo, die immerhin Pariser Bürgermeisterin ist und die altehrwürdigen Sozialisten - die Partei der Ex-Präsidenten Francois Mitterand und François Hollande - bei dieser Wahl deutlich unter die 5 Prozent bringen wird.
Eine realistische Chance auf Runde zwei hatten bis vor wenigen Tagen fünf Kandidaten: Jean-Luc Mélenchon, ein Salonlinker, der so wie Bernie Sanders in den USA mit seinen Klassenkampf-Parolen viel Zulauf hat in großen Städten und bei jungen Wählern. Valérie Pécresse, Kandidatin der Republicains, der einstigen Chirac- und Sarkozypartei, die im Wahlkampf die Parolen der extremen Rechten kopiert hatte. Éric Zemmour, Journalist und Polemist, der neue Wortführer der extremen Rechten, der das Ende jeglicher Migration fordert und das Frankreich alter Zeiten wieder herbeizaubern will, wie auch immer er das anstellen mag.
Die neue Le Pen
Marine Le Pen, komplett gemäßigt in Ton und Form, die sich als bürgernahe Alternative zum Präsidenten darstellt und von allen Extremforderungen - EU-Austritt, Frexit, et cetera - abgerückt ist. Und eben Emmanuel Macron, der 44-jährige Präsident, seit Angela Merkels Abgang von der politischen Bühne der größte Stabilitätsanker der EU.
Sie alle lagen ziemlich gleichauf, wochenlang, Macron war stets vorne, aber dann hatte mal Pécresse einen Höhenflug, mal Zemmour, dann wieder Mélenchon. Und nun Le Pen. Vergessen scheinen die vielen Bilder, die sie in sehr herzlicher Geste mit Wladimir Putin zeigen. Stattdessen hat es Rechtsausleger Éric Zemmour vermocht, mit solch extremer Wortwahl von sich reden zu machen, dass Marine Le Pen gegen ihn wie eine lammfromme Realpolitikerin wirkt, die auf einmal wählbar erscheint.
Natürlich ist sie nach wie vor gegen Migration, für eine Null-Toleranz-Politik in den rauen Vororten und gegen den fortschreitenden Islamismus im Land. Am Tag ihrer Wahl will sie das Tragen von Kopftüchern in der Öffentlichkeit verbieten lassen. Aber sie hat es auch vermocht, das Prekariat in den Blick zu nehmen, die einfachen Franzosen, die unter den Energie- und Benzinpreisen leiden und sich nach Corona vor einer Wirtschaftskrise fürchten.
Wer kann seine Wähler mobilisieren?
Spreche ich mit Franzosen, besonders auf dem Land, neulich etwa im Var bei Toulon, dann höre ich oft: "Wir haben so viel versucht: Sarkozy, diesen Verrückten - und dann Hollande, den Langweiler, und jetzt Macron, den Start-Up-Boy. Jetzt versuchen wir es eben mal mit Marine." Denn Marine ist nicht die große Unbekannte, wie für die Deutschen, auch nicht die Person, vor der hier alle Angst haben. Sie kennen Marine seit Jahrzehnten, denn Le Pen ist eine allgegenwärtige Politikerin im Land, eine alte Bekannte, sozusagen. Darauf hat sie in diesem Wahlkampf gesetzt und versucht, sich auch für gemäßigte Wähler wählbar zu machen - mit Erfolg, so scheint es.
So könnte es in der ersten Runde tatsächlich eng werden in diesem Rennen. Denn es gilt: Während viele Anhänger Macrons zu Hause bleiben werden - oder längst im Osterurlaub sind, weil der Sieg ihres Favoriten als klar gilt, werden die Wähler der extremeren Politiker geschlossen zur Wahl gehen: Das gilt insbesondere für Zemmour, der aber zu weit hinten liegt, als dass er tatsächlich in die zweite Runde kommen wird. Das gilt auch für Mélenchon, dessen Ergebnis wirklich mit Spannung erwartet wird. Und es gilt für Le Pen. Wie viele Anhänger der extremen Rechten werden sie noch wählen, obwohl sie nun so gemäßigt auftritt? Wie viele Macronistes sind enttäuscht von dem jungen Präsidenten? Seine Rentenreform ist gescheitert, doch die Zahlen von Wirtschaftskraft und Arbeitsmarkt waren sehr gut, als Corona über das Land hereinbrach. Die große Wirtschaftskrise ist ausgeblieben.
Mit Spannung erwartetes Duell
Aller Voraussicht nach wird Macron die erste Runde gewinnen. Mit vier oder fünf Prozent Vorsprung vor Le Pen. Dann wird es am 20. April, dem Mittwoch vor der Wahl, das große TV-Duell geben, zur besten Sendezeit auf zwei Sendern gleichzeitig. 2017 hat Le Pen dort nicht nur enttäuscht, sie ist gegen Macron untergegangen. Sie wird daraus gelernt haben, wird sich geschult haben, trainiert bis zum Schluss. Doch Macron ist eloquent, charismatisch, er ist Le Pen rhetorisch überlegen.
Und die Franzosen werden sich am Wahltag der zweiten Runde fragen, ob sie am Montag nach der Wahl wirklich mit einer Präsidentin Le Pen aufwachen wollen - im Jahr einer der schwersten Krisen in Europa seit 70 Jahren. Unwahrscheinlich, dass es so weit kommt. Aber ausgeschlossen ist seit Trump nichts mehr.
Quelle: ntv.de