Wenn Freiwilligkeit nicht reicht Union und SPD vereinbaren Wehrpflicht mit Losverfahren
14.10.2025, 17:20 Uhr Artikel anhören
Der Staat könnte bald heranwachsende Männer in die Kaserne losen.
(Foto: picture alliance / SZ Photo)
Seit Wochen ringen CDU, CSU und SPD um die genaue Ausgestaltung eines wieder scharfgestellten Wehrdienstes. Die Sozialdemokraten sind lange Zeit für ein rein freiwilliges Modell, nun kommt es anders: Wenn die Zahlen freiwilliger Wehrdienstleistender nicht erreicht wird, soll Kamerad Zufall entscheiden.
Union und SPD haben sich nach langem Ringen auf ein Wehrdienstmodell verständigt, das auch ein Losverfahren für die Rekrutierung von jungen Leuten für die Bundeswehr enthalten soll. Das bestätigten Vertreter beider Fraktionen. Einzelheiten sind noch unklar, etwa wie konkret dieses Losverfahren aussehen und in welchem Fall es greifen soll. Details stellen Verteidigungspolitiker der Regierungsfraktionen am frühen Abend vor.
Der Bundestag berät am Donnerstag erstmals über das von der Regierung geplante Wehrdienstmodell. Es geht darum, mehr junge Leute für den Wehrdienst zu gewinnen. Nach bisherigen Plänen soll das auf freiwilliger Basis geschehen, etwa mit Hilfe von stärkeren Anreizen wie besserer Bezahlung und durch die Verpflichtung für junge Männer, die 18 werden, einen Fragebogen zur eigenen Wehrbereitschaft auszufüllen.
Das geplante Wehrdienstgesetz soll der Bundeswehr zu Zehntausenden zusätzlichen Soldaten verhelfen. Vor dem Hintergrund, dass die Nato eine Größenordnung von 260.000 für erforderlich hält, um einem Angriff etwa Russlands standzuhalten, werden etwa 80.000 zusätzlich benötigt. Die Union hatte daher auf verbindliche Regeln gedrungen, falls der Truppenaufwuchs nicht durch Freiwillige erreicht wird. Die SPD dagegen hatte eine generelle Wehrpflicht unter anderem mit Verweis darauf abgelehnt, dass nicht alle Heranwachsenden eines Jahrgangs benötigt würden - das sei zu viel. Das Losverfahren soll nun eine faire Grundlage dafür schaffen, wenn nur ein kleiner Teil eines Jahrgangs zum Wehrdienst oder einem Ersatzdienst verpflichtet wird.
SPD und Union zufrieden
SPD-Fraktionschef Matthias Miersch lobte die Einigung der Koalitions-Fachpolitiker. Er sei sehr froh, dass es in diesem wichtigen Themenfeld nun vereinbarte Eckpunkte gebe, sagte er vor einer Fraktionssitzung in Berlin. Diese seien eine gute Grundlage für das parlamentarische Verfahren. Für die SPD sei es immer wichtig gewesen, auf das Element der Freiwilligkeit zu setzen. Es sei zentral, dass Menschen motiviert seien und nicht einfach verpflichtet würden. Da aus Kapazitätsgründen nicht ein ganzer Jahrgang eingezogen werden könne, stelle sich die Gerechtigkeitsfrage. Miersch zeigte sich zuversichtlich, dass die Losvariante auch verfassungsrechtlich machbar sei.
Unions-Fraktionschef Jens Spahn nannte ein Losverfahren naheliegend. "Ich habe jedenfalls noch keinen faireren Vorschlag gehört." CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann hatte das Loselement zuvor ebenfalls verteidigt: "Es geht darum, in einem System Gleichheit herzustellen. Der Prozess der Auslosung gewährleistet diese Gleichheit."
Drei-Stufen-Verfahren stößt auf Widerspruch
Koalitionskreisen zufolge ist im Kern ein dreistufiges System vorgesehen, das sich am dänischen Modell anlehnt. Alle männlichen Vertreter eines Jahrgangs müssen einen Fragebogen zum Wehrdienst beantworten und können sich freiwillig für mindestens sechs Monate melden. Finden sich hier nicht genug, wird im zweiten Schritt aus dem Jahrgang eine bestimmte Menge gelost, um die fehlenden Reservisten aufzufüllen. Diese sollen zunächst gezielt überzeugt werden, freiwillig zu dienen. Führt auch dies nicht zum Ziel, müsste der Bundestag einen Beschluss fassen und die Fehlenden zwangsweise einziehen.
Im Vergleich zum ursprünglichen Gesetzentwurf ergeben sich den Koalitionskreisen zufolge weitere Änderungen: So wird nicht mehr ein kompletter Jahrgang gemustert, was bei etwa 300.000 jungen Männern und nach Abschaffung der Kreiswehrersatzämter schwierig wäre. Zudem sollen die Wehrdienstleistenden nicht mehr als "Soldaten auf Zeit" eingestuft werden. Das hätte bedeutet, dass sie mit diesem Status etwa auch zu Auslandseinsätzen herangezogen werden können.
Linksfraktionschef Sören Pellmann warnte derweil vor einer "Lotto-Wehrpflicht". Das Vorhaben erinnere ihn "an den Roman "Tribute von Panem", wo Kinder für die Hungerspiele ausgelost werden". Die Grünen im Bundestag lehnen ein Losverfahren ebenfalls ab, es handele sich um einen "völlig undurchdachten Vorschlag". Das Los entscheiden zu lassen, wer gemustert und einberufen werden solle, sei ein "absolut willkürliches" und ein "total bürokratisches" Verfahren, sagte Fraktionschefin Katharina Dröge in Berlin. Menschen für die Bundeswehr zu gewinnen, die eigentlich gar nicht wollten, "wird auch beim Losverfahren nicht funktionieren". Gelost würden dann voraussichtlich auch Personen, die weder besonders geeignet noch besonders motiviert seien.
Quelle: ntv.de, shu/dpa/rts