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Verstörendes Video War Nawalny ein Rassist?

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Alexej Nawalny kandidierte 2013 für das Amt des Moskauer Bürgermeisters  - und holte offiziellen Angaben zufolge 27 Prozent der Stimmen.

Alexej Nawalny kandidierte 2013 für das Amt des Moskauer Bürgermeisters - und holte offiziellen Angaben zufolge 27 Prozent der Stimmen.

(Foto: AP)

Mit dem Tod Alexej Nawalnys verliert die russische Opposition ihren Anführer. Im Westen wird in ihm eine liberale Ikone gesehen. Doch immer wieder wird auch der Vorwurf laut, Nawalny sei ein Ultra-Nationalist gewesen.

Der Tod Alexej Nawalnys erschüttert die Russen, die Gegner des Präsidenten Wladimir Putins sind. Für sie verkörperte der Oppositionspolitiker die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Doch nun taucht - vor allem in den sozialen Medien - der Vorwurf auf, Nawalny sei in Wirklichkeit Rassist gewesen. Hinter der liberalen Fassade habe er großrussische Attitüde, Nationalismus und Ausländerfeindlichkeit verborgen.

Die Vorwürfe sind nicht neu. Dass Nawalny ein Ultra-Nationalist sei, wird seit vielen Jahren behauptet. Kern sind Youtube-Videos, die Nawalny 2007 aufnahm, als er seine politische Bewegung gründete und ihr zu Aufmerksamkeit verhelfen wollte. In einem fordert er das Recht für Russen auf Waffenbesitz. In einem anderen vergleicht er, verkleidet als Zahnarzt, ethnische Probleme in Russland mit Karies und behauptet, dass drohender Faschismus allein durch die Abschiebung von Migranten verhindert werden könne. Am Ende sagt er: "Wir haben ein Recht darauf, in Russland [ethnische] Russen zu sein. Und wir werden dieses Recht verteidigen."

Das zweite Video ist besonders verstörend. Zumal Nawalny zu dieser Zeit begonnen hatte, am alljährlichen "Russischen Marsch" teilzunehmen, einer Demonstration von Ultra-Nationalisten und Rechtsradikalen. 2008 unterstützte er - wie ein Großteil seiner Landsleute - Russlands Einmarsch in Georgien. Später entschuldigte er sich dafür. 2013 kandidierte Nawalny für das Amt des Bürgermeisters von Moskau. Eines seiner zentralen Themen war die illegale Einwanderung aus Zentralasien.

Auch den von Putins Vorgänger Boris Jelzin geführten Ersten Tschetschenien-Krieg in den 90er- Jahren hatte Nawalny unterstützt, damals studierte er Jura in Moskau. Die ehemalige Sowjetrepublik hatte sich 1991 für unabhängig erklärt. Nawalny sah im Kampf gegen tschetschenische Abtrünnige einen Kampf für die Wiederherstellung von Recht und Ordnung. Wegbegleitern des späteren Oppositionspolitikers zufolge erlebte er während des Studiums den Kampf rivalisierender Banden um den Drogenhandel in seiner Uni. Eine Gruppe Tschetschenen habe in Nawalyns Wohnheim gedealt und die Kontrolle ausgeübt, das habe in Nawalny tiefe Vorurteile hinterlassen.

Ukrainer wütend

Nach der illegalen Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 verärgerte Nawalny die Ukrainer. Er hatte gesagt, er würde als russischer Präsident die Halbinsel nicht automatisch an die Ukraine zurückgeben. "Ist die Krim ein Sandwich, das hin und her gereicht wird? Ich glaube nicht", sagte er in einem Interview. Nawalny sprach sich aber für ein Referendum aus, bei dem die Bewohner entscheiden sollten, ob die Krim zu Russland oder zur Ukraine gehört.

Den vor zwei Jahren von Russland begonnenen Angriffskrieg gegen die Ukraine lehnte Nawalny vehement ab. Er sprach sich für die territoriale Integrität der Ukraine aus, forderte den sofortigen Abzug der russischen Truppen und dass Russland Öl- und Gaseinnahmen verwenden müsse, um Reparationen zu zahlen.

Das unappetitliche Zahnarzt-Video und Nawalnys Teilnahme am "Russischen Marsch" sind nur durch die Ambitionen Nawalnys zu verstehen. Er wollte nicht sein wie Dissidenten zu Zeiten der Sowjetunion, die in der heimischen Küche mit Gleichgesinnten über Politik diskutierten und eine bessere Zukunft herbeisehnten. Nawalny wollte aktiv das System Putin zum Einsturz bringen und durch eine freie, demokratische Gesellschaft ablösen. Nawalny war davon überzeugt, dass das nur durch eine breite Bewegung gelingt, die über die liberalen Milieus von Moskau und St. Petersburg hinausgeht.

Nawalny begann seine politische Karriere in der Zeit, als Putin im Jahr 2000 erstmals zum russischen Präsidenten gewählt wurde. Er trat der bekanntesten liberalen Partei, Jabloko, bei. Putin kultivierte damals ein Image als entschlossener Anführer, der nach der heftigen Wirtschaftskrise Ende der 90er-Jahre für Ordnung und Stabilität sorgen würde. Angesichts kräftig steigender Öl- und Gaspreise erlebte Russland einen Aufschwung. In den Großstädten entstand eine Mittelklasse, die schicke Cafés besuchte und sich iPhones und Urlaubsreisen leisten konnte. Der Großteil akzeptierte den Deal mit Putin, sich im Gegenzug aus der Politik herauszuhalten. Derweil bereicherte sich der Machtapparat durch systematische Korruption.

Das schwächte die liberale Opposition. Zugleich kam außerhalb der Großstädte wenig vom wirtschaftlichen Aufschwung an. Nawalny sah sich nach Unterstützung außerhalb der liberalen Blase um. Er setzte dabei auch auf russische Nationalisten aus dem Milieu der unterprivilegierten Arbeiterklasse. "Alle, die sich hier versammelt haben, können die diebischen Arschlöcher schon morgen aus dem Kreml werfen", rief er auf einem "Russischen Marsch" von der Bühne. Er musste Jabloko verlassen und gründete seine eigene Bewegung, die das Ausmaß der institutionalisierten Korruption enthüllte.

"Putin ist der Schlussakkord"

Nawalny sagte, der Nationalismus sei zu wichtig, um ihn Neonazis zu überlassen. Dabei geht es um die Frage, was Russland ist. Als Kaiserreich, als Kern der Sowjetunion und auch heute ist Russland kein Nationalstaat, sondern Zentrum eines multiethnischen Imperiums, beherrscht von sich als überlegen definierenden Russen. Im Gegensatz dazu hat sich in ehemaligen Sowjetrepubliken - wie etwa der Ukraine - eine eigene nationalstaatliche Identität entwickelt. Genau diese Art von Identität schwebte Nawalny vor - ein demokratischer Nationalstaat, der niemanden bedroht. Ein Gegenentwurf zum rückwärtsgewandten, imperialen Nationalismus in der repressiven Tradition der Sowjetunion. "Putin ist der Schlussakkord der UdSSR", sagte er dem "Economist".

Nawalny sah im "Russischen Marsch", zu Beginn die bis dahin größte Demonstration gegen Putin, eine legitime politische Meinungsäußerung, die in einem freien Russland erlaubt sein sollte, für das er und seine Unterstützer kämpften. "Man muss mit den Nationalisten reden und sie aufklären", sagte Nawalny. "Es ist sehr wichtig, ihnen zu erklären, dass das Problem der illegalen Einwanderung nicht durch das Verprügeln von Migranten gelöst wird, sondern durch andere, demokratische Mittel: eine Rückkehr zu freien Wahlen, die uns helfen würden, die Gauner und Diebe [also das korrupte System Putins] loszuwerden, die sich an der illegalen Einwanderung bereichern."

"Unter normalen Umständen, in einem normalen politischen System, würde ich nie mit ihnen gemeinsame Sache machen", sagte Nawalny in einer Dokumentation, die auf RTL+ zu sehen ist. "Sie sind aber Bürger der Russischen Föderation. Und wenn ich Putin bekämpfen und das Land führen will, kann ich nicht einen riesigen Teil [der Menschen] ignorieren. Wir leben in einem Land, wo man Politiker vergiftet, Leute umbringt oder grundlos verhaftet. Deshalb macht es mir nichts aus, mich mit Leuten zusammenzusetzen, die kein gutes Licht auf mich werfen."

Nawalny versuchte schon bald, sich von einigen seiner frühen Äußerungen zu distanzieren. "Heute sehen die sehr dumm aus", sagte er dem "Economist", als er sich in Deutschland von einem Giftanschlag erholte. Er beharrte darauf, dass er damit lediglich die Basis seiner politischen Bewegung verbreitern wollte. "Ich habe nichts erreicht, außer meinem eigenen Image zu schaden", so Nawalny. "Ich werde von den Liberalen als Nationalist und von den Nationalisten als Liberaler bezeichnet."

Quelle: ntv.de

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