Auch Islamisten mögen Hitler Warum Neonazis mit der Hamas sympathisieren


Seit dem 7. Oktober werden - wie in Nazi-Deutschland - von Antisemiten wieder die Wohnorte jüdischer Menschen gekennzeichnet.
(Foto: picture alliance, Poitout Florian/ABACA)
Der Angriff der Hamas auf Israel produziert ungewöhnliche Freundschaften: In Deutschland jubeln Rechtsextreme plötzlich mit islamistischen Terroristen und rufen zu Anschlägen auf Juden auf. Auch andere extreme Gruppen könnten bald Hand in Hand mit Palästina-Sympathisanten auf die Straße gehen.
Wenige Tage nach dem Hamas-Angriff auf Israel weht an einem bekannten Neonazi-Haus in Dortmund eine palästinensische Flagge. Zwischen zwei Fenstern ist ein weiß-blaues Transparent aufgespannt mit der Aufschrift "Der Staat Israel ist unser Unglück". Die Neonazis greifen tief in die Parolen-Kiste von Hitler-Deutschland. Auch das NS-Hetzblatt "Der Stürmer" hatte einst geschrieben: "Die Juden sind unser Unglück". Noch am selben Tag nehmen Polizei und Feuerwehr Fahne und Transparent ab. Der Staatsschutz ermittelt wegen Volksverhetzung.
Der Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober produziert ungewöhnliche Freundschaften. Doch dass sich Neonazis mit islamistischen Terroristen solidarisieren, passt nur auf den ersten Blick nicht zusammen. Der Antisemitismus sei ein Bindeglied zwischen beiden politischen Lagern, sagt Reiner Becker, Leiter des Demokratiezentrums Hessen an der Philipps-Universität Marburg im Podcast "Wieder was gelernt" von ntv. "Er funktioniert in Teilen des Rechtsextremismus und im politischen Islamismus, hat aber auch eine große Bedeutung in der sogenannten Mitte der Gesellschaft. Der Antisemitismus bietet verschiedenste Erzählungen an, weil er so alt ist und so viele Ausprägungen annehmen konnte."
"Von Hitler inspiriert"
Es überrascht, aber die islamistische Hamas hat viel mehr mit Neonazis gemeinsam als gedacht. "Die Hamas ist von Hitler inspiriert", sagt etwa der US-amerikanische Autor Paul Berman in einem Interview mit der "Neuen Zürcher Zeitung". Er nennt ihre Ideen einen "höllischen Mix aus islamischem Fundamentalismus und Nazi-Ideologien".
Nazi-Ideologie deshalb, weil sich die Hamas in ihrer Charta unter anderem auf die "Protokolle der Weisen von Zion" beruft, eine gefälschte, antisemitische Hetzschrift. Darin ist von einer jüdischen Weltverschwörung die Rede. Die Nazis haben sie Ende der 1930er-Jahre an die arabischen Länder verteilt. Die Charta der Hamas ruft dazu auf, Juden zu töten, um einen islamischen Palästinenserstaat zu erreichen.
So ist das Nazidenken in die islamistischen Bewegungen eingesickert. Die Hamas hat die Ideen komplett übernommen. In gewisser Weise sind die Terroristen der Hamas die neuen Nazis.
Anschläge auf Juden weltweit
Auch der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte die Morde der Hamas beim Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz mit den Massakern der Nationalsozialisten im Dritten Reich verglichen. Dieser Vergleich betreffe nicht die Ideologie in ihrer Breite, sagt Rechtsextremismusforscher Becker, eine Parallele sei aber der "absolute Vernichtungswille Israels und des jüdischen Volkes". Das sei ein Kern der nationalsozialistischen Ideologie gewesen.
Das Phänomen gibt es nicht nur in Deutschland, Judenhasser weltweit nutzen den Krieg in Nahost für ihre Zwecke aus. In Frankreich, Großbritannien und auch Österreich haben antisemitische Vorfälle seit dem Angriff der Hamas auf Israel vor über einem Monat extrem zugenommen. Allein in Deutschland gab es rund 200: Molotowcocktails wurden auf eine Synagoge in Berlin geworfen, Menschen bei Kundgebungen und Gedenkorte angegriffen, Davidsterne an Hauswände geschmiert.
Auch in den USA haben Gruppen, die mit Neonazis in Verbindung stehen, zu Anschlägen auf jüdische Communitys aufgerufen. Anfang November soll an einer Universität im US-Bundesstaat Massachusetts ein Student einen jüdischen Kommilitonen geschlagen haben.
Verschiedene Formen des Antisemitismus
Rechte Parteien und Gruppen in Deutschland posten auf Websites und in Social-Media-Kanälen antisemitische und rassistische Propaganda. Diese findet sich bisher eher vereinzelt. Die rechte Szene halte sich noch zurück, sagt Becker. Die rechtsextreme Kleinstpartei der III. Weg hatte auf ihrer Homepage die Anschläge der Hamas als "Gegenangriff auf das zionistische Gebilde Israel" bezeichnet. "Da wird eine ganz klare antisemitische Sprache gewählt und Kante gezogen." Auch die rechtsextreme Partei Heimat, die frühere NPD, habe sich klar gegen eine Unterstützung Israels ausgesprochen.
Der III. Weg arbeitet mit israelbezogenem Antisemitismus. Dieser stellt das Existenzrecht des Staates Israels infrage und deckt sich so mit dem Programm von Islamisten wie der Hamas. Die Forderung findet sich aber auch in der Mitte der Gesellschaft und im linksextremen Milieu wieder. Schon seit Jahrzehnten.
Eine andere Form des Antisemitismus ist dagegen der "Schuldkult": Den Juden wird vorgeworfen, dass sie die Erinnerung an den Völkermord für ihre eigenen Vorteile ausnutzen. Die Formulierung nutzen vorwiegend rechtspopulistische Parteien wie die AfD.
Linke greifen rechte Parolen auf
Aber auch diese Ansicht ist in Teilen der Linken verbreitet - diese scheinen jetzt im Gaza-Krieg lauter zu werden. Zu sehen war das Mitte Oktober in Berlin: Etwa zwei Wochen nach dem Terrorangriff der Hamas gab es eine Sitzblockade vor dem Auswärtigen Amt. Mehrere Hundert Demonstranten riefen: "Free Palestine from German guilt" - "Befreit Palästina von deutscher Schuld".
Eine "linke Variante des rechtsextremen 'Schuldkult'-Narrativs" nannte der Historiker und Leiter der KZ-Gedenkstätte Buchenwald-Dora Jens-Christian Wagner diese Demo bei X. Den Demonstranten gehe es vor allem darum, Deutschland von "Schuld und Verantwortung" zu befreien.
Antimuslimischer Rassismus
Linke, Rechte und Hamas-Unterstützer haben ein gemeinsames Feindbild: Israel. Rechtsextremismusexperte Becker kann sich gut vorstellen, dass diese sehr unterschiedlichen Gruppen bald zusammen demonstrieren. So wie in der Pandemie. "Es gibt Themen, politische Themen, wo Menschen aus Gruppen zusammenkommen, die normalerweise nichts miteinander verbindet. Die Corona-Krise hat das gut dokumentiert." Bei Demonstrationen seien sowohl Menschen aus einem esoterischen Spektrum, als auch Menschen aus der rechtsextremen Szene und dem Reichsbürgerkontext dabei gewesen.
Doch Gemeinsamkeiten und Sympathien haben Grenzen. Die AfD hat sich im Bundestag trotz des Schuldkults hinter Israel gestellt und gefordert, jene Muslime auszuweisen, die unter anderem in Berlin-Neukölln den Angriff der Hamas gefeiert hatten.
Dieser Antisemitismus finde sich nicht unter der arbeitenden deutschen Bevölkerung, erklärte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der AfD, Beatrix von Storch, im Bundestag die Positionierung ihrer Partei. Ausgerechnet am 85. Jahrestag der Reichspogromnacht am 9. November.
Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?
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Quelle: ntv.de