Politik

Gräuel in Nordkoreas Lagern Warum der Fall Warmbier ein Rätsel ist

Otto Warmbier bei seinem Prozess Anfang 2016: Nordkorea behandelt seine ausländischen Häftlinge normalerweise vergleichsweise gut.

Otto Warmbier bei seinem Prozess Anfang 2016: Nordkorea behandelt seine ausländischen Häftlinge normalerweise vergleichsweise gut.

(Foto: picture alliance / Jon Chol Jin/)

Hunderttausende Menschen leiden in Nordkoreas Lagern, viele kommen zu Tode. Ausländern, die sich vermeintlicher Verbrechen schuldig gemacht haben, ergeht es normalerweise etwas besser. Und doch musste Otto Warmbier sterben.

Was in Nordkorea vor sich geht, ist schwer einzuschätzen. Über den abgeschotteten Staat in Ostasien ist so gut wie nichts Gesichertes in Erfahrung zu bringen. Reisende sehen lediglich einen wohlausgewählten Ausschnitt. Niemand kann sich frei bewegen. Dissidenten wägen aus Furcht vor Vergeltungsaktionen im Exil ihre Worte sorgfältig. Und zu allen Ungenauigkeiten kommen gezielte Falschmeldungen des südkoreanischen Geheimdienstes, die die Grausamkeit des Kim-Regimes übertreiben oder in denen von vermutlich schlicht erfundenen Gräueltaten berichtet wird.

Das macht die Einschätzung des Falls des vor wenigen Tagen aus nordkoreanischer Haft in die USA überstellten und nun verstorbenen Studenten Otto Warmbier besonders schwierig. Der 22-Jährige geriet im Januar 2016 in nordkoreanische Haft, nachdem er als Tourist in einem Hotel in Pjöngjang versucht haben soll, ein Propagandaplakat als Souvenir zu entwenden. In einem Schauprozess gestand Warmbier die Tat unter Tränen. Ob er zu dieser Aussage gezwungen worden ist und ob sie der Wahrheit entspricht, ist unklar. Die Strafe für seinen versuchten Diebstahl war jedenfalls drakonisch: Nach nur einstündigem Prozess wurde er zu 15 Jahren Arbeitslager verurteilt.

Was daraufhin geschehen ist, kann niemand mit Sicherheit sagen. Seit dem Prozess hatte Warmbiers Familie keinen Kontakt mehr zu dem jungen Mann. Auch die schwedische Botschaft, die die Interessen der USA in Nordkorea vertritt, erhielt kein Besuchsrecht. Wenige Tage vor seiner Freilassung bekamen seine Eltern einen Anruf. Warmbier befinde sich im Koma und werde aus "humanitären Gründen" ausgeliefert. Nordkorea erklärt seinen schlechten Zustand mit einer Kombination aus einer Lebensmittelvergiftung und der Einnahme von Schlaftabletten. Bei der Untersuchung Warmbiers fanden Ärzte jedoch keine Hinweise darauf.

MRT-Aufnahmen von Warmbiers Gehirn, die Nordkorea zur Verfügung stellte, deuten auf einen schweren Hirnschaden hin, den Warmbier wohl schon recht früh in Haft erlitten habe. Es gibt Berichte, nach denen dieser nur einen Tag nach dem Schauprozess eingetreten sei. Möglich sei, dass die Hirnschäden von einem Sauerstoffentzug stammten. Denkbar sei auch, dass ein Herzstillstand die Blutzufuhr zu seinem Gehirn unterbrochen habe. Was diesen Herzstillstand ausgelöst hat? Unklar. Die US-Geheimdienste wollen erfahren haben, dass er brutal geschlagen worden sei. Doch Warmbiers Körper weist laut US-Medien nach Angaben der amerikanischen Ärzte keine Spuren solcher Misshandlungen auf.

"Sie wollen nicht, dass Ausländer in ihrer Obhut sterben"

Dabei liegt der Verdacht, Warmbier könnte schwer gefoltert worden sein, nahe. Dass Insassen in nordkoreanischen Lagern verletzt, gequält und hingerichtet werden, ist weitgehend unstrittig. Eine UN-Kommission hat die Menschenrechtsverstöße in Nordkoreas Lagern untersucht. Es gibt Berichte Dutzender ehemaliger Häftlinge, denen die Flucht gelungen ist. Sie alle erzählen von erbärmlichen Haftumständen, Erniedrigung und brutalen Verhörmethoden. Bis zu 200.000 Menschen sollen in den im ganzen Land verteilten Arbeits- und Umerziehungslagern einsitzen. Viele sterben dort an Unterernährung oder den Folgen von schlechter Behandlung. Ausländer, und vor allen Dingen US-Amerikaner, werden in der Regel jedoch vergleichsweise gut behandelt.

Die "New York Times" hat 16 Fälle von in Nordkorea festgehaltenen US-Bürgern seit 1953, dem Jahr des Waffenstillstandsabkommens im Koreakrieg, zusammengetragen. Die bisher Freigelassenen berichten von schlimmen Zuständen und stundenlangen Verhören. Grobe Behandlung mussten auch sie über sich ergehen lassen, doch nur wenige haben lebensgefährliche Folter am eigenen Leib erfahren. Gegen Geständnisse erhielten manche Hafterleichterungen. Die psychischen Folgen der Haft sind für viele jedoch oft unerträglich. Sie leiden an posttraumatischen Belastungsstörungen, es kam zu Suizidversuchen.

Robert King, ehemaliger Sonderbeauftragter des US-Außenministeriums für Menschenrechte in Nordkorea, sagte der "New York Times", das Regime versuche US-Häftlinge wieder loszuwerden, sobald gesundheitliche Probleme zu befürchten sind. "Sie wollen, dass niemand in ihrer Obhut stirbt", sagte er. Zu groß sind die zu befürchtenden diplomatischen Probleme. Denn Häftlinge wie Warmbier sind Nordkorea nur lebendig von Nutzen.

Nach innen dienen die Fälle als "Beweis" für die eigene Bevölkerung, dass die USA und ihre Verbündeten Agenten ins Land schicken, um den Staatsfrieden zu untergraben. Sie sind aber vor allem als Faustpfand in Verhandlungen wertvoll. Sollen sie im Gegenzug für Lockerungen von Sanktionen freikommen, müssen sie in einem halbwegs präsentablen Zustand sein. Mithilfe der Geiseln kann sich das Regime internationale Beachtung erkaufen. Dass Ex-US-Präsident Bill Clinton im August 2009 Nordkorea besuchte, war einer der größten diplomatischen Coups des mittlerweile verstorbenen Kim Jong Il. Im Gegenzug ließ Pjöngjang zwei US-Journalisten frei.

Nordkorea hält noch drei US-Bürger gefangen

Auffällig ist, dass Nordkorea in den vergangenen Jahren vermehrt solche "Tauschobjekte" angesammelt hat. Fast alle der seit 1953 festgenommenen US-Bürger gerieten in den vergangenen acht Jahren in die Fänge Pjöngjangs. Drei US-Amerikaner sind derzeit noch inhaftiert.

Der gebürtige Südkoreaner Kim Dong Chul ist nach eigenen Angaben US-Bürger und sitzt seit Oktober 2015 in Haft. Einem Weggefährten Kims zufolge versorgte er als christlicher Missionar arme Nordkoreaner von China aus mit Hilfsgütern. CNN interviewte Kim im Januar 2016 in Anwesenheit zweier Beamter. Kim erzählte, er habe im Grenzgebiet für "südkoreanische konservative Elemente" spioniert. Welche Version stimmt, ist nicht zu ermitteln. Kim wurde im Frühjahr 2016 zu zehn Jahren Arbeitslager verurteilt.

Tony Kim ist ein koreanisch-amerikanischer Universitätsdozent, der im April dieses Jahres am Flughafen von Pjöngjang festgenommen wurde. Nach Angaben der Universität für Wissenschaft und Technologie in Pjöngjang unterrichtete Kim Buchhaltung und wurde an der Ausreise gehindert. Nordkoreas Staatsmedien gaben Anfang Mai bekannt, Kim sei wegen "feindlicher krimineller Handlungen mit dem Ziel, das Land zu zerrütten" festgenommen worden. Details sind nicht bekannt.

Auch der US-Amerikaner Kim Hak Song war Mitarbeiter der Uni in Pjöngjang, als er Anfang Mai festgenommen wurde. Womöglich gibt es einen Zusammenhang zu Tony Kim, das Regime veröffentlichte zu der Festnahme jedoch keine Details.

Einen kleinen Höhepunkt erreichte die Praxis der Inhaftierung von US-Amerikanern also in den vergangenen Monaten nach dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump und den wachsenden Spannungen wegen der Raketentests. Dennoch: Der Tod eines US-Bürgers bedeutet eine Eskalation, die Kim nur schwer kalkulieren kann. Ist Warmbiers Schicksal also vielleicht Ergebnis einer ungewollten, zu brutalen Behandlung durch seine Gefängniswärter? Trumps Administration fühlt sich von dem Tod Warmbiers jedenfalls maximal provoziert. Der Republikaner kündigte an, "derartige Tragödien" in Zukunft zu verhindern.

Quelle: ntv.de

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