Politik

Auf einer Kirmes in Ostwestfalen Was die CDU-Basis über Flüchtlinge sagt

Auf dem Hövelmarkt in Hövelhof.

Auf dem Hövelmarkt in Hövelhof.

(Foto: Verkehrsverein Hövelhof)

Wer in einer klassischen CDU-Region nach dem Flüchtlingsthema fragt, stößt auf Verunsicherung und hört viel Lob für den Bundesinnenminister. Angst haben die Leute vor allem vor Tabus.

Hövelhof, eine Gemeinde in Ostwestfalen: Hier ist die Welt noch in Ordnung, vor allem für die CDU. Der Bürgermeister erhielt im vergangenen Jahr mehr als 80 Prozent der Stimmen. Ob einer CDU-Mitglied oder -Wähler ist, macht kaum einen Unterschied – beide bilden die vielbeschworene Basis der Union. Die perfekte Gegend, um herauszufinden, was sie, die Basis, von der Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin hält.

Seniorennachmittag beim Hövelmarkt. Ob einer CDU-Mitglied oder -Wähler ist, macht hier kaum einen Unterschied.

Seniorennachmittag beim Hövelmarkt. Ob einer CDU-Mitglied oder -Wähler ist, macht hier kaum einen Unterschied.

(Foto: Verkehrsverein Hövelhof)

Es ist auch die Basis des Abgeordneten Carsten Linnemann, der den Wahlkreis Paderborn im Bundestag vertritt. Am vergangenen Samstag läuft er über den Hövelmarkt, die jährliche Kirmes des 15.000-Einwohner-Städtchens. Man kennt sich, alle paar Meter wird Linnemann gegrüßt. Zwischen Autoscooter und Losbuden spricht er die Kirmesbesucher auf das Flüchtlingsthema an. Die meisten reagieren erst einmal verunsichert. Das mag am Journalisten liegen, der neben dem Politiker steht. Sie scheinen sich zu fragen: Kann ich dem trauen? "Dazu sage ich lieber nichts", sagt einer. Er sagt dann doch etwas, doch es ist dieser Satz, der hängenbleibt.

Wie alle anderen Gesprächspartner an diesem Tag betont er, es sei richtig, Menschen zu helfen, die vor Krieg und Bürgerkrieg fliehen; soweit stimmen die Kirmesbesucher in Hövelhof mit Bundeskanzlerin Angela Merkel überein. Niemand fordert, die Grenzen Deutschlands dichtzumachen, was ja auch der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer, Merkels Antipode in dieser Frage, nicht will. Überraschend viele erwähnen aber, sie fänden es wichtig, dass die Flüchtlinge bei der Einreise registriert werden. "Wir müssen doch den Überblick behalten", sagt einer im Festzelt, wo gerade der Seniorennachmittag stattfindet. Eine Kapelle aus Oberbayern spielt auf der Bühne den Radetzky-Marsch.

800 Flüchtlinge hat Hövelhof aufgenommen, sie wurden in Baracken am Rande eines großen Truppenübungsplatzes untergebracht, gleich gegenüber einer Siedlung, in der 250 Leute wohnen. Das geht nicht immer spannungsfrei ab. Ein Anwohner berichtet von geklautem Obst – und davon, dass niemand darüber schreibt.

Man fürchtet ein Tabu, das der Innenminister problemlos bricht

Einhelliges Lob gibt es für Thomas de Maizière. Der Bundesinnenminister hatte in einem TV-Interview von den Flüchtlingen eine größere Bereitschaft zur Anpassung gefordert. "Auch die Kanzlerin muss jetzt ein Signal setzen", sagt ein älterer Herr. Doch genau dieses Signal wird es wohl nicht geben. Was soll sie auch sagen? Eine einfache Lösung für das Flüchtlingsproblem gibt es nicht. Den Menschen auf dem Hövelmarkt ist das bewusst. Einer kritisiert zwar, Merkel habe die Flüchtlinge zum Kommen ermuntert. Aber von einer Anti-Merkel-Stimmung ist nichts zu spüren. Eine Frau findet, die Kanzlerin mache gute Arbeit, "sie versucht, die Fluchtursachen zu bekämpfen". Alles andere würde ja doch nichts bringen.

Auffallend ist: Fast alle hier empfinden die Kritik an de Maizière, die Oppositionspolitiker nach seinem Interview geäußert hatten, als Versuch, eine Meinung oder gar eine Wahrheit zu unterdrücken – nicht als alltäglichen Austausch unterschiedlicher Positionen. Einige kritisieren auch die Medien: "Ich schaue mir schon gar nicht mehr an, was die im Fernsehen über Flüchtlinge bringen", sagt ein CDU-Lokalpolitiker mit genervtem Unterton.

Die Leute zeigen Verunsicherung, eine Mischung aus Ratlosigkeit und Überforderung. Alle freuen sich, dass ihr Abgeordneter fragt, was sie zu diesem Thema zu sagen haben. Wut scheint die Ausnahme zu sein. Keine Antwort gibt es auf die Frage, warum so viele das Tabu fürchten, Flüchtlinge zu kritisieren und über mögliche Probleme bei der Integration zu sprechen – ein Tabu, das der Bundesinnenminister problemlos bricht, das also möglicherweise gar nicht existiert. Und dennoch scheint dieses Tabu die Menschen stärker zu beschäftigen als die Anwesenheit der Flüchtlinge. Niemand hier würde Merkels Satz unterschreiben, "wir schaffen das", eher schon de Maizières Bemerkung, "wir schaffen das nicht ohne Weiteres". Ein CDU-Mitglied sagt das ausdrücklich: "Ich befürchte, dass Deutschland es eben doch nicht schafft." Das ist als Sorge gemeint, die ernstgenommen und artikuliert werden soll, nicht als Pegida-mäßige Beschwörung eines drohenden Untergangs.

Die Auswirkungen der Verunsicherung auf die CDU im Kreis Paderborn sind bislang überschaubar. Linnemann schätzt, dass es pro Woche etwa zwei Austritte wegen der Flüchtlingspolitik gibt. Um seinen Eindruck zu überprüfen, ruft er Hanswalter Lüttgens an, den Kreisgeschäftsführer der CDU. Der antwortet trocken: "Als Franz Josef Strauß die Steuer auf Flugbenzin für Hobbyflieger abschaffen wollte, gab es mehr Austritte." Das war in den 1980er Jahren. Lüttgens hat eine Erklärung, warum sich die Kritik am Kurs der Bundeskanzlerin in Grenzen hält. "Gib den Deutschen eine Aufgabe, und sie versuchen, sie zu lösen."

Quelle: ntv.de

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