KI-Führer warnt vor AfD und Co. Wenn Hitler sagt, was Sache ist


Rauand Taleb liest als Adolf Hitler Nachrichten, die der Verein Laut gegen Nazis als zu unbeachtet einstuft.
Viel zu lange schon gewöhne sich die Mehrheit an Nachrichten zum ausufernden Rechtsextremismus, findet der Verein Laut gegen Nazis. Mithilfe künstlicher Intelligenz erweckt die Initiative ausgerechnet Adolf Hitler wieder zum Leben - damit der die Deutschen wach rüttelt.
"Guten Morgen und willkommen bei den Nachrichten, die Sie schon hundert Mal überhört haben", begrüßt Rauand Taleb den Zuschauer. Doch nur die wenigsten dürften den deutschen Schauspieler mit kurdischen Wurzeln auf Anhieb erkennen. Zu sehen und zu hören ist nämlich niemand Geringeres als Adolf Hitler. Taleb leiht der Personifizierung des Bösen Gesicht und Stimme. Zwei Minuten dauert der Clip. Darin warnt der dank Künstlicher Intelligenz (KI) lebensecht wirkende Hitler vor Versuchen Rechtsextremer, junge Menschen mittels Videospielen für sich zu gewinnen. Weitere dieser Nachrichten sollen folgen, nachdem das provokante Format am Donnerstag gestartet ist.
ER ist also wieder da. Die Deutschen und Hitler, das ist immer so eine Sache: Darf man Hitler als menschlich darstellen, lautete die Frage als Bruno Ganz 2004 den Diktator im Film "Der Untergang" mimte. Ist es angemessen, über Hitler zu lachen, fragten viele, als Timur Vermes mit seiner später auch verfilmten Satire "Er ist wieder da" einen Bestseller schrieb. Und ist es nun angebracht, mit einem Computer-generierten Hitler als Testimonial vor dem Aufstieg des Rechtsextremismus in Deutschland zu warnen? "Natürlich polarisieren wir damit, das wissen wir und das wollen wir auch", sagt Jörn Menge, Gründer und Pressesprecher des Vereins Laut gegen Nazis. Doch die Provokation ist kein Selbstzweck.
Ob Meldungen über antisemitische Übergriffe, Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte oder gegen linke Jugendeinrichtungen, Gewalt gegen Menschen mit Migrationsgeschichte oder mehr als 3000 Ertrunkene im Mittelmeer allein im letzten Jahr: "Die Gesellschaft gewöhnt sich an solche Meldungen und wir merken, dass wir mit unseren Warnungen immer schwerer durchkommen", sagt Menge. Dabei kämpfe seine Initiative nicht nur gegen den sinkenden Neuigkeitswert rechter Gewalt an, sondern auch gegen den sich drastisch verändernden Medienkonsum. Klassische Nachrichtenmedien spielen eine immer geringere Rolle, insbesondere bei den Jüngeren. Die sind stattdessen in sozialen Medien unterwegs, wo ausgerechnet auch die AfD stark ist - insbesondere bei Tiktok.
Hitler-Darsteller "weiß, wie sich Rassismus anfühlt"
Genau für diese Plattformen ist der Weckruf mit Hitler gemacht: "Der Wake-up Call" heißt die vorerst auf elf Folgen angelegte Show, die unter anderem auf Tiktok, Youtube und Spotify zu sehen ist. Das Format soll die Jugend dort erreichen, wo sie tatsächlich unterwegs ist. "Geschichtsaufarbeitung in Deutschland, gerade auch bei der jungen Zielgruppe, ist super wichtig", sagt Menge. "Wenn ich mir die Tiktok-Videos von der AfD und von vielen rechtsextremistischen Gruppierungen anschaue, komme ich zu dem Schluss: Es ist ganz wichtig, dass wir dagegenhalten und auch mit der Historie arbeiten." Der KI-Hitler schaffe als Figur des Bösen die Umkehr, indem er vor sich selbst warne. Menge hofft, dass das viele Zuschauer zum Nachdenken anregt.
Widersprüchlich ist nicht nur, dass der Deepfake-Hitler vor Rechtsextremismus warnt, sondern auch dessen Darsteller: Rauand Taleb entspricht so gar nicht den kruden Arier-Vorstellungen der Nationalsozialisten. Dass der 32-Jährige mit erkennbarer Migrationsgeschichte das Idol der Rechtsextremen schlechthin verkörpert, ist schon eine Provokation. Taleb bekommt für seine Auftritte kein Geld, sondern reagiert mit seinem Engagement auch auf eigene Alltagserfahrungen. "Ich bin selbst nicht in Deutschland geboren und weiß, wie sich Rassismus anfühlt", sagt Taleb über seine Motivation. "Wenn ich mit der Schauspielerei diesen wichtigen Nachrichten die nötige Aufmerksamkeit geben und so ein Zeichen gegen Rechts setzen kann, spiele ich natürlich auch Adolf Hitler."
Auch die übrigen Beteiligten - die Agentur FischerAppelt, der Regisseur Pascal Momper - arbeiten gratis für die Kampagne von Laut gegen Nazis. Der 2004 in Hamburg gegründete Verein will über das Format auch Spenden eintreiben, um eigene Aktionen zu finanzieren und andere, lokale Initiativen zu unterstützen. Vor den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen am 1. September und in Brandenburg am 22. September, wo die AfD jeweils stärkste Kraft werden könnte, will Laut gegen Nazis auch im Osten wieder stärker aktiv werden. "Wir werden viele Aktionen zur Wahl machen, natürlich auch vor allem in den sozialen Medien", sagt Menge. "Da erreichen wir leider heutzutage am meisten Menschen." Die politische Debatte ist ein Kampf um Aufmerksamkeit und der falsche Hitler mischt nun mit - kurioserweise auf der richtigen Seite.
Quelle: ntv.de