Totgesagte leben länger Westerwelle und die Schicksalswahl
25.03.2011, 12:12 Uhr
Auf und ab: Westerwelle erlebt als FDP-Chef ein Wechselbad der Gefühle.
(Foto: dapd)
Westerwelle hat es geschafft. Bis vor kurzem schien sein Rücktritt als FDP-Chef nur eine Frage der Zeit. Doch Westerwelle blieb standhaft, konzentrierte sich auf seine Arbeit als Außenminister und die Umfragewerte stabilisierten sich. Nun muss Westerwelle wieder zittern.
Erstens kommt es anders. Und zweitens als man denkt. Bei Guido Westerwelle trifft das gleich doppelt zu. Vor nicht einmal drei Monaten schien es noch so, als sei sein Schicksal als FDP-Chef besiegelt. Befeuert von miesen Umfragewerten wurde Westerwelle immer wieder von parteiinternen Kritikern angegriffen. Als "Klotz am Bein" wurde er bezeichnet. Öffentlich sägten sie an seinem Stuhl als Parteichef, Szenarien über Westerwelles Ablösung machten die Runde. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle wurde offen als Übergangsvorsitzender ins Spiel gebracht. Doch Westerwelle hielt dem Druck stand und betonte ein ums andere Mal: "Ich verlasse das Deck nicht, wenn es stürmt." Er sprach von Umfragen als "Momentaufnahmen" und stellte klar: "Parteien gewinnen immer dann die Wahlen, wenn sie sich mit den Problemen der Bürger beschäftigen und sich nicht selbst bespiegeln."
Mit Spannung wurde das Dreikönigstreffen der Liberalen Anfang Januar erwartet. Doch der Putsch blieb aus. Westerwelle hielt eine mäßige, aber zufrieden stellende Rede, im Angesicht der bevorstehenden Landtagswahlen schwor er seine Partei auf Wahlkampf und gegen die Linken ein – und die FDP folgte brav. "Mit ein Grund dafür ist die Alternativlosigkeit", sagte ein führender Liberaler n-tv.de. Weil es keinen Herausforderer für Westerwelle gab, konnte der FDP-Chef bleiben, was er ist. Außerdem zeigte Westerwelle seine politischen Qualitäten, was Taktieren und Machterhalt betrifft. "Da kann man immer noch was lernen", heißt es selbst aus den Reihen seiner Kritiker.
Westerwelles Auferstehung
Und dann setzte die wundersame Auferstehung Westerwelles ein. Mitte Januar sprang ihm nach Wochen des Schweigens der FDP-Ehrenvorsitzende Hans-Dietrich Genscher bei. "Beide Ämter zu übernehmen war und ist richtig", sagte Genscher, der selbst Außenminister und FDP-Chef war. Westerwelle führe das Auswärtige Amt "mit großer Verantwortung, Umsicht und Kompetenz". Genscher fügte hinzu: "Man wird noch von ihm hören." Parteiinterne Kritiker verstummten, selbst Dauernörgler wie der schleswig-holsteinische Fraktionschef Wolfgang Kubicki begruben das Kriegsbeil. "Mein Weckruf hat gewirkt. Seit Januar ist zu spüren, dass sich die FDP auf Bundesebene anders aufstellt", teilte der Westerwelle-Kritiker mit. Dann schwieg er.
Nach einer monatelangen Hetzjagd bekam Westerwelle eine Atempause. Und er nutzte sie. Wie von vielen Kritikern gefordert, widmete sich der FDP-Chef vor allem seinem Regierungsamt. Keine Hartz-IV-Schelte mehr und nicht das ewige Mantra von Steuersenkungen. Innenpolitische Themen überließ er seinem Generalsekretär Christian Lindner oder Vize Brüderle. Westerwelle suchte nun außenpolitische Erfolge.
Endlich Außenminister
Nach über einem Jahr fand er endlich in sein Amt. Das lag auch daran, dass er endlich ein Thema hatte: Die Freiheitsbewegungen im Nahen Osten und Nordafrika. Die Unruhen und Umwälzungen in Tunesien, Ägypten, Jemen, Libyen und den anderen Staaten sorgten dafür, dass Westerwelle erstmals mehr als deutscher Außenminister wahrgenommen wurde denn als Parteichef. Der FDP-Vorsitzende konnte mit seiner deutlichen Unterstützung der Freiheitsbewegungen punkten. Westerwelle reiste nach Tunesien, holte "Bild"-Reporter aus dem Iran und ließ sich in Ägypten auf dem Tahrir-Platz feiern. "Er macht es um Längen besser", heißt es aus seiner Partei über sein Auftreten als Außenminister.
Und dann verlor Westerwelle auch noch seinen wichtigsten Konkurrenten auf dem Feld der Außenpolitik, Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Was vor wenigen Monaten noch undenkbar schien, wurde plötzlich Wirklichkeit: Nicht der bereits angezählte FDP-Chef musste die politische Bühne verlassen, sondern der rundum gefeierte CSU-Superstar. Entsprechend kommentiere Westerwelle Guttenbergs Rücktritt ohne große Worte des Bedauerns als "Entscheidung der Konsequenz".
Hamburger Rückenwind
Die wiedergewonnene Stärke Westerwelles gipfelte schließlich Ende Februar mit dem Wiedereinzug der FDP in die Hamburger Bürgerschaft. Zum ersten Mal seit der Wiedervereinigung waren die Liberalen in allen Landesparlamenten vertreten. Von "Rückenwind" der Hamburg-Wahl war die Rede. Über Westerwelles Sturz sprach kein FDP-Politiker mehr. Zumal auch die persönlichen Beliebtheitswerte des Vorsitzenden in Umfragen stiegen, wenn auch auf niedrigem Niveau.
Mit seiner Standfestigkeit, der Außenpolitik und dem Mangel an innerparteilichen Konkurrenten hatte es Westerwelle geschafft, das Ruder herumzureißen. Es sah ganz so aus, als könnte der FDP-Chef den entscheidenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gelassen entgegen sehen. Doch die Achterbahnfahrt ging weiter. Wiederum sorgten außenpolitische Ereignisse für den Stimmungswechsel: Das Erdbeben mitsamt Tsunami und Atomkatastrophe in Japan sowie der Bürgerkrieg in Libyen veränderten erneut die politische Agenda.
Wie wirken Japan und Libyen?
Plötzlich steht das Thema Atomkraft ganz oben auf der Tagesordnung und zwingt die eigentlich kernkraftfreundliche FDP zu einem Kurswechsel, der sich bei den anstehenden Wahlen niederschlagen dürfte. "Die Auswirkungen sind noch völlig offen", lautet die Einschätzung in FDP-Führungskreisen. Die Liberalen hoffen allerdings darauf, dass vor allem die Union den Ärger über die Laufzeitverlängerung zu spüren bekommt. Das könnten die entlarvenden Äußerungen von Wirtschaftsminister Brüderle, der das Atom-Moratorium reine Wahlkampftaktik nannte, nun aber ändern.
Beim zweiten Thema, Libyen, sorgte Westerwelle selbst für Unruhe. Nach seinem deutlichen Eintreten für die Freiheitsbewegungen führte seine Enthaltung im UN-Sicherheitsrat inner- wie außerparteilich zu Irritationen. Der FDP-Chef glaubt, mit seinem Friedenskurs bei den Wählern punkten zu können. Den größten Applaus erhielt Westerwelle dafür bislang allerdings aus der Linkspartei. Zumal dieser Kurs auf Kosten seiner Glaubwürdigkeit gehen könnte.
Einen bitteren Vorgeschmack, wie sich die jüngsten Ereignisse auswirken könnten, mussten die Liberalen bei der Wahl in Sachsen-Anhalt erleben. Die FDP halbierte ihr Ergebnis von der vergangenen Wahl und flog aus dem Landtag. Sofort war die Unruhe zurück in der Partei. Und auch Kubicki meldete sich prompt wieder zu Wort: Die Wahlen am nächsten Sonntag würden entscheidend sein für die Position des Bundesvorsitzenden Westerwelle, teilte er mit. Die Ungewissheit für den FDP-Chef hat also wieder begonnen.
Quelle: ntv.de