Kleine Insel in der Nordsee Wie Helgoland zu Deutschland kam
01.07.2015, 10:45 Uhr
Blick auf Helgoland.
(Foto: picture alliance / dpa)
Helgoland liegt rund 40 Kilometer vor der deutschen Nordseeküste. Die Insel hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Erst vor 125 Jahren wird sie ein Teil Deutschlands - durch einen Vertrag, in dem auch Sansibar vorkommt.
Helgoland: Gerade einmal 1,7 Quadratkilometer groß ist die Nordseeinsel in der Deutschen Bucht, rund 40 Kilometer vor der Küste gelegen. Als "einzige Hochseeinsel Deutschlands" wird sie bezeichnet. Das ist nicht exakt, denn Helgoland ist Teil des Festlandssockels und ragt mitnichten aus einem Tiefseebereich heraus. Aber sei es drum: Mit oben genannter Bezeichnung kann man viel besser Werbung machen. Und reizvoll ist Helgoland trotz rauer Umgebung allemal. Sie faszinierte auch den im 19. Jahrhundert lebenden niederdeutschen Lyriker Klaus Groth: "Dar sücht ut See en Ländeken hoch, en Ländeken hoch, un flach hin liggt de Strand, dar hebbt de Schep un Möwen ehr Tog, dat is old Helgoland."
Die Insel, die die meisten Menschen nur aus Reisebeschreibungen kennen, gerät nun für kurze Zeit in die Schlagzeilen. Grund ist ihre interessante Historie. Anno 1890 ist Helgoland sogar Bestandteil von europäischer oder sogar Weltpolitik. Die kleine Insel als Spielball, als Verhandlungsmasse zwischen der Kolonialmacht Großbritannien und dem aufstrebenden Deutschland, das bei der Aufteilung der Welt zu spät gekommen war. Helgoland - ein Schacherobjekt zwischen zwei großen europäischen Mächten.
Seit 1807 ist Helgoland von den Briten besetzt - ein Ergebnis des Kampfes gegen Napoleon. Weil er nach der 1805 verlorenen Seeschlacht von Trafalgar von seinen Invasionsplänen in Großbritannien ablassen musste, verhängte der Franzosenkaiser eine Kontinentalsperre gegen das Vereinigte Königreich. Die Briten erschlossen sich aber neue Absatzmärkte, insbesondere in Nordamerika. Und sie blieben auch militärisch nicht untätig und besetzten das zum Herzogtum Schleswig (dieses stand unter der Kontrolle Dänemarks) gehörende Helgoland. Was die französische Wirtschaft anging, schoss sich Napoleon ins eigene Knie, denn Frankreich und seine Verbündeten litten insgesamt mehr unter der Kontinentalsperre als die Briten.
Am 1. Juli 1890 rückt die Insel wieder in den Blickpunkt. Großbritannien und das Deutsche Kaiserreich schließen den sogenannten "Helgoland-Sansibar-Vertrag". Helgoland wird an Preußen angegliedert und ist damit ein Bestandteil Deutschlands. Doch was hat das Papier mit der vor der afrikanischen Ostküste gelegenen Insel Sansibar zu tun? Eigentlich gar nichts. Es ist der kurz zuvor von Kaiser Wilhelm II. vom Posten des Reichskanzlers entbundene Otto von Bismarck, der die Übereinkunft so bezeichnet, um seinen Nachfolger Leo von Caprivi in schlechtem Licht dastehen zu lassen. Fakt ist, dass beide Inseln zwischen Briten und Deutschen nicht getauscht wurden, denn Deutschland hat Sansibar nie besessen. Richtig ist, dass die deutsche Seite hinsichtlich britischer Kolonien auf Gebietsansprüche verzichtet.
Wichtige strategische Rolle
Mehr noch als Bismarck, der das 1871 im Versailler Schloss proklamierte Deutsche Reich mit großem diplomatischen Geschick durch die folgenden 20 Jahre führte, setzt Reichskanzler Caprivi auf eine Verständigung mit Großbritannien. Den von seinem Vorgänger 1887 geschlossenen Rückversicherungsvertrag mit Russland verlängert er nicht. Für Caprivi sind der Schutz der deutschen Nordseeküste und die Ausweitung des Handels wichtig. Helgoland kommt insofern eine wichtige strategische Rolle zu, weil Kaiser Wilhelm die Entwicklung Deutschlands zu einer starken Seemacht als Ziel hat. Später lässt der Monarch Helgoland zu einem wichtigen Marinestützpunkt ausbauen.
Caprivi bekommt zu Hause dennoch Probleme: Vor allem das Abrücken von Russland bringt ihm bei den Nationalkonservativen viel Kritik ein, weil er ihrer Argumentation zufolge das Zarenreich auf die Seite Frankreichs treibt. Dass sich das Verhältnis Deutschlands sowohl zu Russland als auch zu Frankreich bereits während Bismarcks später Regierungszeit verschlechtert hat, verschweigen dessen Anhänger.
Großbritannien agiert 1890 hinsichtlich der Bildung von Allianzen in Europa zurückhaltend. Die Regierung des konservativen Premierministers Lord Robert Cecil räumt der Sicherung des britischen Kolonialreiches oberste Priorität ein. Cecil, der die Politik der "splendid isolation" (wunderbaren Isolation) betreibt, setzt dabei auf die Insellage des Vereinigten Königreichs.
Noch ist das deutsche Flottenprogramm nicht angelaufen, Wilhelm II., der Enkel der britischen Queen Victoria ist, kündigt dieses erst 1896 an. Hätte der Kaiser seinen Plan, die deutsche Marine "zu verdoppeln" und das Verhältnis von deutschen zu britischen Kriegsschiffen von 1:2 auf 2:3 zu verschieben, schon 1890 angekündigt, wäre der Helgoland-Deal wohl nicht zustande gekommen.
So besitzt Helgoland für die Briten zum Vertragszeitpunkt keine große strategische Bedeutung. In London geht man richtigerweise davon aus, dass die Deutschen die Insel in viel kürzerer Zeit besetzen könnten, als es Großbritannien möglich gewesen wäre, eine Flotte vor Ort zu bringen. Für aufwändige Befestigungsanlagen will die britische Regierung kein Geld ausgeben.
Feiertag am 1. März
Unter deutscher Ägide wird Helgoland zu einem wichtigen militärischen Stützpunkt. Im Ersten Weltkrieg befinden sich Deutschland und Großbritannien in gegnerischen Bündnissen, vor der Insel kommt es zu Seegefechten. Während des Krieges werden Zivilisten von Helgoland evakuiert.
Die Nazis bauen Helgoland zu einer Seefestung aus. Während des Zweiten Weltkrieges werden dort – auch durch den Einsatz von Zwangsarbeitern - militärische Anlagen errichtet. Kurz vor Kriegsende kommt es zu schweren Luftangriffen der Royal Air Force auf Helgoland.
Erneut wird die Insel evakuiert, britische Truppen besetzen die Insel und bleiben bis 1952. In dieser Zeit werden die dortigen Bunkeranlagen gesprengt, Tausende Torpedoköpfe, Wasserbomben, Granaten vernichtet. Danach kommt Helgoland wieder unter deutsche Kontrolle. Ab 1. März 1952 dürfen die Bewohner wieder zurückkehren. Deshalb ist der 1. März dort ein Feiertag.
Quelle: ntv.de