Politik

Zuhören und Geldausgeben Wie Michael Kretschmer Sachsen retten will

Ministerpräsident von Sachsen: Michael Kretschmer.

Ministerpräsident von Sachsen: Michael Kretschmer.

(Foto: picture alliance / Monika Skolim)

Für die CDU war die Bundestagswahl in Sachsen ein Debakel. Der neue Ministerpräsident Michael Kretschmer tourt daher durchs Land, um den Leuten zu signalisieren: Wir haben verstanden. Der Staat soll wieder seinen Job machen.

Als erstes meldet sich ein ehemaliger Elternvertreter aus dem Erzgebirge zu Wort. Der Mann hat sein Amt aufgegeben, frustriert, wie er sagt, weil die Initiativen des Kreiselternrats von den zuständigen Behörden stets abgebügelt worden seien. Über Jahre hätten er und seine Kollegen den Kreis und das Kultusministerium darauf hingewiesen, dass es viel zu wenig Lehrer gebe - passiert sei nichts. "Das hat uns verbittert."

Genau darum geht es bei dieser Veranstaltung in einem Saal im Dresdner Hygienemuseum: Bürger bringen ihre Anliegen vor, der Ministerpräsident hört zu. Michael Kretschmer, seit Ende 2017 sächsischer Regierungschef, hat das "Bürgerforum" von seinem Vorgänger Stanislaw Tillich geerbt. Die sechs regionalen Vorbereitungsveranstaltungen, die an diesem Samstagnachmittag gewissermaßen gebündelt ausgewertet werden, fanden allesamt vor Kretschmers Amtsantritt statt.

Während der Vater aus dem Erzgebirge spricht, nickt Kretschmer und macht sich Notizen. Die Frage ist einerseits ein Elfmeter, denn Maßnahmen gegen den Lehrermangel, darunter vor allem der Wiedereinstieg in die Verbeamtung, hat sein Kabinett schon im Januar auf den Weg gebracht. Andererseits legt der Mann den Finger in die Wunde: Es gibt Probleme, die längst hätten geklärt werden müssen.

"Wir haben verstanden"

In dieser und anderen Veranstaltungen dieser Art will Kretschmer signalisieren, was etwa auch CSU-Chef Horst Seehofer seit der Bundestagswahl immer sagt: Wir haben verstanden. Der CDU-Politiker Kretschmer spricht ausdrücklich für die ganze Landesregierung, also auch für die SPD. In einem Jahr, im Sommer 2019, wird in Sachsen ein neuer Landtag gewählt. Die letzte Umfrage, die allerdings in den letzten Tagen von Tillichs Amtszeit erhoben wurde, sieht die CDU bei 33 und die AfD auf Platz zwei bei 23 Prozent. Für die schwarz-rote Landesregierung, die in Sachsen schon jetzt keine "große" Koalition ist, würde das nicht reichen.

Dass es sogar viel schlechter werden kann, hat Kretschmer bei der Bundestagswahl im vergangenen September erlebt. In seinem Wahlkreis Görlitz holte ein weithin unbekannter AfD-Kandidat das Direktmandat - nach 15 Jahren verlor Kretschmer damit seinen Sitz im Bundestag. Insgesamt gewann die AfD bei der Bundestagswahl in Sachsen drei Direktmandate. Die CDU stürzte um fast 16 Punkte ab auf 26,9 Prozent und lag damit noch hinter der AfD. Der Freistaat war das einzige Bundesland, in dem die AfD den ersten Platz errang. Wieder einmal schien sich der Ruf des rechtslastigen Sachsen zu bestätigen.

Eine Folge dieses Debakels war Tillichs Abgang. Er hatte, auch aus Sicht der CDU, zu viel falsch gemacht, vor allem mit Blick auf die Ängste vieler Sachsen vor Ausländern. "Tillich hätte sich stellen müssen, als Pegida im Herbst 2014 zu demonstrieren anfing", fasste der Dresdner Politologe Werner Patzelt die Kritik damals zusammen. "Er hätte öffentlich erklären müssen: 'Ich begreife, welche Probleme euch umtreiben, und ich sehe auch, dass diese Probleme nicht alle eingebildet sind. Ich werde mich dafür einsetzen, dass dieses Land wohlgeordnet bleibt.' Stattdessen ging Tillich auf Tauchstation."

Kretschmer hat sich vorgenommen, es besser zu machen - nicht oder nicht nur, um seinen Job zu retten, sondern um Sachsen vor der Unregierbarkeit zu bewahren. Deshalb macht er, was jetzt alle tun: zuhören. Das heißt nicht, dass er alles widerspruchslos hinnimmt. Im Hygienemuseum beklagt der nächste Bürger salafistische Propaganda. Er hat sogar ein Flugblatt mitgebracht, das in seinem Ort verteilt worden sei. Kretschmer reagiert skeptisch. Solche Zettel habe er schon gesehen. Aber würden Salafisten wirklich "in irgendeinem Dorf, in dem es keinen einzigen Muslim gibt", solche Zettel verteilen, fragt er. Das Publikum ruft er auf, "den Rücken gerade zu machen, dann werden die (er meint die Salafisten) hier nichts ändern, aber auch gar nichts."

Der Staat hat zu lange versäumt, seinen Job zu machen

Ein älterer Herr berichtet, dass er den Islam-Kritiker Hamed Abdel-Samad bei einer Veranstaltung gefragt habe, ob Muslime sich jemals irgendwo integriert hätten. Der habe gesagt, das sei noch nie passiert. Kretschmer entgegnet, er könne jetzt eine ganze Reihe von Muslimen aufzählen, die ganz anders seien, etwa die neue Staatssekretärin für Integration in Nordrhein-Westfalen, Serap Güler. Sie sei Muslimin - trotzdem habe sie mit ihrer Forderung nach einem Kopftuchverbot für junge Mädchen "einen Riesenkampf angefangen". Inhaltlich widerspricht er also. Aber er sagt auch, dass er keineswegs finde, "solche Themen" dürfe man nicht ansprechen - da werde er sofort zum Anwalt der Meinungsfreiheit. Auf diese Art war Kretschmer schon dem Schriftsteller Uwe Tellkamp beigesprungen, nachdem der "die illegale Masseneinwanderung" nach Deutschland angeprangert hatte. Tabus will der Ministerpräsident nicht akzeptieren.

"Solche Themen", also Islam, Zuwanderung oder die Flüchtlingspolitik, stehen beim Bürgerforum jedoch nicht im Mittelpunkt. Die meisten Teilnehmer, die sich zu Wort melden, sprechen den Lehrermangel an, die Altersarmut und die Situation in der Pflege oder den Straßenbau und den ÖPNV. Gemeinsam ist ihnen vor allem eine Klage: Der Staat hat in den vergangenen Jahren vielfach schlicht versäumt, seinen Job zu machen.

Deshalb wird in Sachsen jetzt auch nicht mehr so gespart. Einen Heimatminister hat die Staatsregierung zwar nicht. Aber wie Seehofer im Bund will Kretschmer mit Geld und Infrastrukturpolitik verhindern, dass Regionen abgehängt werden. Es gibt nicht nur mehr Geld für Schulen und Lehrer, auch für die Kommunen, für die Kitas, für die Freiwilligen Feuerwehren, für den Breitbandausbau und den Straßenbau im ländlichen Raum.

Macht Kretschmer es also wirklich besser als Tillich? Politikwissenschaftler Patzelt bejaht diese Frage. Der neue Ministerpräsident habe "keine Angst vor dem Kontakt mit auch ungehaltenen Bürgern - und er weiß, dass schön auszusehen nicht reicht, sondern er zunächst einmal überzeugende Reden und dann überzeugende Politik liefern muss", sagt der Politologe n-tv.de. "Das versucht er auch mit Elan." Aber reicht das? "Das können wir jetzt noch nicht wissen!" Sicher ist: Kretschmer gibt sich Mühe. Anderthalb Stunden nach dem offiziellen Schluss der Veranstaltung steht er noch immer mit Bürgern zusammen. Und hört zu.

Quelle: ntv.de

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