
Stanislaw Tillich will sein Amt im Dezember aufgeben.
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Drei Menschen tragen die Verantwortung für das Scheitern des sächsischen Ministerpräsidenten: Stanislaw Tillich selbst, weil er häufig überfordert wirkte. Angela Merkel, weil ihre Politik der AfD half. Und Kurt Biedenkopf.
In gewisser Weise begann der Abgang des sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich in einem Wohnzimmer am Chiemsee. Dort gab Kurt Biedenkopf der "Zeit" ein längeres Interview, das zu einer Abrechnung geriet.
"Ich sorge mich um mein Lebenswerk", sagt Biedenkopf, Ministerpräsident in Sachsen von 1990 bis 2002, darin. Die Verantwortung für das schlechte Abschneiden der CDU bei der Bundestagswahl in Sachsen sieht er bei der sächsischen Union. Die CDU regiere in Sachsen seit 27 Jahren. "Warum, fragen die Leute, haben wir zu wenige Polizisten? Warum haben wir zu wenige Lehrer? Man muss Verständnis haben, dass die Menschen berechtigte Fragen stellen."
Dieses Interview sei der letzte Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe, sagt der Dresdner Politologe Werner J. Patzelt. "Es ist natürlich unglaublich peinlich, wenn ein ohnehin angeschlagener Ministerpräsident in der Zeitung lesen muss, dass sein Vor-Vorgänger über ihn sagt, er sei für den Job ungeeignet und auch nie dafür vorgesehen gewesen."
Zwei Wochen nach Erscheinen des Interviews erklärte Tillich seinen Rücktritt als CDU-Landeschef und Ministerpräsident zum kommenden Dezember. "Er war von seinen Führungsoffizieren und seinem Fußvolk verlassen", sagt Patzelt n-tv.de. "Es muss ein Gefühl großer Einsamkeit gewesen sein, dass ihn zu diesem Schritt veranlasst hat."
Einbruch bei der Bundestagswahl
Anlass für das Biedenkopf-Interview war der Ausgang der Bundestagswahl in Sachsen. Dort hatte die CDU ein Debakel erlitten, das deutlich über den bundesweiten Einbruch hinausging. Drei der sechzehn sächsischen Direktmandate gingen an die AfD, die mit 27 Prozent auch stärkste Partei im Freistaat wurde. Auf die CDU entfielen 26,9 Prozent. Dabei gilt Sachsen eigentlich als CDU-Hochburg. "Dass inzwischen die Sachsen-Anhalter und sogar die Thüringer mit ihrem linken Ministerpräsidenten stärker CDU wählen als die Sachsen, das hat mich getroffen", kommentierte Biedenkopf vom Chiemsee.

Als seinen Nachfolger schlug Tillich Michael Kretschmer vor, bislang Generalsekretär der sächsischen CDU.
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Der 87-Jährige machte vor allem Tillich für das Debakel verantwortlich. "Es steht mir nicht zu, jemanden zu kritisieren", sagte er in dem Interview. Tatsächlich kritisierte er Tillich nicht, er zerlegte ihn. Indirekt warf Biedenkopf dem Ministerpräsidenten vor, keine Ahnung davon zu haben, was das Ziel seiner eigenen Politik ist, diese Politik nicht erklären zu können und nicht die nötige Qualifikation zu haben. "Für das Amt, für das er ursprünglich nicht vorgesehen war, hatte er keine Vorbildung", sagte Biedenkopf. "Er lebt ein bisschen in einer anderen Welt, ist primär interessiert an Kompromissen."
In Sachsen schlugen Biedenkopfs Attacken hohe Wellen. Die "Leipziger Volkszeitung" titelte einen Tag nach dem Erscheinen des Interviews: "Aufruhr in der Sachsen-CDU nach Tillich-Schelte durch Biedenkopf". Das Interview sei eine "Generalabrechnung" gewesen. "Biedenkopfs Kritik traf Punkte, von denen alle in Sachsen wussten: Das ist so", sagt Werner Patzelt. "Es gibt schon seit Jahren Kritik an Tillich: daran, dass er nicht inhaltlich führungsstark ist, sehr gut aber im Verdrängen von Konkurrenz; dass er kein großer Kommunikator ist, sondern jemand, der zwar nett ist und sympathisch überkommt, doch auch eine noch so gute Rede nicht wirklich mitreißend abliest. Biedenkopf beglaubigte sozusagen diese Kritik."
"Tillich hätte sich stellen müssen, als Pegida anfing"
Die sächsische CDU macht eher die Bundeskanzlerin als den scheidenden Ministerpräsidenten für das schlechte Wahlergebnis der sächsischen CDU verantwortlich. Der Hauptanteil liege "an der Politik der Bundesregierung insbesondere an der Flüchtlingspolitik", sagte der CDU-Fraktionschef im sächsischen Landtag, Frank Kupfer, im Deutschlandfunk. Biedenkopf sah das nicht so: "Angela Merkel hätte verteidigt werden müssen in Sachsen", sagte seine Frau Ingrid, die an dem Interview teilnahm und darin gewissermaßen auch für ihren Mann spricht.
Patzelt gibt in diesem Punkt nicht Biedenkopf, sondern Kupfer Recht. "Der Elefant, der im Raum steht, aber meist übersehen wird", sei Merkels Flüchtlingspolitik. Diese habe den Rechtspopulismus in Deutschland groß gemacht. "Die Kanzlerin hat so getan, als seien das nur eingebildete Probleme von Leuten, die Kälte und Hass im Herzen tragen. Das hat die Rechtspopulisten in trotziger Solidarität vereint. Damit fing der Ruf an, 'Merkel muss weg'."
Traditionell setzt die Sachsen-CDU darauf, der konservativste Landesverband der CDU zu sein - ein bisschen süddeutsch, ein bisschen bayerisch, ein bisschen auf Distanz zur Merkel-CDU. Ein Seehofer ist Tillich jedoch nicht: Probleme ignorierte er lieber, als sie offensiv anzugehen. "Tillich hätte sich stellen müssen, als Pegida im Herbst 2014 zu demonstrieren anfing", meint Patzelt. "Er hätte öffentlich erklären müssen: 'Ich begreife, welche Probleme euch umtreiben, und ich sehe auch, dass diese Probleme nicht alle eingebildet sind. Ich werde mich dafür einsetzen, dass dieses Land wohlgeordnet bleibt.' Stattdessen ging Tillich auf Tauchstation."
Der Nachfolger hat gerade sein Mandat verloren
Letztlich habe sich Tillich der "Analyse des Mainstream" angeschlossen, wirft Patzelt ihm vor: "Dass die CDU den Rechtspopulismus angeblich genau dann groß macht, wenn sie als bewährte Partei Themen von rechts in vernünftiger Weise aufgreift. Tillich hat das geglaubt, zumindest hat er sich diese bequeme Diagnose zueigen gemacht. Damit hat er den Unmut und die Empörung noch weiter geschürt."
In seiner Rücktrittsankündigung sagte Tillich, für eine gute Zukunft Sachsens seien "auch neue Antworten" wichtig. "Wir dürfen nicht im Gestern und Heute gefangen sein. Nach 27 Jahren in aktiver Verantwortung fällt mir das schwerer." Er habe sich daher entschlossen, "die Verantwortung in jüngere Hände zu übergeben". Als Nachfolger schlug er den Generalsekretär der sächsischen CDU vor, Michael Kretschmer.
Kretschmer, bislang Bundestagsabgeordneter und Fraktionsvize in Berlin, gehört zu den drei CDU-Politikern, die ihren Wahlkreis am 24. September an die AfD verloren haben. Aus dieser Partei kam gleich der Vorwurf, hier müsse wohl jemand versorgt werden. Das jedoch ist absurd: Nicht einmal in der sächsischen CDU ist das Amt des Regierungschefs eine Notabladestelle für abgewählte Berufspolitiker.
Der 42 Jahre alte Kretschmer gehört zur Generation Spahn: jung, konservativ, modern. "Er ist ein leistungswilliger, kluger, gut vernetzter Kopf, der die sächsische CDU in- und auswendig kennt und auch um die sächsischen Probleme gut Bescheid weiß", sagt Patzelt. Kretschmer scheint die Vorbildung zu haben, die Tillich fehlte.
Quelle: ntv.de