Politik

Schutzversprechen und Angst Wie der IS die Stämme folgsam macht

Viele sunnitische Stämme sind zu Unterstützern des IS geworden. Die Motive sind unterschiedlich.

Viele sunnitische Stämme sind zu Unterstützern des IS geworden. Die Motive sind unterschiedlich.

(Foto: REUTERS)

Mit der klassischen Strategie von Zuckerbrot und Peitsche gewinnen die Dschihadisten des Islamischen Staates die Loyalität der sunnitischen Einwohner im Irak und in Syrien. Ideologische Gefolgschaft bedeutet das aber noch lange nicht.

"Wir sitzen im gleichen Boot, der Islamische Staat ist unser Staat", ruft der irakische Stammesführer aus. "Unsere Schwerter und diejenigen unserer Brüder, der Soldaten des Islamischen Staats, sind gegen den gleichen Feind gerichtet", fährt der Scheich von Ramadi fort, einer Stadt, die von der Dschihadistenmiliz IS Mitte Mai erobert wurde. Seine Zuhörer sind Stammeskrieger, teils mit Kalaschnikows bewaffnet.

Das vom IS selbst verbreitete Video zeigt einen von vielen Scheichs in Syrien und dem Irak, die dem Da'esch (arabische Abkürzung für Islamischer Staat) die Treue geschworen haben. Die Führer des salafistischen Kalifats haben sehr früh erkannt, dass sie die sunnitischen Stämme auf ihre Seite bringen müssen, wenn sie die Kontrolle über große Gebiete beider Länder absichern wollen, die sie im vergangenen Jahr erobert haben.

Die Stämme sind nach Ethnien und Glaubensgemeinschaften stark zersplittert. Doch weil der IS alle Nicht-Sunniten als Ketzer verfolgt, kommen für ihn nur die "wahren" Glaubensbrüder als Verbündete in Frage. In Syrien gibt es 15 sunnitische Stämme. Im Irak fehlen statistische Daten. Aber Stammesstrukturen dominieren in den westlichen und zentralen Provinzen sowie im nördlichen Raum Mossul.

Widerstand kostet das Leben

Experten berichten, dass der IS mit Zuckerbrot und Peitsche agiert, um die Loyalität der sunnitischen Stämme zu sichern, was aber nur Teilerfolge bringe. Die Autoren einer aktuellen Studie zur Lage in Ostsyrien, Hajan Duchan und Sinan Hawat, nennen drei Hauptmethoden, die der Islamische Staat anwende: "Wirtschaftliche Vorteile und Schutzversprechen sind der erste Faktor, die vom IS systematisch geschürte Furcht der zweite", schreiben sie. Und zum Dritten nutzten die Dschihadisten aus, dass die Stämme schon lange über die Zentralregierung klagen.

Dabei habe Syriens langjähriger Machthaber Hafis al-Assad, Vater des heutigen Präsidenten Baschar al-Assad, die Stammesführer ebenfalls zur Absicherung seiner Machtbasis genutzt und sie mit zahlreichen Verwaltungsposten und Beihilfen geködert, erklären Duchan und Hawat. Doch seit Sohn Baschar vor 15 Jahren das Ruder übernahm, wurde Marktliberalismus eingeführt und die Pöstchenwirtschaft abgeschafft. Das löste Verbitterung in den ländlichen Stammesgebieten aus.

"Der IS stieß in die entstandene Lücke und schuf neue Strukturen, basierend auf Vetternwirtschaft und Gönnerschaft", schreiben die beiden Experten. Zugleich machten die Extremisten deutlich, was Widerstand kostet: Als sich im vergangenen Jahr der Schaitat-Stamm in der östlichen Provinz Deir Essor gegen die Gruppierung auflehnte, wurden mehr als 900 Stammesmitglieder hingemetzelt.

Früher Baath-, heute IS-Verbündete

Doch trotz aller Anreize und Bedrohungen sind die sunnitischen Stämme in beiden Ländern gespalten, wie sie darauf reagieren sollen. "Zeigen Sie mir auch nur einen Clan oder Stamm, der sich vollständig dem Da'esch oder der Nusra-Front unterworfen hat", sagt Scheich Nawaf al-Mulhem, Stammesführer und Parlamentsabgeordneter aus der Provinz Homs.

Im Irak ist die Lage ähnlich: Einige Stämme bilden die Basis des Islamischen Staats. Wegen ihrer Nähe zum früheren Präsidenten Saddam Hussein wurden sie nach dessen Sturz durch eine US-geführte Invasion "aus der neuen irakischen Armee ausgeschlossen und als Feinde behandelt", erläutert der Anthropologe Hoscham Dawod in Bagdad. "Diese Gruppen wechselten von Saddams nationalistischer Baath-Ideologie zum radikalen Dschihadismus."

Aber andere Stämme stellten sich dem IS entgegen. So die Jughaifa in ihrer Hochburg Haditha, einem der letzten Gebiete in der westirakischen Provinz Anbar, das die Dschihadisten trotz Belagerung nicht erobern konnten. Und auch Saddam Husseins Stamm ist gespalten. Scheich Salah Hasan al-Nada musste deshalb ins kurdische Erbil fliehen. Auch er bestätigt: "Kein Stamm hat sich komplett Da'esch angeschlossen. Würden ihn tatsächlich alle sunnitischen Stämme unterstützen, wäre der Machtkampf im Irak schon entschieden."

Quelle: ntv.de, Sammy Ketz und Ammar Karim, AFP

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen