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RTL und "Stern" im Unterricht Wie die AfD Lehrer und Schulleiter unter Druck setzt

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Monatelang recherchierten die Reporter und waren undercover im Unterricht im Einsatz.

Monatelang recherchierten die Reporter und waren undercover im Unterricht im Einsatz.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Zahlen belegen: Rechtsextremistische Vorfälle an Schulen haben in den vergangenen Jahren enorm zugenommen. Gleichzeitig geraten jene, die sich für Vielfalt und Toleranz einsetzen, zunehmend unter Druck, wie Recherchen von RTL und "Stern" zeigen. Dabei spielt auch die AfD eine große Rolle.

Hakenkreuze an Tafeln, "Remigrations"-Aufkleber unter Tischen und Wehrmachts-Wappen auf Gürtelschnallen von Teenagern: Rechtsextremismus an Schulen in Deutschland wird zunehmend zum Problem. Inwiefern rechtsextremes Gedankengut und die Einschüchterung von Andersdenkenden an vielen Schulen bereits zur Normalität gehören, zeigen Recherchen von RTL und "Stern". Ein Reporterteam war dafür an mehreren Schulen im Einsatz, sprach undercover mit Lehrern, Schülern und Schulleitern und ermittelte aktuelle Zahlen zu rechtsextremen Vorfällen an Schulen. Die gesamte Recherche sehen Sie heute Abend um 22.30 Uhr in "Stern Investigativ: Inside Schule" bei RTL und im Streaming auf RTL+ oder lesen Sie im Stern.

Bereits die Daten der Polizei zeigen: Rechtsextreme Vorfälle an Schulen haben sich in den vergangenen Jahren vervielfacht. Demzufolge stieg die Zahl in Niedersachsen allein von 2023 auf 2024 von 140 auf 305, in Nordrhein-Westfalen von 277 auf 452 und in Sachsen-Anhalt von 74 auf 192. In den meisten Fällen geht es um Propaganda-Delikte wie das Zeigen des Hitlergrußes, Bedrohungen oder vereinzelt auch Körperverletzungen. Doch das Problem dürfte sogar noch weitaus größer sein, wie das Rechercheteam auf Nachfrage bei den Schulämtern herausfand. Diese registrierten etwa in Brandenburg 605 fremdenfeindliche oder rechtsextremistische Vorfälle. Der Polizei gemeldet wurden allerdings nur 336.

Was diese Zahlen konkret für den Schulalltag bedeuten, deutet eine nicht repräsentative Umfrage an, die RTL und "Stern" unter 1000 Lehrkräften durchgeführt haben. 22 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer erleben jede Woche, dass sich Schüler rechtsextrem äußern. Fast die Hälfte von ihnen (47 Prozent) hat bereits mitbekommen, wie rechtsextreme Schüler andersdenkende Mitschüler verbal angreifen.

"Ausländer raus"-Parolen im Unterricht

Das deckt sich mit den Erlebnissen der Reporterinnen und Reporter. Die Aufnahmen der versteckten Kamera zeigen etwa einen Schüler aus Brandenburg: "Ich bin AfD und rechtsextrem", prahlt er in der Aula seiner Oberschule. "Bomberjacke, alles da." Die Partei reize ihn vor allem, damit "die Dreckskanaken hier rauskommen". Eine Schülerin zeigt der Reporterin stolz einen Aufkleber mit der Aufschrift "Remigration" unter ihrem Tisch. Im Gespräch mit einer Schulsozialarbeiterin erklärt ein 13-Jähriger, dass er in seiner Freizeit bei der rechtsextremistischen Kleinstpartei "Dritter Weg" lerne, "sich zu wehren". Sollte "der Ausländer anfangen", sagt er auf Nachfrage, dann "gehen wir alle auf den rauf".

Anhänger der AfD sei er auch, weil diese sich für eine Migrantenquote in Schulen einsetzt, sagt ein junger Mann an einer Berufsschule in Mecklenburg-Vorpommern. Das sei notwendig, so behauptet er, weil Schüler mit Migrationshintergrund "den deutschen Schülern den Platz wegnehmen" würden. Sein Mitschüler äußert einen nicht weniger erschreckenden Gedanken: An dem Nationalsozialismus und an Adolf Hitler sei nicht alles schlecht gewesen. Zudem sammle er Kriegswaffen aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Aussage des Schülers fällt mitten im Unterricht - vor der gesamten Klasse und der Lehrkraft.

Wie offen viele Schülerinnen und Schüler mit ihrer rechtsextremen Einstellung umgehen, fällt in der Recherche besonders auf. Rechte Symbole werden offen auf T-Shirts zur Schau getragen, rechtsradikale Parolen im Unterricht geäußert. Eine Lehrerin einer Schule in Niedersachsen berichtet von einem Projekt, bei dem die Jugendlichen einen eigenen Rapsong kreieren sollten. Einige der Schüler hätten ihren Song mit Parolen wie "Ausländer raus, Deutschland den Deutschen" versehen.

Entgleitet "eine ganze Generation"?

Die Lage sei deutlich ernster als noch vor einigen Jahren, macht Stephan Kramer, Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, im Gespräch mit RTL und "Stern" deutlich. Sorge bereite ihm vor allem die "massive Nachwuchsgewinnung, die extremistische Gruppierungen hier im Bereich der Jugendlichen sowohl digital als auch analog betreiben". Es gehe schon lange nicht mehr nur um Tiktok und Co., sondern auch um Veranstaltungen wie Lagerfeuer und andere Freizeitveranstaltungen, die von Rechtsextremisten für junge Menschen organisiert werden. "Die sind sehr effizient, sind sehr erfolgreich." Man sehe an den Zahlen, so Kramer, "dass hier möglicherweise eine ganze Generation entgleiten kann".

Um dem etwas entgegenzusetzen, ist die demokratische Aufklärung durch Lehrer essenziell. Doch hier liegt die nächste Herausforderung, wie Kramer deutlich macht: Während viele ihren Erziehungsauftrag erfüllen, hätten einige andere "aufgegeben". Zum einen trifft die besorgniserregende Entwicklung unter Schülern auf ein ohnehin geschwächtes System aus Lehrermangel, Leistungsdruck und zu wenig Investitionen in Sozialarbeiter. Zum anderen, so Kramer, gebe es eine Einschüchterungspraxis der Rechten und Rechtsextremisten. Und "die funktioniert leider an manchen Stellen".

Zwölf Prozent der von RTL und "Stern" befragten Lehrer haben bereits Sorge, im Unterricht offen für demokratische Werte einzutreten, weil sie negative Reaktionen aus rechtsextremen Kreisen befürchten. Im Gespräch mit den Reportern erzählen einzelne Lehrerinnen und Lehrer, die sich offen gegen Rechtsextremismus stellen, von massiven Anfeindungen. "Ich wünschte, die NSDAP wäre immer noch da, die würde dir was zeigen", ist nur eines von vielen genannten Beispielen für Drohungen. "Dann lassen Sie sich doch abstechen gehen, lieber Sie wie meine Kinder. Ich denke, wir werden uns bald sehen", ein anderes.

Die AfD und das Neutralitätsgebot

Doch es sind nicht nur die Schüler und Eltern, die zur Verunsicherung von Lehrern beitragen. "Die AfD hat den Fokus auf die Schulen in den vergangenen Jahren deutlich intensiviert", sagte Maike Finnern, die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Die Partei dementiert jegliche gezielte Einflussnahme und pocht darauf, lediglich Anliegen von Eltern zu thematisieren. Die Recherche zeigt jedoch, wie Lehrer - sogar Schüler -, die sich für demokratische Werte engagieren, öffentlich an den Pranger gestellt wurden. Über die Thematisierung missliebiger Maßnahmen in Parlamenten, etwa das Hissen der Regenbogenflagge an einer Schule, werden diese unter Druck gesetzt. Ebenso wie mit Kleinen Anfragen. Da geht es mal um "Klimahysterie" im Lehrplan, mal um "Rassismus gegen Weiße" im Unterricht, mal um die Einladung eines linken Autors oder den Vortrag eines Richters.

Dabei beruft sich die AfD immer wieder auf vor allem eins: das Neutralitätsgebot. In der Umfrage unter Lehrern gab jede sechste Lehrkraft an, das Neutralitätsgebot sei schon einmal als Argument genutzt worden gegen ihren Einsatz für demokratische Grundwerte - meist in persönlichen Gesprächen, vereinzelt auch in Form einer Beschwerde bei der Schulleitung oder sogar einer Dienstaufsichtsbeschwerde. "Die AfD nimmt mit der Debatte um das vermeintliche Neutralitätsgebot bereits massiven Einfluss auf Lehrkräfte", erklärt Finnern. "Viele sind verunsichert: Was darf ich sagen, was nicht?"

Während die Partei unter dem Deckmantel des Rechts auf die strikte Neutralität von Lehrern pocht, verpflichtet das entsprechende Gesetz Lehrer keineswegs zum Stillschweigen über politische Kontroversen und verfassungsfeindliche Positionen. Im Gegenteil: Sie müssen für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten - und den Schülern diese Werte vermitteln. Das Thematisieren von Vielfalt und Toleranz auf der einen Seite und die kritische Auseinandersetzung mit rechtsextremen Positionen, auch von AfD-Politikern, fällt also unter den Erziehungsauftrag.

Ist der Trend noch aufzuhalten?

Die AfD versuche, "die Lehrer aufs Glatteis zu führen", bilanziert Bundesbildungsministerin Karin Prien. Denn "das Grundgesetz ist nicht wertneutral und deswegen kann auch Schule nicht wertneutral sein". Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier lehnt blinde Neutralität ab. Wenn Lehrer hören, wie sich Schüler rassistisch äußern, "können sie nicht neutral wegschauen". Allerdings, so räumt Steinmeier ein, verlange das Mut.

Mut und Unterstützung, wie die Reporter deutlich machen. Viele Lehrer wünschen sich beim Thema Rechtsextremismus unter Schülern mehr Engagement und Beistand, sowohl von der Schulleitung als auch von der Politik. Auch Verfassungsschutz-Chef Kramer fordert ein Engagement der politischen Ebene: klare Ansagen, mehr Förderung für und mehr Austausch mit Lehrern. Gleichzeitig müssten Strukturen aufgebaut werden, die Jugendliche auffangen und demokratisch aufklären. Dazu gehören Schulen, aber eben auch Sportvereine, Jugendzentren, Chöre. Noch sei er nicht bereit, aufzugeben, sagt Kramer. "Ich glaube, wir haben es noch in der Hand, den Trend umzudrehen."

Quelle: ntv.de

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