Politik

IS-Terror erreicht westliche Welt Wie groß ist die Gefahr in Deutschland?

Ein Bild des Ottawa-Attentäters, das im Internet kursiert - angeblich auch verbreitet durch die Medienstrategen des IS.

Ein Bild des Ottawa-Attentäters, das im Internet kursiert - angeblich auch verbreitet durch die Medienstrategen des IS.

Spätestens mit dem Anschlag auf das kanadische Parlament scheint der IS-Terror den Westen zu erreichen. Der Attentäter war vermutlich Sympathisant. Davon gibt es auch in Deutschland viele. Vor allem ein spezieller Attentäter-Typ bereitet Sicherheitsbehörden Sorge.

Michael Z., der Attentäter von Ottawa, war vermutlich ein Sympathisant des Islamischen Staates (IS). Diesen Schluss legen eine Reihe von Indizien und die Worte des kanadischen Polizeichefs, Bob Paulson, nahe. Attentäter Z., ein Konvertit, galt wegen seiner positiven Haltung zum Dschihad als "high-risk-traveller", als hochgefährlicher Reisender. Die kanadischen Sicherheitsbehörden hatten ihm deshalb den Pass entzogen. Laut Paulson habe er in den vergangenen Wochen in der Hauptstadt versucht, einen neuen zu bekommen. "Er wollte nach Syrien ausreisen", sagt Paulsen.

Z. bekam keinen neuen Pass. Am Mittwochmorgen (Ortszeit) erschoss er einen Wachsoldaten an einem Kriegerdenkmal im Regierungsviertel. Kurz darauf stürmte er das Parlamentsgebäude. Er wurde selbst niedergeschossen, bevor er noch Schlimmeres anrichten konnte.

Spätestens mit Michael Z. scheint der Terror des IS endgültig die westliche Welt erreicht zu haben. Wie groß ist die Gefahr in Deutschland?

Ein Ziel unter vielen

Zunächst einmal gilt: Deutschland ist in den Kampf gegen den IS noch nicht so involviert wie Kanada. Das Parlament in Ottawa hat bereits Luftangriffe auf IS-Stellungen autorisiert. Die Bundesregierung konnte sich bisher nur zu Waffenlieferungen an die Kurden im Nordirak durchringen, die dort gegen den IS kämpfen.

Recherchen der "New York Times" zufolge hat der IS Anhänger in den Ländern, die sich an den Luftangriffen beteiligen, zu Vergeltungsanschlägen aufgerufen. Einen offiziellen Aufruf zu Anschlägen in Deutschland durch die Führung des Kalifats gibt es bisher nicht.

Kurz nach dem Attentat in Kanada meldete sich das Bundesinnenministerium trotzdem zu Wort: Es gebe eine "abstrakt hohe Gefährdung", hieß es. So beschrieb das Ministerium die Lage angesichts islamistischer Terroristen schon wiederholt. Was bedeutet das bezogen auf den IS?

Keine konkreten Pläne, keine Führungsstrukturen

Zu allererst heißt es: Den deutschen Sicherheitsbehörden sind keine konkreten Anschlagspläne bekannt. Auch Organisations- und Führungsstrukturen des IS gibt es in der Bundesrepublik ihren Erkenntnissen zufolge nicht. Allerdings gibt es etliche Sympathisanten der Organisation.

Im Fokus der Sicherheitsbehörden stehen vor allem die Mitglieder salafistischer Gruppen. Aus dem Innenministerium heißt es: "Nicht alle Salafisten sind Terroristen, aber alle Terroristen mit islamischem Hintergrund waren zumindest zu einem Zeitpunkt salafistisch orientiert." Hinzu kommt: Bisher haben sich salafistische Gruppen nicht öffentlich von den Taten des IS distanziert.

Die Zahl der Anhänger dieser radikal-fundamentalistischer Muslime ist nach Angaben des Verfassungsschutzes in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen - von geschätzt 3800 im Jahr 2011 auf mehr als 6000.

Es laufen mehr als 200 Ermittlungsverfahren

Unter besonderer Beobachtung stehen zudem Rückkehrer aus Syrien. Den Sicherheitsbehörden sind mehr als 400 deutsche oder aus Deutschland stammende Personen bekannt, die nach Syrien gereist sind, um sich dem bewaffneten Konflikt anzuschließen. Die meisten, so die Vermutung der Behörden, aufseiten des IS. 40 von ihnen sind vermutlich im Kampf gestorben. Doch rund 130 sind nach Deutschland zurückgekehrt.

Auf eine kleine Anfrage der Linkspartei antwortete die Bundesregierung: "Vor dem Hintergrund steigender Rückkehrerzahlen stehen die Sicherheitsbehörden unter Kapazitätsgesichtspunkten vor erheblichen Herausforderungen."

Zu den Syrien-Rückkehren kommen die IS-Sympathisanten hinzu, die in Deutschland bleiben oder ihre Reise noch nicht angetreten haben. Nach Angaben des Bundesjustizministeriums laufen derzeit mehr als 200 Ermittlungsverfahren.

Bisher ist es deutschen Sicherheitsbehörden fast immer gelungen, islamistische "Gefährder" rechtzeitig zu entdecken. Seit der Jahrtausendwende konnten sie neun geplante Anschläge verhindern. Die mutmaßlichen Täter von zwei Bombenanschlägen, die wegen fehlender oder kaputter Zünder scheiterten, konnten sie stellen. Nur einmal ist es einem islamistischen Terroristen in der Bundesrepublik gelungen, sein blutiges Werk zu vollenden. Dieser Fall offenbart allerdings eine Schwachstelle der Terrorismusbekämpfung, mit der Sicherheitsbehörden auf der ganzen Welt hadern.

Eine unberechenbare Gefahr

Im März 2011 erschoss der 21 Jahre alter Kosovo-Albaner Arid Uka zwei US-Soldaten am Frankfurter Flughafen und verletzte zwei weitere schwer. Bei seinem Angriff schrie er "Allahu Akbar" (Gott ist am größten). Uka war wie Michael Z. das, was Sicherheitsbehörden einen "Lone Wolf", einen Einzeltäter, nennen - ein Terrorist also, der sich im Stillen radikalisiert und nicht durch auffällige Reisebewegungen oder Geldtransfers auffällt. Anders als der Ottawa-Attentäter war er den Behörden aber nicht bekannt. Ein Umstand, der bei Einzeltätern sehr häufig festzustellen ist.

Im Falle solcher Einzeltäter gilt: Es gibt keine entlarvenden SMS, keine Telefongespräche, keine Emails, die Geheimdienste abhören könnten. Denn der Täter hat niemanden, mit dem er sich abstimmen müsste.

Den Ermittlern bleiben so nur sehr wenige Anknüpfungspunkte. Dazu zählen Beiträge in einschlägigen Foren oder Posts in sozialen Netzwerken, Hinweise von Verwandten oder Freunden des Täters. Es kann diese Spuren geben, muss es aber nicht. Und die Ermittlungen sind gerade bei Einzeltätern noch aus einem anderen Grund besonders schwer. Wenn es darum geht, sie ausfindig zu machen, ist der Konflikt zwischen innerer Sicherheit und Datenschutz besonders groß. Denn im Prinzip könnte jeder so ein "Lone Wolf" sein.

Aus Sicherheitskreisen heißt es deshalb immer wieder: Es gibt keinen Grund, in Panik zu verfallen. Doch es lässt sich nie ausschließen, dass etwas passiert.

Dass sich auch Sympathisanten des IS als Einzeltäter in Deutschland radikalisieren könnten, liegt nahe. Keine andere Organisation nutzt das Internet so geschickt wie der Dschihadisten-Trupp von Abu Bakr al-Baghdadi.

Quelle: ntv.de

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