Politik

Ein makabres Spiel mit Zahlen Wie viele Zivilisten sind noch in Kobane?

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(Foto: AP)

Wenn der Islamische Staat Kobane erobert, droht den verbliebenen Zivilisten in der Stadt ein grausamer Tod. Die Türkei behauptet nun, es gebe dort überhaupt keine Zivilisten mehr. An dieser Darstellung gibt es allerdings Zweifel.

Man kann sich die Rachegelüste der Kämpfer des Islamischen Staates (IS) kaum ausmalen. Viele kurdische Orte in Syrien überrannten sie binnen Stunden. Kobane konnten sie auch nach vier Wochen nicht einnehmen. Sie verloren bei ihren Attacken nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums mehrere hundert Männer. So viel ist sicher: Allen, die noch in Kobane verharren droht Fürchterliches, wenn es dem IS dann doch gelingt, die Stadt zu umstellen.

Die Frage, wie viele Zivilisten noch in dem Trümmerfeld im Norden Syriens leben, ist deshalb ein Politikum. In der Türkei tobt ein makabrer Streit um die Deutungshoheit.

"Es gibt keine Zivilisten mehr in Kobane, sie sind alle in der Türkei", sagt Bülent Arınç, Vize-Premierminister der Türkei. Auch etliche Kämpfer der syrischen Volksverteidigungseinheiten YPG hätten die Stadt schon verlassen. Es seien nur noch 1000 da.

Kurdenvertreter widersprechen. Nach Angaben des Stadtrats von Kobane, Anwar Muslim, befinden sich noch 2000 Zivilisten in der Stadt. In den vergangenen Wochen war zudem stets von 3000 bis 4000 Kämpfern in Kobane die Rede. Was hat es mit diesem Zahlenwirrwarr auf sich?

Kurden buhlen um Unterstützung

Es liegt auf der Hand, warum die Kurden ein großes Interesse daran haben, die Zahl möglichst hoch anzugeben. Sie buhlen um mehr Unterstützung für ihren Kampf. Vor allem wollen sie mehr Waffen und dass Ankara die Grenzen für Material und neue Kämpfer öffnet.

Welche Gründe könnte Ankara haben, mit niedrigen Zahlen zu rechnen? Die Bürgermeisterin von Suruç, Zühal Ekmez, hat dazu eine Theorie. Suruç liegt rund zehn Kilometer nördlich von Kobane auf türkischer Seite. Von dort aus kann Ekmez die Lage in der umkämpften Stadt zwar nur bedingt beurteilen, sie bekommt aber sehr unmittelbar mit, wer aus Kobane herauskommt. Suruç ist ein Hauptanlaufpunkt für Flüchtlinge. Und auch die Flüchtlingszahlen klaffen weit auseinander.

Ankara behauptete Ende September noch, dass allein in einer Woche 140.000 Menschen aus Kobane in die Türkei gekommen seien. Ekmez spricht von einer Übertreibung um das Dreifache. Als Grund nennt sie den Wunsch, die türkische Hilfsbereitschaft größer erscheinen zu lassen, als sie es in Wirklichkeit ist. Laut Ekmez geht es der Regierung auch darum, den Druck auf die Türkei, eingreifen zu müssen, zu senken. Und noch ein drittes Argument führt sie an: "Ankara will, dass Kobane untergeht", sagt sie.

UN-Zahlen - trügerische Sicherheit

Im syrischen Bürgerkrieg sind im Norden des Landes drei autonome kurdische Kantone entstanden. Das Kanton Kobane liegt in der Mitte. Ankara hat wenig Interesse daran, dass es erfolgreich ist, denn das könnte Kurden in der Türkei dazu ermuntern, ebenfalls mehr Autonomie zu fordern.

Ankara will erreichen, dass die internationale Gemeinschaft zustimmt, eine Pufferzone in Kobane zu errichten. Vorausgesetzt in der Stadt sind keine Zivilisten mehr, könnte die Türkei dann auch die letzten Kämpfer der kurdischen Selbstverwaltung aus Kobane verdrängen. Denn bewaffnete Kräfte wären in dieser Pufferzone verboten. Das autonome Kanton Kobane wäre damit tot.

Wer hat Recht? Auch die Vereinten Nationen haben Zahlen veröffentlicht. In der vergangenen Woche ging die Organisation von 500 bis 700 Zivilisten in Kobane aus. Außerhalb der Stadt, an der Grenze zur Türkei, kommen demnach weitere 10.000 bis 13.000 hinzu. Bei der Zahl der Flüchtlinge sind die Zahlen der UN identisch zu denen der Türkei.

Eine Garantie sind diese Angaben allerdings nicht. Die Flüchtlingszahlen hat das UN-Flüchtlingshilfswerk von der türkischen Katastrophenschutzbehörde übernommen. Und auch wenn es um die Zivilisten in Kobane geht, kann sich die Organisation nur auf fremde Quellen verlassen. Denn eigene Mitarbeiter hat sie dort nicht.

Quelle: ntv.de

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