Politik

EU und USA beschließen Sanktionen Wieder Dutzende Tote in Syrien

Zehntausende Menschen gehen in mehreren Städten Syriens auf die Straße. Die Sicherheitskräfte gehen brutal dagegen vor, mit Tränengas, Schlagstöcken und Scharfschützen. Mindestens 24 Menschen werden nach Angaben der Rebellen getötet. Die USA beschließen Sanktionen gegen das Regime. Auch die EU verständigt sich auf Maßnahmen.

Ein Screenshot von Al Arabiya zeigt Aufständische in Hama.

Ein Screenshot von Al Arabiya zeigt Aufständische in Hama.

(Foto: dpa)

In dem bislang größten Protestmarsch gegen Syriens Präsidenten Baschir al-Assad sind rund Zehntausend Menschen in der Hauptstadt Damaskus auf die Straße gegangen. Die Demonstranten bekundeten dabei auch ihre Solidarität mit den Bewohnern in der weitgehend abgeriegelten Stadt Deraa, die als Hochburg der Protestbewegung gilt. Die Sicherheitskräfte setzten Tränengas und Schlagstöcke gegen die Demonstranten ein.

In mehreren Ortschaften gab es gewaltsame Zusammenstöße mit Angehörigen der Sicherheitskräfte. Nach Informationen von Bürgerrechtlern kamen insgesamt 24 Demonstranten ums Leben. Darunter seien auch zwei Kinder, teilte die unabhängige syrische Organisation Sawasiah mit. Es habe Tote in den Städten Deraa, Homs, Latakia sowie in der Nähe der Hauptstadt Damaskus gegeben. In Deraa eröffneten die Soldaten nach Berichten von Augenzeugen das Feuer auf Tausende Demonstranten. Dabei wurden nach Angaben von Ärzten mindestens 15 Menschen getötet.

Das Bild zeigt Demonstranten in Kamischli.

Das Bild zeigt Demonstranten in Kamischli.

(Foto: AP)

Seit Beginn der Proteste in Syrien sollen nach Angaben einer Menschenrechtsorganisation etwa 500 Menschen getötet worden sein. Trotz des massiven Armeeaufgebots und eines Verbots von Demonstrationen protestierten tausende Syrer nach den Freitagsgebeten nicht nur in Damaskus, sondern in zahlreichen weiteren Städten gegen die autoritäre Herrschaft von Assad. So gingen die Menschen etwa in Homs und Hama in Zentralsyrien, in Banias an der Mittelmeerküste und im östlichen Kamischli und in Haraschta für mehr Freiheit auf die Straße.

Washington verhängt Sanktionen

Das Auswärtige Amt gab unterdessen eine Reisewarnung für Syrien heraus. Damit wurden die Reise- und Sicherheitshinweise für das Land auf die höchste Stufe verschärft. Deutschen, die sich noch in Syrien aufhalten, empfiehlt das Ministerium die sofortige Ausreise mit kommerziellen Flügen, solange dies noch möglich und sicher ist. Eine offizielle Reisewarnung gibt das AA nur aus, wenn eine akute Gefahr für Leib und Leben besteht.

Die EU einigte sich derweil im Grundsatz auf Sanktionen gegen die Führung in Damaskus. Das verlautete nach einem Treffen der 27 Botschafter der EU-Länder aus Diplomatenkreisen in Brüssel. Geplant sind demnach ein Waffenembargo und weitere Sanktionen gegen die syrische Regierung. Bundesaußenminister Guido Westerwelle hatte der ARD gesagt, sollte Präsident Assad nicht die "Gewalttaten" gegen die eigenen Bürger beenden, würden die Europäer Sanktionen beschließen. In Genf verurteilte der UN-Menschenrechtsrat die Gewalt in Syrien.

Panzer der Armee in der Nähe der Stadt Daraa.

Panzer der Armee in der Nähe der Stadt Daraa.

(Foto: dpa)

Zuvor hatten bereits die USA Vertraute von Staatschef Assad mit Sanktionen belegt. Wie das Weiße Haus mitteilte, richten sich die Strafmaßnahmen gegen Assads Bruder Mahir sowie weitere ranghohe Vertreter von Militär und Geheimdiensten. Ihre Vermögenswerte in den USA werden eingefroren, US-Bürgern sind Geschäftsbeziehungen mit den genannten Personen fortan untersagt.

Mahir al-Assad kommandiert die gefürchtete Vierte Division der syrischen Armee, die dem Weißen Haus zufolge eine "führende Rolle" bei der blutigen Niederschlagung von Demonstrationen in der Protesthochburg Daraa spielt. Namentlich genannt wird auch Geheimdienstchef Ali Mamluk sowie Atif Nadschib, ein Cousin Assads und hoher Geheimdienstfunktionär in der Provinz Daraa. Außerdem wurden Sanktionen pauschal gegen die gesamte Spitze des syrischen Geheimdienstes verhängt.

"Das Volk will den Sturz des Regimes"

Bei Deraa wurden einem Mediziner zufolge 15 Leichen mit Schusswunden ins Krankenhaus von Tafas nordwestlich der Stadt eingeliefert. Sie seien getötet worden, als sie versucht hätten, nach Deraa zu gelangen, um sich den Protesten anzuschließen. Ein Einwohner berichtete, ein Demonstrant sei von einem Scharfschützen erschossen worden. Dutzende Menschen seien verletzt worden, hieß es. Ein weiterer Augenzeuge berichtete, ganze Busladungen von Demonstranten aus nahe gelegenen Dörfern seien auf dem Weg nach Deraa.

Auch in der Stadt Banias gehen viele Menschen gegen das Regime auf die Straße.

Auch in der Stadt Banias gehen viele Menschen gegen das Regime auf die Straße.

(Foto: REUTERS)

In Damaskus fuhren mit Maschinengewehren ausgerüstete Fahrzeuge der Republikanischen Garde auf. Soldaten in Kampfmontur patrouillierten in Außenbezirken, wie ein Augenzeuge berichtete. Verschiedene Einheiten der Sicherheitsorgane und Geheimpolizei verstärkten Kontrollposten um die Stadt, wie andere Augenzeugen berichteten. Die Stadt sollte offenbar von den Vororten und vom Umland abgeschnitten werden. Telekommunikations- und Stromleitungen wurden Bewohnern zufolge abgeklemmt.

Die Proteste für mehr Demokratie, die vor sechs Wochen begonnen haben, nehmen immer mehr zu. Im Gegenzug verstärkt die syrische Regierung ihren Kampf gegen die Demonstranten. Das Innenministerium hatte der amtlichen Nachrichtenagentur Sana zufolge am Morgen zur Ruhe im Land aufgerufen. Proteste seien nur mit "offizieller Erlaubnis" gestattet, hieß es. Erstmals stärkte auch die Muslimbruderschaft der Protestbewegung den Rücken. In einer Äußerung forderten sie die Syrer auf, ihren Widerstand gegen die autokratische Führung des Landes fortzusetzen.

Syrer werden nicht mehr abgeschoben

Das Regime, das viele Schlüsselpositionen im Sicherheitsapparat mit Angehörigen der alewitischen Minderheit besetzt hat, zu der auch Assad gehört, versucht dagegen, die Massenkundgebungen für Reformen und Menschenrechts als Kampagne extremistischer Sunniten darzustellen. Die staatliche Nachrichtenagentur Sana meldete, seit Beginn der "Gewalt der Söldner starben 78 Märtyrer aus den Reihen von Polizei und Armee sowie 70 Zivilisten". Eine unabhängige Berichterstattung über die Protestwelle, die am 18. März begonnen hatte, lässt die syrische Regierung nicht zu.

Protestiert wird auch vor der syrische nBotschaft in Kairo.

Protestiert wird auch vor der syrische nBotschaft in Kairo.

(Foto: REUTERS)

Hunderte Syrer sind inzwischen vor den blutigen Unruhen aus ihrer Heimat in den Libanon geflohen. Nach Angaben libanesischer Sicherheitskreise kamen seit Mittwoch insgesamt rund 200 Familien aus dem Bezirk Tell Kalach über die Grenze. Auch in der Türkei wird bereits darüber diskutiert, wie man mit einem möglichen Flüchtlingsstrom aus Syrien umgehen sollte.

Abgelehnte Asylbewerber sollen in Deutschland aufgrund der derzeitigen Unruhen nicht nach Syrien abgeschoben werden. Das empfiehlt das Bundesinnenministerium den Ländern und weist zugleich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge an, bis auf weiteres keine Anträge von Syrern mehr zu bearbeiten. "Es wurde wegen der aktuellen Lage in Syrien entschieden, dass das Bundesamt davon absieht, Asylentscheidungen zum Herkunftsland Syrien zu treffen", bestätigte eine Behördensprecherin.

Menschenrechtsrat tagt

In Genf rang sich der UN-Menschenrechtsrat zu einer Resolution durch, in der Syrien wegen tödlicher Gewalt gegen friedliche Demonstranten verurteilt wird. Zudem entschied sich die Institution mit insgesamt 47 Mitgliedern, eine Untersuchung von Morden und anderen vermeintlichen Verbrechen einzusetzen. Das Hochkommissariat für Menschenrechte wurde mit Ermittlungen beauftragt. Die von den USA eingebrachte Resolution wurde mit 26 zu 9 Stimmen angenommen, bei sieben Enthaltungen. Fünf Staaten - darunter Jordanien, Katar und Bahrain - blieben der Abstimmung fern.

Eine Verurteilung Syriens im UN-Sicherheitsrat war am Mittwoch am Widerstand Chinas und Russlands gescheitert. Dass dort Sanktionen gegen Syrien beschlossen werden könnten, erscheint daher als unwahrscheinlich. Vertreter der Türkei, eines wichtigen Verbündeten Syriens, unterbreiteten Assad laut Diplomaten bei einem Treffen Vorschläge für mögliche politische Reformen.

Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts

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